Schachburg-Archiv: Benutzerthema „AGON verbietet Übertragung von WM und Kandidatenturnier“

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Beitrag von Kiffing

Nun ist es offiziell, AGON hat sich nicht nur die [URL="http://de.chessbase.com/post/agon-meldet-rekord-tv-vertrag"]Exklusivrechte[/URL] für die kommenden Schachweltmeisterschaften (in allen Zeitmodi) unter den Nagel gerissen, sondern auch die Übertragungsrechte für das aktuell laufende Kandidatenturnier in Moskau. AGON hat explizit allen Übertragungsseiten die Live-Übertragung verboten, um die Schachfreunde auf ihre eigene Seite zu zwingen und übt bereits juristischen Druck auf alle Konkurrenten aus, die sich diesem Diktat widersetzen. Diese Restriktion ist als Thema bereits auf Wikipedia angekommen. Auf der [Hier befand sich ein Link auf die Seite "https://de.wikipedia.org/wiki/Kandidatenturnier_Moskau_2016". Der Link wurde vom Benutzer mit dem Titel "Seite" versehen. Aus urheberrechtlichen Gründen ist es möglicherweise erforderlich, diesen Hinweis beizubehalten, da manche Benutzer die Quelle ihrer Zitate von anderen Internetseiten so gekennzeichnet haben. Dieser Hinweis wurde automatisch an Stelle des früheren Links platziert. Falls der Link unangemessen oder ohnehin unerreichbar geworden ist, kann die im Impressum genannte Adresse mit einer Bitte um Entfernung kontaktiert werden.] zum Kandidatenturnier heißt es:[QUOTE]Die Vermarktungsfirma Agon Limited, ein Geschäftspartner des Schachweltverbandes FIDE, reklamiert für sich das alleinige Recht der Live-Übertragung der Partien im Internet. Hierzu hat sie eine eigene Webseite, Worldchess.com, eingerichtet. Dieses Verbot, das damit begründet wurde, dass „es das Beste für das Schach“ sei, „die Übertragung zu kontrollieren“, „richtet sich an alle, die die Partien übertragen oder weiterleiten können“[6]. Die offizielle Seite von Agon wurde während des Beginns der ersten Runde von Unbekannten mit DDoS-Attacken angegriffen [7] und war erst nach über einer Stunde in der Lage, die Übertragung zu beginnen. Verschiedene Schachseiten weltweit hielten sich nicht an das Verbot und übertrugen die Züge der Partien live. Agon unternahm daraufhin rechtliche Schritte und verschickte nach eigenen Angaben einstweilige Verfügungen an die Verantwortlichen der Seiten.[8][/QUOTE]Tatsächlich gibt es gegen diesen Knebelvertrag, der sich interessanterweise auch direkt gegen den angenommenen demokratischen Grundgedanken des Internets richtet, dessen Verteidiger die Freiheit von Information und Beteiligung über alle sozialen Grenzen hinweg hochhalten, Widerstand. So heißt es bei der populären Turnierübertragungsseite [URL="http://www.chessdom.com/candidates-chess-2016-round-1-live/"]Chessdom[/URL]:[QUOTE]Since Friday March 4th the global growth of chess audience is in check. AGON’s new policy will prevent the natural spread of information, possibly harming the interest of chess fans around the world, professional players, and the game of chess itself.Chessdom CEO Anton Mihailov was the first to bring the issue to the public domain via an open statement that you can read here. That provoked AGON to finally open communication, but instead of constructive dialogue it quickly deterioriated to monopoly desires and legal threats.AGON do not seem happy that the audience is aware of the unprecedented and disproportionate conditions they are signing upon entering the official website. Thus, AGON is going after “the messenger” who brought the news. In a letter to Chessdom, and in particular to Anton Mihailov, Ilya Merenzon clearly stated, “be advised that we are going forward with legal action”. Merenzon