Schachburg-Archiv: Benutzerthema „Schachliche Grundlagenbegabung“

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Beitrag von Tarrasch69

Wer es nicht schafft nach ca 6 Monaten regelmässigen Trainings,(1h,5x die Woche) 2-3 zügige, elementare Mattbilder zzgl Taktikaufgaben (Doppelangriff,Abzug,Fesselung) zu lösen, dem fehlt einfach die erforderliche schachliche-Grundbegabung (visuelles Vorstellungsvermögen,Kombinatorik etc)um im Verein halbwegs erfolgreich spielen zu können bzw um überhaupt auf eine DWZ 1500 zu kommen,der sollte sich lieber einen anderen Sport suchen weil der Aufwand bezogen auf den Ertrag in Zukunft einfach zu hoch sein wird.dh man kann noch soviel tainieren, die Fortschritte werden sehr bescheiden bleiben.
Meinung von einem Schachtrainer!
Ist da was dran?

Beitrag von ToBeFree

Die Aussage ist wahrscheinlich richtig, denn das Szenario schließt durch seine unrealistische Konstruktion praktisch alle real auftretenden Fälle aus. Sechs Monate regelmäßiges Training in der oben genannten Frequenz zieht ja niemand durch, dem die nötige Motivation fehlt.

Beitrag von Zapp Brannigan

Im Erwachsenentraining 1h/Tag zu verlangen ist nicht realistisch, und wenn schon würde ich die Zeit nicht ausschliesslich für Taktiktraining verwenden.

Elementare Mattbilder und Kombinationen haben auch nicht viel mit visuellem Vorstellungsvermögen zu tun, das ist Mustererkennung... Wer lesen lernen kann (Buchstabenkombinations-Muster) kann auch Mattbilder lernen (Schachfigurenkombinations-Muster). Da in diesem Forum jeder lesen kann, wird auch jeder Mattbilder lernen können...

Wer richtig trainiert wird auch besser. Richtiges Training ist aber halt anstrengend und am abend nach 8h Arbeit und wenn die Kinder endlich im Bett sind hat man evtl. keine Lust/Kraft mehr... Blitzen resp youtube-schach-videos schauen ist da viel verlockender, aber der Trainingseffekt ist sehr gering (wenn überhaupt)

Ich formuliere mal anders:
Wer über Jahre täglich 15min konzentriert Takik trainiert (sprich Handy ausschalten, nicht parallel surfen) wird die 1500 DWZ locker erreichen, wie schachlich unbegabt er auch ist.

Beitrag von Kiffing

Ich denke, dass gerade im Schach Talent eine große Rolle spielt. Beispielsweise deckt das Spiel sowohl den mathematisch-logischen als auch den kreativ-schöpferischen Bereich ab, was ein wichtiger Grund für die erfrischende Vielfalt an Spielstilen im Schach ist. Das Bonmot von Edison: "Genie ist 1 % Inspiration und 99 % Transpiration" trifft bezogen auf das Schach also sicher nicht den Kern. Auf der anderen Seite braucht eine mangelnde Begabung niemanden von der Beschäftigung von Schach abhalten. Dann ist das Königliche Spiel eben Hobby statt Berufung. Zudem ist der Mensch so beschaffen, dass sich seine Motivation immer an dem ihm Möglichen orientiert. Ein Spieler mit der Spielstärke um DWZ 1200 kann sich über einen Sieg gegen einen Spieler mit der DWZ von 1400 also ähnlich freuen wie ein GM mit 2500 Elo über einen Sieg gegen einen GM mit 2700 Elo. Vielleicht kann der schwächere Spieler insgesamt sogar befreiter aufspielen, weil ihm das oftmals auch dysfunktionale Element des Perfektionismus fehlt, das Spielfreude durch Anspannung überdeckt.

Beitrag von ToBeFree

@Kiffing: Ist denn aber Talent wirklich eine Voraussetzung für DWZ 1500 bei der oben dargestellten Trainings-Intensität? Ich habe den Eindruck, es wird unterschätzt, wie extrem dieses Szenario gewählt wurde. Es scheint, dass jeder Einfluss von ungewöhnlich hohem Talent hier durch die Frage ausgeschlossen werden aoll.

