Schachburg-Archiv: Benutzerthema „Ein Schock für Anatoli Karpov bei der Schach-WM 1987 in Sevilla“

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Beitrag von Kiffing

Eine denkwürdige Partie war die 21. Partie in der Schachweltmeisterschaft 1987 zwischen Anatoli Karpov und Garri Kasparov in Sevilla, die von beiden Seiten auf höchstem Niveau geführt wurde. „Die beiden spielen Schach wie vom anderen Stern“ war in diesen Zeiten, als die Magie des Schachs durch die Computer erst ansatzweise überschattet wurde, ein geflügeltes Wort in der Schachwelt. Es stand 10,5-10,5 in dem auf 24 Spiele angesetzten Duell, und aufgrund des WM-Privilegs, daß bei einem 12:12-Gleichstand der Titelverteidiger seine Weltmeisterkrone behält, durfte Karpov diese Partie nicht verlieren, denn dann hätte er nur noch theoretische, aber praktisch kaum noch Chancen auf den WM-Titel. Deshalb stand den Mitstreitern Karpovs nach dem 19. Zug der Schock geradezu ins Gesicht geschrieben. Dem Herausforderer unterlief ein für einen Weltmeisterschaftskampf höchst banales taktisches Versehen, als er arglos den störenden Sb4 angriff. Nach 19. ...Sd3! stand er bereits mit dem Rücken zur Wand. Doch noch einmal konnte sich Karpov verteidigen. Nach einem in solchen Situationen typischen Qualitätsopfer für Bauern sah Kasparov keine Möglichkeit mehr zu gewinnen und willigte rasch ins Remis ein.Hier ein schöner [URL="http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-13526028.html"]Poem[/URL] zu dieser Partie:[QUOTE]Am Montag letzter Woche, Karpow und Kasparow fochten die 21. Partie ihres auf 24 Spiele angesetzten Wettkampfes aus, verlor Karpows Faktotum [gemeint ist Wladimir Pistschenko] jäh die eherne Selbstkontrolle: Das Kinn fiel ihm auf den Hemdkragen, das Blut wich aus seinem Gesicht. Dem Tolja, das verrieten Gestik, Mienen und die Wortfetzen der sowjetischen Schachgroßmeister am Russentisch, war in dieser letzten, entscheidenden Phase des Schachmarathons Schreckliches widerfahren.Es hatte gut gestanden für Anatolij Karpow in dieser 21. Partie. Beim Punktegleichstand von 10 zu 10 hatte der Meisterspieler aus Moskau die Partie mit Weiß eröffnet, sein Rivale Kasparow antwortete mit der "Grünfeld-Verteidigung".Präzise führte der 1985 von Kasparow entthronte Moskauer seine 16 Figuren in dieses für ihn so bedeutsame Spiel: Denn nur noch einmal, in der 23. Partie Anfang dieser Woche, wird Karpow den Vorteil der weißen Steine und damit des ersten Zuges haben.Ein gutes Dutzend Züge zauberten die Rivalen, dann glich die Schlachtordnung auf dem Brett einer Straßenszene im nächtlichen Tombstone: Keiner weiß, wer auf wen schießen wird, die Toten zählt der Sargtischler. "Wildwestschach", schimpfte der lebensfrohe Russe Eduard Gufeld, den sie "Großmeister Eddy Kaviar" nennen. Im britischen Schachprofi Raymond Keene riefen die wirren Figuren-Muster kriegerische Assoziationen hervor: "Die haben das Licht ausgemacht und gehen mit Äxten aufeinander los."Beim 19. Zug explodierte das hochbrisante Gemenge auf dem Brett: Karpow rückte einen Bauern aus der Abwehr, um einen kecken Springer Kasparows zu vertreiben. Aber diesen einen aus dem Dickicht der möglichen Antwortzüge hatte der Champion geradezu ersehnt: Statt das Roß zurückzunehmen, stieß Kasparow den Springer mitten in das Machtzentrum des Herausforderers. Jetzt erst traf die Karpow-Clique am Russentisch die ganze Wucht des Zuges: Der Springer, scheinbar isoliert von seinen Mitstreitern, vergiftete die Stellung Karpows - "das war die Entscheidung", bewerteten die Kundigen den unvermeidlich scheinenden Sieg Kasparows in der 21. Partie.Die Experten irrten. Der erwartete Einbruch Karpows, der psychische K.o., blieb aus. Dem Verteidigungskünstler Karpow gelang es, ein Remis zu retten. Ein weiteres Mal bewies der ob seiner unspektakulären Spielweise als Langweiler Geschmähte, daß allein er aus dem glorreichen Dutzend der weltbesten Schachspieler dem Figuren-Zampano Garri Kasparow gewachsen ist.[/QUOTE]Die Schachweltmeisterschaft 1987 ist auch bekannt durch die 24. Partie. Kasparov stand bei einem Stand von nun 11:12 mit dem Rücken zur Wand. Er mußte diese Partie gewinnen. Er schaffte dies mit der ruhigen Englischen Partie. Seine Strategie ist seitdem beispielgebend für Schachspieler in ähnlichen Situationen. Wenn man gegen starke Gegner unbedingt gewinnen muß, wird einem oft dazu angeraten, den Gegner nicht gleich mit der Brechstange anzufallen, sondern es mit eher subtilen Methoden zu versuchen. Denn zweifelhafte Angriffe können solche Spieler i. d. R. schnell parieren. [Event "m/21"][Site "Sevilla 44/589 (Karpov,A; Zai"][Date "1987.12.07"][Round "21"][White "Anatoly Karpov"][Black "Garry Kasparov"][Result "1/2-1/2"][ECO "D97"][PlyCount "56"][EventDate "1987.??.??"]1. d4 Nf6 2. c4 g6 3. Nc3 d5 4. Nf3 Bg7 5. Qb3 dxc4 6. Qxc4 O-O 7. e4 Na6 8.Be2 c5 9. d5 e6 10. O-O exd5 11. exd5 Bf5 12. Rd1 Re8 13. d6 h6 14. Bf4 Nd7 15.Rd2 Nb4 16. Qb3 Be6 17. Bc4 Nb6 18. Bxe6 Rxe6 19. a3 Nd3 20. Bg3 c4 21. Qc2 Rc822. Rad1 Qd7 23. h4 f5 24. Rxd3 cxd3 25. Qxd3 Nc4 26. Qd5 Nb6 27. Qd3 Nc4 28.Qd5 Nb6 1/2-1/2