also implied a lawsuit in Moscow/Russia by writing “Russian law provides both civil and criminal protection against trade secret infringement”.At that point Chessdom started receiving AGON’s lawyers communication with request that we reverse the open statement by Chessdom CEO Anton Mihailov, specifically with the note that “other websites might feel they can do the same”. But perhaps AGON spoke before reading carefully the lines which we reiterate here:“The Candidates will have live coverage on Chessdom. Not the one that will allow you to bully journalists with lawyers, but the kind that will bring the daily LIVE chess fun for the fans.”And bullying you can do only if we post moves from the Candidates. You cannot prevent us to do live blogging about the events, you cannot prevent us to comment, nor you can stop our free journalistic practices.AGON, we will not visit the official WorldChess website, we will not sign your click wrap agreement, we will not support your last minute assault on free journalism.For nine years we have worked in hostile environment trying to spread the love for chess. This is yet another chapter and again Chessdom will remain independent.Welcome to the live blog of the first day of the Candidates Tournament 2016![/QUOTE]Ein starkes Plädoyer für die Rechte aller gegen das Recht eines einzigen Unterdrückers, dem sich alle Schachfreunde anschließen sollten. Hinter diesem Anschlag auf die Informationsfreiheit soll nach einer Erklärung von Klaus Besenthal von Chessbase eine Verschwörung der Veranstalter rund um die russische Schachmafia um Präsident Iljumschinow stecken. AGON sei für diesen Zweck als eine Art Briefkastenfirma aufgebaut worden. Die [URL="http://de.chessbase.com/post/agon-meldet-rekord-tv-vertrag"]Vorgehensweise[/URL] habe so funktioniert:[QUOTE]Schachenthusiasten, die die Partien des Kandidatenturniers per Liveübertragung auf der Seite des Veranstalters verfolgen möchten, haben es zurzeit nicht leicht - wer es selber versucht hat, der kann ein Lied davon singen. Die Technik funktioniert einfach nicht so, wie man es inzwischen von zahlreichen bedeutenden Veranstaltungen gewohnt ist, sei es nun das Turnier in Wijk oder ein Bundesligawochenende. Die Forendiskussionen im Internet spiegeln dies entsprechend wider.Versucht man, dem auf den Grund zu gehen, dann liegt es nahe, zunächst einmal die offizielle Website des Turniers genau zu lesen. Wer sind die handelnden Akteure? Der "Weltschachbund" FIDE ist natürlich an erster Stelle zu nennen. Dessen langjähriger Präsident Kirsan Iljumschinow lässt sein Amt derzeit ruhen, weil das US-Finanzministerium Sanktionen gegen ihn verhängt hat. "Vertreten" wird Iljumschinow von Georgios Makropoulos, Grieche und seit dreißig Jahren Funktionär bei der FIDE. Der erfolgreiche Geschäftsmann Iljumschinow ist Russe, auch wenn er in der Vergangenheit meist als "Oberhaupt der Republik Kalmückien" (diese gehört zur Russischen Föderation) aufgetreten ist.Auf der Website stellt sich auch der Hauptsponsor des Kandidatenturniers vor, die "Tashir Group", eine russische Holding, die hauptsächlich Einkaufszentren in Russland und den angrenzenden Ländern baut und betreibt. Gründer ist der aus Armenien stammende Samvel Karapetian.Schließlich gibt es noch die "Agon Ltd.", eine kommerzielle Gesellschaft, die von der FIDE die Rechte an den Weltmeisterschaftszyklen erhalten hat und dafür die Organisation (womit wir u.a. wieder bei der Technik wären) des Turniers übernommen hat. Wer sich eigentlich hinter dieser Gesellschaft verbirgt, lässt sich leider nicht feststellen. Auf der Website der Firma finden sich lediglich