Schachburg-Archiv: Benutzerthema „Eklat beim Korsika-Open“

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Beitrag von Kiffing

Im Korsika-Open ist es zu einem Eklat gekommen. Weil der iranische GM Eshan Ghaem Maghami sich in der 4. Runde weigerte, gegen seinen ihm zugelosten Gegner, den Israeli FM Ehud Shachar zu spielen, wurde er aus dem Turnier ausgeschlossen. [url]http://www.chessvibes.com/reports/iranian-gm-cannot-play-israeli-opponent-gets-excluded-from-corsica-open[/url]Dieses Ereignis wundert mich nicht im Geringsten. Denn wer den internationalen Sport aufmerksam verfolgt, wird wissen, daß immer das Gleiche passiert, wenn ein Iraner auf einen Israeli trifft oder wenn eine iranische Mannschaft auf eine israelische Mannschaft trifft. Das bedeutet, es gibt eine politische Order von ganz oben. Iranern ist es verboten, gegen Israelis anzutreten. Die Sanktionen sind dabei in jeder Sportart dieselben. Kampflose Niederlage für den/die Iraner und Ausschluß vom Turnier.Wie ich finde, ist diese Höchststrafe bei einem Turnier auch vollkommen gerechtfertigt. Denn der Sport ist völkerverbindend und hat die Aufgabe, die Völker zusammenzuführen anstatt zu spalten. Wenn der einzelne Sportverband hier eine Ausnahme macht, dann hat das einen Dammbruch zur Folge. Dann weigert sich der eine, gegen den anderen anzutreten, weil ihm seine Religion, seine politische Meinung oder sein Heimatland nicht gefällt, miteinander verfeindete Länder treten nicht gegeneinander an usw. Den Gedanken an Völkerverbindung und Jugendaustausch können wir dann ganz schnell vergessen, ja zu Grabe tragen.Die Veranstalter des Korsika-Opens hätten gar nicht anders können als sie gehandelt haben. Und dafür muß man nicht einmal erst den FIDE-Leitspruch gens una sumus bemühen. Wenn der Sport Völkerfreundschaft und Frieden sein soll, dann muß er mit aller Konsequenz gegen diejenigen vorgehen, die diese so wichtigen Werte zerstören wollen. Wer intolerant ist, darf auch selbst nicht mit Toleranz rechnen. Wie seht ihr dieses „Politikum beim Schachturnier“?

Beitrag von Maschendrahtzaun

[QUOTE=Kiffing;2433]Wie seht ihr dieses „Politikum beim Schachturnier“?[/QUOTE]Die Frage ist: Darf der Iraner nicht spielen oder will er nicht spielen?Unabhängig davon: Fakt ist ja zunächst einmal, dass er zu einer Partie nicht antritt.Damit ist diese Partie für ihn als Niederlage zu werten.Aber ist das nicht seine freie Entscheidung?Wenn er sich dann in der Folge entschließt, das Turnier zu beenden, ist das ja völlig in Ordnung.Aber ihn nur auszuschließen, weil er einmal nicht angetreten ist?Wenn er einen Magen-Darm-Infekt hat, darf er aussetzen, aber nicht, wenn er Iraner ist?Ist es am Ende gar schlimmer, Iraner zu sein, als einen Magen-Darm-Infekt zu haben? :hmm:

Beitrag von Kiffing

Das Problem ist, daß ein Nichtantreten aus Gründen des Heimatlandes des Gegners so ziemlich alles verletzt, was dem sportlichen Geist verpflichtet ist. Das ist also etwas anderes als ein Nichtantritt aufgrund einer Erkrankung. Das wäre neutral zu sehen und gewissermaßen als "höhere Macht".

Beitrag von Maschendrahtzaun

Das klingt nett, weil idealistisch.Es gilt dann aber offenbar nur für weniger bedeutende Länder.Dieser Vorfall ist ja keineswegs beispiellos: Man siehe nur den Boykott der Olympischen Spiele der westlichen bzw. östlichen Welt 1980 in Moskau bzw. 1984 in Los Angeles.

Beitrag von yury

Das Problem ist, dass der Spieler vermutlich eigentlich nichts dafür kann und dennoch bestraft wird.[QUOTE]It was something normal for me. Time to time it happens that I meet an Israeli player in the pairings. I want to emphasize that personally I dont have any bad relations with anyone from Israel. I respect people from all over the world and I understand very well that we are all sports men.[/QUOTE]Ich finde, ein kampfloser Verlust hätte genügt.