Beitrag von Kiffing

Extrempositionen können auch der Verdeutlichung dienen und Provokationen dazu, die anderen aus der Reserve zu locken. Davon abgesehen würde ich den Faktor Talent durchaus als sehr wichtig einschätzen. Wer mehr Talent hat, entwickelt sich bei gleicher Trainingsintensität schneller. Allerdings sollten Talent und Training nicht allzu strikt voneinander getrennt werden, denn eine Kausalität ist durchaus vorhanden. Wer nämlich ein Gespür für das Schach hat, also Talent, hat in der Regel auch eine größere Trainingsmotivation.

Beitrag von Tarrasch69

Nur nohmal zur "verdeutlichung" worum es ging...
es geht hier nicht um Talent in dem Sinne um eine DWZ im 2000 er Bereich oder mehr zu bekommen
sondern,salopp gesagt...
Wer nicht in der Lage ist nach mehreren Monaten (selbst mit 30 Min am Tag 4x die Woche) 2-3 zügige einfache Mattbilder zu erkennen bzw zu lösen bzw einfache (2-3 zügige) einfache Grundlagentaktik nicht lösen kann
, der sollte sich nicht weiter mit Schach leistungsorientiert (Verein) befassen sondern nur weiter als lockeres Hobby betreiben weil wohl die schachliche -taktische-Grundbegabung fehlt.
Der Aufwand zum Nutzen ist dann unverhältnissmässig.
dh eine gewisse schachliche Grundbegabung ist vonnöten um im Schach langfristig weitere Fortschritte zu erzielen.
Was nutzt es halbwegs spielen zu können aber einfache taktische Motive im Spiel zu übersehen und dadurch Figuren zu verlieren ( u. somit vllt die Partie) weil man trotz Training u. Bemühung ,solche Sachen enfach nicht sieht.
vllt ist es ja wirklich so dasman ein gewissen Mindestmaß (Potenzial) an "räumlichen" Vorstellungsvermögen,Kombinatorik,usw mitbringen muss.

Beitrag von Zapp Brannigan

Talent ist nur die "Einsteigs-Stärke", der eine fängt mit 1200DWZ an, der andere mit 2000. Klar, die meisten 1200er werden keine 2000 erreichen, aber die 2000er auch keine 2800. Der 1200er, der in 10 Jahren auf 1600 kommt hat sich mehr entwickelt als der 2000er, der auch 10 Jahre später immer noch 2000 hat. Man sollte die Entwicklung nicht mit absoluten Zahlen anschauen sondern mit relativen.

Wie sehr man sich verbessert hängt vor allem davon ab, wie ernst man das nimmt, wie viel "Opfer" man bereit ist zu machen. Ich bin der Überzeugung, jeder Anfänger wird, wenn er es durchzieht, 6 Monate lang täglich 30 Minuten konzentriert Taktik zu drillen, 2-3 Züger erkennen. Das hat nichts mit Talent zu tun, nur mit Durchhaltevermögen.

Der Punkt ist aber, dass es die wenigsten machen. Viele Schachspieler wollen nur spielen, schauen den einen oder anderen Video, spielen Blitz. Die wenigen, die was machen wollen lernen Eröffnungsbücher auswendig, lesen viel zu komplizierte Strategie-Bücher oder versuchen die unlösbaren Taktikaufgaben von Aagard zu lösen bei welchen er schreibt "das muss man sehen können" und 5 Jahre später zeigt eine stärkere Engine dass die angegebene Lösung falsch ist. Dass das nichts bringt liegt auf der Hand.

Das ganz langweilige "drillen" von hunderten von matt in 1, matt in 2, Gabel in 1, ... macht fast niemand. Die wenigen die ich kenne die das machen haben sehr schnell viel elo gewonnen, unabhängig von ihrer Einstiegs-elo.

Beitrag von Lasker2.1

Ein vorstellbares Beispiel ist ein frisch gewordener Rentner, der am wahrscheinlichsten die Zeit und Motivation für ein neues Hobby hat und am unwahrscheinlichsten noch große Fortschritte macht. Hab schon so einige 50+-Einsteiger gesehen, die auch nach Jahren noch ein ganzes Stück unter der 1500er-Marke liegen. Manch einer gibt irgendwann frustriert wieder auf, manch einer hat trotzdem riesen Spaß.