ein paar Telefonnummern, die auf Standorte in Russland, dem Vereinigten Königreich (inkl. Kanalinseln...!?) und New York hinweisen.Für die Ausrichtung eines Kandidatenturniers benötigt man vor allem ein "Budget", das naturgemäß nur von Wirtschaftsunternehmen bereitgestellt werden kann, die bereit sind, Schachveranstaltungen zu unterstützen. Und es braucht Leute, die in der Lage sind, die anstehenden Aufgaben zu identifizieren und das Budget effektiv für deren Finanzierung einzusetzen. Das Budget des Kandidatenturniers wird also nicht nur für Antrittsprämien und Preisgelder verwendet, sondern für eine Vielzahl anderer Dinge: IT-Infrastruktur, Hotels, Fahrdienste, Security, Catering usw. Vermutlich ist es so, dass die "Wirtschaft" gar kein Budget in entsprechender Höhe zur Verfügung stellen würde, wenn dieses von Funktionären der FIDE verwaltet werden würde, die vielleicht ganz andere Interessen hätten als z.B. eine möglichst hohe Zahl von Klicks auf der eigenen Website zu generieren. Es ist also nicht überraschend, dass hier verschiedene Wirtschaftsunternehmen agieren.Um die Liveübertragung auf der Website des Veranstalters verfolgen zu können, muss man sich zunächst registrieren, was per Facebook, Twitter oder mit einer Emailadresse erfolgen kann. Man bekommt auch prompt per Antwortmail ein Password zugesendet. Absender dieser Mail ist aber nicht "Worldchess", sondern "Wordlchess". Man erhält den Hinweis, dass ein "Account" mit den üblichen Funktionen (z.B. Password-Änderung) derzeit noch nicht angeboten werden könne. Die Liveübertragung selber bleibt immer wieder "stehen" - neue Züge werden in der Anwendung nicht mehr ausgeführt. Meist hilft es dann, wenn man "F5" drückt. Fährt man mit dem Cursor auf "" oder ">>", dann passiert nicht das, was man sich vorstellen würde. Am Morgen nach der zweiten (!) Runde schließlich erhält man auf der Website noch immer die "Standings nach round 1" angeboten. Und so weiter: Software und organisatorische Abläufe scheinen noch nicht voll ausgereift zu sein. Das Ausbleiben neuer Züge jedenfalls führt Agon auf eine "DDOS attack" zurück, bei der verschiedene User, die sonstwo auf der Welt sitzen können und die sich kaum identifizieren lassen, eine speziell für "Lasttests" entwickelte Software auf eine Website ansetzen, was dann wiederum zu deren Überlastung führt.Darüber hinaus stellt sich natürlich die Frage, wie man "illegale Übertragungen" überhaupt verhindern will. Die Agon hat jedenfalls laut eigener Aussage juristische Schritte gegen einige Portalbetreiber eingeleitet. Einer dieser Portalbetreiber soll laut Agon sogar eine App entwickelt haben, über die jeder Zuschauer (vor Ort oder am Bildschirm) einen ausgeführten Zug direkt erfassen kann, was in der Konsequenz einer Liveübertragung gleichkäme. Es gehört aber zu den Bedingungen bei der Registrierung, so etwas zu unterlassen. Die Agon soll auf diese Weise der einzige Akteur werden, der überhaupt eine Liveübertragung anbieten kann.Fazit - Der Veranstalter will die Veranstaltung exklusiv vermarkten und es gibt dazu auch eine entsprechende Philosophie: Die Schach-WM soll für sämtliche Fans auf der ganzen Welt - medial perfekt aufbereitet - verfügbar sein. In der Realität kämpft man aber offenbar noch mit einer nicht optimal funktionierenden Software, mit nicht eingespielten organisatorischen Abläufen und mit "Hackerangriffen" und "Datenlecks". Es bleibt abzuwarten, wie schnell es gelingen wird, diese Schwierigkeiten in den Griff zu bekommen. Heute funktionierte die Übertragung zunächst einmal etwas besser - aber leider noch nicht wirklich "gut".[/QUOTE]Dieses Manöver ist also extrem undurchsichtig durchgeführt worden, was für ein Land mit einer solch traditionell überbordenden Machtfülle und Dominanz von Geheimdiensten, das aus der Lüge stets die Wahrheit machte, nicht weiter verwunderlich ist. Dieses Knäuel aber so sorgfältig entwirrt und damit aufgeschlüsselt zu haben, und auch noch so, daß es jeder versteht, ist eine journalistische und detektivistische Meisterleitung, vor der ich mich verneige. :app2:

