Schachburg-Archiv: Benutzerthema „Das Denken während einer Partie“

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Beitrag von SiegerFCN

Viele stellen sich häufig die Frage darüber,wie eigentlich das richtige Denken während einer Partie sein soll. Das heißt,was man sich für richtige Ideen und Pläne ausdenkt. Was eine Strategie in der momentan vorhandenen Stellung ist. Jeder hat ja sein eigenes Konzept: Es gibt Leute,die die Eröffnung schnell runterblitzen,für das Mittelspiel aber fast ihre komplette Bedenkzeit benutzen und das Endspiel dann sauber weiterspielen,bis es denn dazu kommt. Aber so einfach geht die Bedenkzeit ja nicht verloren. Wenn man ein Zug zieht,hat man sich ja was gedacht dabei. Man zieht ja eben nicht aus Spaß Züge,ohne sie vorher berechnet zu haben. Deshalb überlegt (fast) jeder Schachspieler während einer Partie alle seine Züge,was die bringen,wozu die gut sind. Man sucht sein Plan erstmals heraus. Man überlegt,wo die Figuren am besten stehen,ob taktisches vorhanden ist oder man mit einem Bauernzug prophylaxe spielend gewinnen kann. Man rechnet und rechnet (Fortsetzung folgt)Einige Kriterien für eine Partie:-> Eröffnung-Schön wegen der Eröffnung vorbereitet sein-Schnell spielen,damit man für das weitere Spiel viel Zeit auf der Uhr hat-Falls ein unerwarteter Zug kommt,einfach normal entwickeln und weiterspielen-Vorallem auf Fallen und Neuerungen achten-> Mittelspiel-Strategien entwickeln-Pläne durchsetzen-auf die Bauernstruktur achten-Figuren aktiv bewegen,falls möglich-Taktisches Spiel entwickeln-Positionell handeln-Alle Schlag-Schach- und Droh-Möglichkeiten berechnen(!!!)-Remise Endspiele vermeiden (nach Abtausch) (falls gegner gleich gut,leicht besser oder deutlich schlechter ist,kommt auf den Typ an)->Endspiel-König aktiv in Spiel bringen-falls schlechte Bauernstruktur: Diese schnellstens verbessern (falls möglich)-noch vorhandene Figuren sehr gut positionieren-Bauernstruktur des Gegners verschlechtern-Zugzwang Möglichkeiten nie ausschließen...(Fortsetzung)... Doch dann passiert es: Euer Gegner zieht einen Zug,den ihr gar nicht berechnet bzw. übersehen habt. Dieser Zug,er ist vielleicht falsch,vielleicht aber auch richtig. Und wieder befolgt ihr eure Kriterien. Einige denken sogar: Wieso sah ich das nicht,wieso hat er das gefunden? Denkt ein anderer etwa anders als man selber??? Eigentlich klingt die Frage ja ziemlich bescheuert,da es eigentlich klar ist,dass der Gegner anders denkt. Hier geht es aber um das Prinzip. Hat der Gegner eine andere Strategie? Befolgt er anderen Kriterien? Er hat doch die gleiche Stellung,wieso sieht er einen anderen Zug für besser,als ich?Dieser Thread dient dazu,eure Varianten,eure Überlegungen etc. hier hinzuzufügen. Eben,wie ihr während einer Turnierpartie denkt,was ihr über diesen Zug solange nachdenkt und warum man,wenn man einen für sich selber guten Zug gefunden hat,bei einer gewissen Spielstärke nicht immer alle Züge des Gegners gründlich berechnet? Ebenfalls habe ich einige Möglichkeiten,eure Variantenberechnung zu verbessern (falls diese noch nicht vorhanden sind),aufgelistet,somit ihr das nächstes mal in eurer Partie benutzen könnt. Auch ist der Thread dazu da,damit ihr gegenseitig Tipps zueinander gibt! Je mehr man darüber weiß,wie man für einen Zug vorgehen,was man rechnen sollte,desto besser wird die Spielstärke! Und das wollen wir doch? Spaß und Erfolg!