Beitrag von Babylonia

Hi Tarrasch,

ich finde es legitim, wenn du als Schachtrainer sagst: "Ich möchte als Trainer solche Schachpieler betreuen, die soviel Talent und Lerneinsatz mitbringen, dass sie Ratings ab 1500 DWZ aufwärts erreichen werden." Das ist dann deine Zielgruppe. Fakt aber ist, dass in den Schachclubs eine ganze Menge Schachspieler deutlich unter 1500 DWZ angesiedelt sind und diese Leute zum Teil total Schachbegeistert sind und gerne in Mannschaften und Turniere spielen. Man spielt ja Turniere nicht per se um einen Geldpreis oder eine Urkunde zu gewinnen, sondern um sein Rating zu verbessern, gleichgesinnte Schachspieler kennenzulernen und gemeinsam Partien zu analysieren. Eventuell hat man als erwachsener Spieler nur ein Rating von 1000 oder noch darunter, das muss aber nicht fehlende Freude am Schach bedeuten.

Babylonia

Beitrag von Lasker2.1

So manch ein Spieler mit welch niedriger Wertung auch immer, hat schon viele "Talente" zu Mannschaftskämpfen und Turnieren gefahren, hält die unterste Mannschaft eines Vereins zusammen, etc. und hat Spaß daran. Diesen Spaß sollte sich auch keiner nehmen lassen, die meisten 2000er aus der ersten Mannschaft sind wahrscheinlich auch mal von solchen Spielern rumkutschiert worden...

Nur würde ich diesen Spielern, die seit 10 Jahren auf z B. 1200 DWZ stagnieren, nicht raten, großartig Geld für Schachsoftware, Trainings-Bücher und Trainer-Stunden auszugeben und viel Zeit ins Training investieren. Ein bisschen Taktik, aus jeder Partie etwas lernen und auf Dauer etwas besser werden oder einfach gleich stark blieben, aber vor allem Spaß haben. Und das auch im Verein oder bei Turnieren!

Beitrag von ToBeFree

Lasker2.1 hat geschrieben:Nur würde ich diesen Spielern, die seit 10 Jahren auf z B. 1200 DWZ stagnieren, nicht raten, großartig Geld für Schachsoftware, Trainings-Bücher und Trainer-Stunden auszugeben und viel Zeit ins Training investieren. Ein bisschen Taktik, aus jeder Partie etwas lernen und auf Dauer etwas besser werden oder einfach gleich stark blieben, aber vor allem Spaß haben. Und das auch im Verein oder bei Turnieren!
Die Stagnation der DWZ scheint durch fehlende Trainingszeit verursacht zu werden. Falls jemand das ernsthaft ändert, hat auch die Stagnation vermutlich ein Ende. Mir persönlich fehlt dafür Motivation und Zeit, aber wenn beides vorhanden ist, wäre Training sicherlich wirksam.

Das Rentner-Beispiel erscheint mir einigermaßen vorstellbar; ich nehme an, es verhält sich dabei wie mit Fremdsprachen, die man ja auch als Kind besser lernt. Ich denke jedoch, dass auch ein Rentner, der sich wirklich intensiv mit Schachtraining beschäftigt, die 1500 knacken wird.

Um auf die Ausgangsfrage zurückzukommen: Möglicherweise wird also Ursache und Wirkung vertauscht. Aus einer dauerhaft niedrigen DWZ kann man mangelndes Interesse an Schachtraining ableiten. Eine niedrige DWZ sollte daher kein Grund für neuerdings motivierte Schachspieler sein, auf Training zu verzichten.

Beitrag von Kampfkeks

Tarrasch69 hat geschrieben:Wer es nicht schafft nach ca 6 Monaten regelmässigen Trainings,(1h,5x die Woche) 2-3 zügige, elementare Mattbilder zzgl Taktikaufgaben (Doppelangriff,Abzug,Fesselung) zu lösen, dem fehlt einfach die erforderliche schachliche-Grundbegabung (visuelles Vorstellungsvermögen,Kombinatorik etc)um im Verein halbwegs erfolgreich (...)

Ist da was dran?
Ja, da ist definitiv etwas dran.

Ich würde dann auch eher zu etwas anderem raten. Was aber absolut nicht schlimm ist - ich kenne so einige (auch studierte) Leute, die schachlich nicht "denken" können, in anderen strategischen Spielen aber richtig genial sind :-). Geschmäcker bzw Intellekte sind halt ganz unterschiedlich!