Beitrag von Kiffing

Ich erinnere mich, wie groß das Entsetzen in Deutschland war, als das Bezahlfernsehen aufkam und der Vorgänger des omnipräsenten Senders Sky, Premiere, sich die Übertragungsrechte der wichtigsten Fußballspiele sicherte. Die Politik hatte sich eingeschaltet, um die breite Bevölkerungsmehrheit, die vom Bezahlfernsehen nichts wissen will, davor zu schützen, daß sie bei den wichtigsten Fußballveranstaltungen, aber womöglich auch später bei den wichtigsten Sportveranstaltungen im Allgemeinen quasi ausgesperrt wird. Heraus kam ein lauer Kompromiß, denn auch die Interessen der Unternehmer dieses "Mediums der Zukunft" wurden beachtet. Der Öffentlichkeit blieben wichtige Spiele enthalten, andere wichtigen Spiele fielen weg. Seit dieser Zeit wird etwa kein Spitzenspiel der Fußballbundesliga mehr übertragen, und in der Champions-League ist nur noch ein Spiel pro Runde frei zugänglich. Die schöne neue Welt begann in der Gesellschaft Einzug zu halten.Insofern ist auch die momentane Übertragungskrise zwischen der russischen Scheinfirma AGON und den etablierten Anbietern von Schach-Übertragungsanbietern im Internet wegweisend, und es wird für die Schachwelt von großer Bedeutung sein, wohin diese Reise geht. Der englische Guardian, eine der bekanntesten Zeitungen Englands, hat die Bedeutung dieses Themas, die über das Schach weit hinausgeht, erkannt und sich dieses Themas [URL="http://www.theguardian.com/sport/2016/mar/13/world-chess-champion-magnus-carlsen-candidates-tournament-moscow-agon"]angenommen[/URL] und spricht treffend von einer "Überschattung" des Wettbewerbes. Die Zeitung faßt die wütenden Reaktionen der Schachwelt wie auch ihrer einflußreichen Vertreter zusammen, auch Anton Mihailov von Chessdom, den ich hier bereits zitiert werde, erhält das Wort und sagt: "The moves [are] the very essence of the game itself. It is an element loaded with historical right of freedom, public domain value and global availability ... Clearly unaware of the global mechanics in chess journalism and largely ignoring the desire of the chess community, Agon has put the whole world chess championship cycle in jeopardy". Der ehemalige britische Meisterspieler und Turnierorganisator Stuart Conquest spricht von einem "PR-Desaster" des Veranstalters. Der Guardian geht auf den Konflikt, der neben den Ddos-Attacken auf die Agonseite auch rechtlichen Druck von Seiten AGONs gegen die Schachseiten, die sich diesem Diktat, auf die Übertragungen zugunsten AGONs nicht beugen, ausführlich ein und beleuchtet dessen Dimensionen. Mit Wladimir Kramnik hat AGON einen Fürsprecher, der die "Wichtigkeit" der Übertragungsrechte des Veranstalters im Sinne einer "Professionalisierung" des Schachs betont, wobei es unklar ist, warum eine freie Übertragung der verschiedensten Anbieter im Internet nicht professionell sein soll, Internet ist von seiner Natur eben nicht das Fernsehen, sein Ursprungsgedanke ist demokratisch als Medium von allen für alle und nicht ein streng hierarchisch geprägtes Medium wie das Fernsehen, wo das Programm vorgegeben wird und entweder geschluckt oder liegengelassen wird. Kommentar eines Lesers: "Kommerzialismus hat keine Seele, im Schach brauchst Du eine Seele."