Beitrag von Kiffing

[QUOTE=yury;2452]Das Problem ist, dass der Spieler vermutlich eigentlich nichts dafür kann und dennoch bestraft wird.Ich finde, ein kampfloser Verlust hätte genügt.[/QUOTE]Das mag zwar sein, aber eine andere Möglichkeit sehe ich nicht, dieses Verhalten durch eine drastische Sanktion als unerwünscht und folgenschwer zu kennzeichnen, das ist Abschreckung und Signalwirkung zugleich. Da der Iran in erster Linie für diese Boykottpolitik verantwortlich zeichnet, muß eben er von den Sanktionen betroffen werden.

Beitrag von yury

[QUOTE=Kiffing;2453]Das mag zwar sein, aber eine andere Möglichkeit sehe ich nicht, dieses Verhalten durch eine drastische Sanktion als unerwünscht und folgenschwer zu kennzeichnen, das ist Abschreckung und Signalwirkung zugleich. Da der Iran in erster Linie für diese Boykottpolitik verantwortlich zeichnet, muß eben er von den Sanktionen betroffen werden.[/QUOTE]Meinst Du, die iranische Regierung interessiert sich dafür, ob iranische Schachspieler von Turnieren ausgeschlossen werden, und richtet ihre Israelpolitik danach aus? Dass Iran und Israel verfeindet sind und dass die iranische Regierung ihren Sportlern offensichtlich verbietet, gegen Israelis anzutreten, ist eine Tatsache, die die FIDE nicht ändern wird. Für die internationale Gemeinschaft geht es nun darum, den Sportlern - die ja, wie gesagt, nichts dafür können! - trotzdem ein Mindestmaß von Teilhabe zukommen zu lassen, Konflikte - wo es geht - durch Änderung der Paarungen zu vermeiden und einen für beide Seiten akzeptablen Kompromiss zu finden. Es ist ja schließlich nicht so, dass die Spieler persönlich verfeindet sind.

Beitrag von Kiffing

Nur was soll man in einem solchen Fall denn tun. Der Spieler muß gegen denjenigen antreten, der ihm zugelost wurde. Ohne die Akzeptanz dieser Regel kann eine Sportart nicht funktionieren. Wenn man da nachgibt und Kompromisse schließt, dann kann dieser Baustein, auf dem der Ablauf von Turnieren aufbaut, schnell morsch und fragil werden, mit all den damit verbundenen Folgen.Deswegen bin ich für die derzeitige Handhabung der FIDE und aller anderen Sportsverbänden, diesen Baustein zu verteidigen und ein Nichtantreten nur dann zuzulassen, wenn es dafür vernünftige Gründe gibt. Die Nationalität des Gegners gehört sicher nicht dazu. Der Spieler kann da sicher nichts für. Aber er muß als Kollateralschaden in Kauf genommen werden, um Zeichen und Abschreckung zu setzen. Es gibt einfach Dinge, die undiskutierbar sind, nichtverhandelbare Grundpositionen sozusagen, der Grundkonsens, der eine Gesellschaft oder hier einen Sportverband zusammenhält.

Beitrag von Maschendrahtzaun

[QUOTE=yury;2455]Meinst Du, die iranische Regierung interessiert sich dafür, ob iranische Schachspieler von Turnieren ausgeschlossen werden, und richtet ihre Israelpolitik danach aus? Dass Iran und Israel verfeindet sind und dass die iranische Regierung ihren Sportlern offensichtlich verbietet, gegen Israelis anzutreten, ist eine Tatsache, die die FIDE nicht ändern wird. Für die internationale Gemeinschaft geht es nun darum, den Sportlern - die ja, wie gesagt, nichts dafür können! - trotzdem ein Mindestmaß von Teilhabe zukommen zu lassen, Konflikte - wo es geht - durch Änderung der Paarungen zu vermeiden und einen für beide Seiten akzeptablen Kompromiss zu finden. Es ist ja schließlich nicht so, dass die Spieler persönlich verfeindet sind.[/QUOTE]Also diesen Ansatz halte ich für sehr gefährlich:Man kann nicht aufgrund von wie auch immer gearteten politischen Animositäten in die Paarungen von (Profi-)Turnieren hineinpfuschen.Dadurch würden dann ja auch Dritte, die mit diesen staatlich verordneten Animositäten nichts am Hut haben, benachteiligt werden.Beispielsweise hätte dann ein Spieler, der eigentlich einen schwächeren Gegner bekommen hätte, nun gegen den Irani spielen müssen.Dies wird ihm nur schwer zu vermitteln sein.In dieser Hinsicht sollte man sich Diktaturen auf jeden Fall nicht beugen.

