Schachburg-Archiv: Benutzerthema „Als das Bürgertum sich das Schach erschloß“

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Beitrag von Kiffing

In [URL="http://www.schachburg.de/threads/68-Als-nur-die-Reichen-und-Sch%C3%B6nen-Schach-spielten"]diesem Thread[/URL] wurde die Rolle des Adels thematisiert, dem das Schachspiel bis etwa zum 18. Jahrhundert vorbehalten war. Hier soll es nun darum gehen, wie das Bürgertum sich das Schach erschloß.Das Kolonialzeitalter brachte es mit sich, daß vorher nie gekannte Genüsse nach Europa kamen. Einer der populärsten dieser Genüsse war der Kaffee, der schnell „zum Tonikum der damaligen Zeit“ * wurde. Man traf sich in diesen Kaffeehäusern, um gesellig beieinander zu sein, das anregende Getränk zu schlürfen, ebenso anregende Gespräche zu führen und um zu spielen, wie etwa Schach. Vor allem das Spielen von Schach erfreute sich einer großen Beliebtheit; eine Partie Schach zu spielen, begeisterte nicht nur die Spieler selbst, sondern auch die Zuschauer, die in Trauben die Schachspieler umringten und ebenso Anteil an der Partie nahmen. 1720 gab es allein in Paris etwa 300 Kaffeehäuser, die noch streng nach Zünften unterschieden waren. So gab es Kaffeehäuser speziell für Schuster, Schneider etc. Ripperger, Wieteck und Ziegler urteilen:[QUOTE]Diese Verpflanzung des Schachs aus dem höfischen Umfeld in die breite Öffentlichkeit bedeutete einen ungeheuren Aufschwung des Schachlebens. Der Homo ludens hatte seinen Spielplatz gefunden[/QUOTE] Vor allem die Aufklärung beflügelte die Entwicklung des Schachspiels ungemein. Denn für die Aufklärer bedeutete Schach ein Probierstein des Gehirns, an dem sie ihre aufklärerischen Ideen anwenden konnten wie Vorurteilsfreiheit, Rationalität, Vernunft und Aufstieg unabhängig von der Herkunft. Denn im Schachspiel gab es keine Unterteilung in Angehörige des „blauen Blutes“ und ohne. Der Ruhm winkt dem Besten und gab jedem die Chance, ihn zu bekommen. Für einen Aufklärer gehörte es zum guten Ton, auch die Kunst des Schachspiels zu beherrschen, etwa wie für den Ritter im späteren Mittelalter. Später versuchten die Arbeiter es den Bürgern gleichzutun und das Schach für sich zu erschließen. Sie gründeten [URL="http://www.schachburg.de/threads/767-Arbeiterschach-in-Deutschland"]Arbeiterschachvereine[/URL], die von 1912-1933 existierten. *Informationen aus Die Säulen des Schachs - Paris, von Ripperger, Wieteck und Ziegler.

Beitrag von hako

[QUOTE=Kiffing;16065]Für einen Aufklärer gehörte es zum guten Ton, auch die Kunst des Schachspiels zu beherrschen, etwa wie für den Ritter im späteren Mittelalter. [/QUOTE]Gehörten dazu nicht auch Spiele wie Dame und Mühle, die von den Zugregeln her etwas leichter sind? Schließlich war Dame da noch nicht durchanalysiert (;)) und ich glaube, dass für den Leihen nur Schach auf Dauer etwas eintönig wird. Oder war man im 18. Jahrhundert schon so weit, dass es bereits Eröffnungtheorien und so gab?

Beitrag von Kiffing

Ja klar, die Französische Verteidigung etwa wurde im Cafe de la Regence entwickelt. Und auch die Philidor-Verteidigung wurde in dieser Zeit entwickelt. Philidor, für den die Bauern bekanntlich die Seele des Schachspiels waren, strebte mit seinem Aufbau ein baldiges ...f5 an und wollte eine starke Bauernkette im Zentrum behaupten. Also selbstverständlich wurde schon damals in Eröffnungen geforscht und wurden eigene Erkenntnisse ins Spiel eingeführt, die sich bewähren konnten oder mit denen man scheitern konnte. Es gab auch schon zahlreiche Schachbücher, weil bekannte Meister ihre Überlegungen zum Spiel veröffentlichten. Von Laien konnte zudem keine Rede sein, weil viele sich schon damals intensiv mit dem Schach beschäftigt hatten und im Schach mehr sahen als nur ein Spiel wie etwa Dame und Mühle. Und natürlich war Schach auch damals noch nicht "durchanalysiert", das ist es ja bis heute nicht und wird es vielleicht nie sein. Das Cafe de la Regence etwa bot neben dem Schachspiel seinen Gästen noch Dame und Billard an, aber es ist nicht wegen Dame und Billard berühmt geworden, sondern wegen dem Schach. Schon damals behauptete Schach also gewissermaßen eine Sonderstellung unter den Spielen, vielleicht damals noch mehr als heute.