Beitrag von yury

[QUOTE=Maschendrahtzaun;2458]Also diesen Ansatz halte ich für sehr gefährlich:Man kann nicht aufgrund von wie auch immer gearteten politischen Animositäten in die Paarungen von (Profi-)Turnieren hineinpfuschen.Dadurch würden dann ja auch Dritte, die mit diesen staatlich verordneten Animositäten nichts am Hut haben, benachteiligt werden.Beispielsweise hätte dann ein Spieler, der eigentlich einen schwächeren Gegner bekommen hätte, nun gegen den Irani spielen müssen.Dies wird ihm nur schwer zu vermitteln sein.In dieser Hinsicht sollte man sich Diktaturen auf jeden Fall nicht beugen.[/QUOTE]Das Problem ist nur, dass bei der von Kiffing vertretenen Standhaftigkeit gegenüber Diktaturen offensichtlich der Falsche bestraft wird... Bei der Änderung der Paarungen ist es dagegen nicht unbedingt eine Benachteiligung, gegen einen stärkeren Gegner spielen zu müssen; ich denke, das kommt ganz auf die persönliche Einstellung an. (Manche spielen lieber gegen stärkere, andere lieber gegen schwächere oder gleich starke Gegner.)Wenn die Änderung der Paarungen nicht möglich oder unerwünscht ist, halte ich einen kampflosen Verlust immer noch für angebrachter als einen Turnierausschluss. Klar ist es ärgerlich, wenn der israelische Gegner dann keine Norm erfüllen kann, das ist bei einem Ausschluss jedoch nicht anders. Wichtig ist auch, vor dem Beginn eines Turniers solche eventuellen Probleme zu vermeiden, allerdings hat der Schiedsrichter das in diesem Fall anscheinend getan und konnte den Iraner nicht überzeugen, nicht teilzunehmen.

Beitrag von Maschendrahtzaun

[QUOTE=yury;2538]Das Problem ist nur, dass bei der von Kiffing vertretenen Standhaftigkeit gegenüber Diktaturen offensichtlich der Falsche bestraft wird...[/quote]Halten wir fest: Bei dem einen Vorgehen, nämlich bei dem von Kiffing vorgeschlagenen, wird, wie du es ausführst, der Falsche bestraft, und zwar der Spieler X aus dem Iran.Bei dem anderen Vorgehen, nämlich dem von die vorgeschlagenen Vorgehen, wird zwar nicht der Falsche bestraft, dafür aber der Falsche begünstigt, und zwar der iranische Staat.Außerdem könnte das Vorgehen dann schnell Schule machen und um sich greifen, wenn sich herumspricht, dass man sich bloß zu weigern braucht, gegen jemanden zu spielen, und schon werden die Paarungen geändert, bis sie genehm sind.Dies geht sich logischerweise dann überhaupt nicht mehr aus, man überlege sich nur, was für ein Chaos entstünde, wenn sich mehrere Spieler eines Turniers dieses Verhalten bedienten.Dementsprechend ist es schon wichtig, hier einen klaren Punkt zu setzen.Ob es hier ausreicht, eine kampflose Niederlage zu geben oder ob der Ausschluss aus dem Turnier erfolgen muss, ist die eigentliche Frage, ich denke, dass alle anderen Vorgehensweisen in deutlichem Maße die falschen Anreize setzen würde.

Beitrag von yury

[QUOTE=Maschendrahtzaun;2541]Bei dem anderen Vorgehen, nämlich dem von die vorgeschlagenen Vorgehen, wird zwar nicht der Falsche bestraft, dafür aber der Falsche begünstigt, und zwar der iranische Staat.[/quote]Wieso wird der iranische Staat durch die Änderung der Paarungen begünstigt?[QUOTE=Maschendrahtzaun;2541]Außerdem könnte das Vorgehen dann schnell Schule machen und um sich greifen, wenn sich herumspricht, dass man sich bloß zu weigern braucht, gegen jemanden zu spielen, und schon werden die Paarungen geändert, bis sie genehm sind.[/quote]Der Spieler hat sich ja eben nicht "bloß geweigert".[QUOTE=Maschendrahtzaun;2541]Ob es hier ausreicht, eine kampflose Niederlage zu geben oder ob der Ausschluss aus dem Turnier erfolgen muss, ist die eigentliche Frage, ich denke, dass alle anderen Vorgehensweisen in deutlichem Maße die falschen Anreize setzen würde.[/QUOTE]Und was meinst Du zu dieser Frage?