Beitrag von Kiffing

[QUOTE=SiegerFCN;3333]...(Fortsetzung)... Doch dann passiert es: Euer Gegner zieht einen Zug,den ihr gar nicht berechnet bzw. übersehen habt. Dieser Zug,er ist vielleicht falsch,vielleicht aber auch richtig. Und wieder befolgt ihr eure Kriterien. Einige denken sogar: Wieso sah ich das nicht,wieso hat er das gefunden? Denkt ein anderer etwa anders als man selber??? Eigentlich klingt die Frage ja ziemlich bescheuert,da es eigentlich klar ist,dass der Gegner anders denkt. Hier geht es aber um das Prinzip. Hat der Gegner eine andere Strategie? Befolgt er anderen Kriterien? Er hat doch die gleiche Stellung,wieso sieht er einen anderen Zug für besser,als ich?[/QUOTE]Klar, ich kenne das auch, daß ich nervös werden kann, wenn der Gegner einen unerwarteten Zug spielt. Aber eigentlich ist dies doch ein gutes Zeichen. Man hat diesen Zug nicht gefunden, und zwar möglicherweise deswegen, weil er so schlecht war, daß man ihn von vornherein ausgeschlossen hatte. Da sollte man schon soviel Vertrauen in seine eigene Intuition und Stellungseinschätzung haben, daß man sich ruhig überlegen kann, wie man diesen möglicherweise schlechten Zug jetzt bestrafen kann.Na ja, ansonsten erinnere ich mich an die zehn goldenen Regeln von Dworetzki zur Variantenberechnung: 1. Konzentriere Dich auf die "Kandidatenzüge": So kannst Du die Züge, die auf dem ersten Blick ohnehin irrelevant sind, herausselektieren. Das spart Zeit. Ich denke, wir haben alle so viel Schachgefühl, daß wir uns das Selektieren durchaus zutrauen können.2. Bemühe Dich, die einzelnen Pfade nicht zu oft zu begehen. Denn das kostet Zeit und geistige Kapazitäten, die später zu Ermüdungserscheinungen führen können.3. Überprüfe vor Deinem Zug noch einmal Deinen Gedankengang auf Fehler. Dies gilt im Besonderen für komplexe und damit für schwierige Stellungstypen.4. Mache in kritischen Stellungen mal eine Pause, schalte ab und wirf einen neuen Blick auf die Stellung. Bemühe Dich dabei, aus der Sicht eines "Kibitz" auf die Stellung zu schauen. Das führt manchmal zu frischeren und unvoreingenommenen Entscheidungen.5. Denke nicht nur aus der Angriffssicht von Dir selbst, sondern auch aus der Sicht des Gegners. Frage Dich, was will er mit diesem Zug bezwecken. So kannst Du seine Pläne antizipieren und diese prophylaktisch eindämmen oder die gegnerischen Pläne für eigenes dynamisches Vorgehen berücksichtigen. Beherzigst Du diesen Schritt nicht, kann es Dir sonst unangenehme Überraschungen bereiten.6. Wenn Du einen Angriffsplan hast, so versuche auch einmal mit den schwierigsten und unothodox erscheinenden Zügen anzufangen und diese bei Bedarf gewissenhaft durchzurechnen. Mit dieser Methode kannst Du manchmal auch sehr komplizierte und schwierig zu findende brilliante Kombinationsmöglichkeiten aufspüren, was Dich zu einem Helden macht. Schalte also sozusagen einen erweiteren Suchmodus für den Kandidatenkreis ein.7. Ziehe bei annähernd gleichwertigen Varianten einen Vergleich und entscheide Dich dann für den stärkeren Zug.8. Verzettele Dich nicht. Bedenke, es gibt eine gewisse natürliche Grenze. Es geht einfach nicht, eine Variante bis zum 15. Zug in einer komplizierten Stellung zu berechnen. Das ist eine Aufgabe von Computern, nicht aber von Menschen. Nicht einmal Kasparov kann das. Berechne diese Stellungen also nur so weit es geht, also so weit, wie es Deine eigene derzeitige Kapazität zuläßt und verlasse Dich dann auf Dein Stellungsgefühl, auf Deine Intuition. Ist die Stellung optisch gut bzw. verheißungsvoll, dann spiele Dich in diesen vorher berechneten Stellungstypen hinein. Die Chancen dürften größer sein als die Risiken.9. Behalte Dir bei der Varientenberechnung eine gewisse "innere Disziplin" vor. Es nutzt gar nichts und kostet nur Kraft und Zeit, in Deinen Berechnungen von einer Variante auf die nächste zu springen. Berechne also ruhig die jeweilige Variante zu Ende und kümmere Dich dann um die nächste. So kannst Du Ordnung in das Chaos bringen, oder Struktur.10. Bemühe Dich in einer strategisch verlorenen Stellung, das Spiel zu verschärfen, selbst wenn dies den Gesetzen der Logik mitunter zuwiderläuft. Nur das gibt noch praktische Chancen. Tja, und was habe ich so für Spezialitäten? Grundsätzlich bin ich ein Spieler, der nicht perfektionistisch, sondern ökonomisch denkt. Wenn mir Züge klar erscheinen und meine Intuition schnell "grünes Licht" gibt, dann ziehe ich auch schon mal recht schnell. Ich muß dabei aber aufpassen, nicht in Schablonenhaftigkeit und Oberflächlichkeit zu verfallen und möglicherweise Fehler im Variantenberechnen zu begehen. Das ist die Kehrseite meiner kräftesparenden Ökonomie. Aber ich kenne meine Schwächen!Eröffnung, da sagt ja Mark Dworetzki, daß Großmeister auch während der Eröffnungsphase überlegen, auch wenn ihnen die Variante vertraut ist, um noch am Brett mögliche Lücken in der Vorbereitung zu finden. So bin ich nicht, getreu meiner kräftesparenden Ökonomie blitze ich die Eröffnung herunter, solange ich noch in meinem ganz persönlichen "Buch" drin bin. Bei mir läuft eben viel über Intuition, die ich natürlich von Buch zu Buch, das ich lese, weiterentwickele. Na ja, perfekt ist meine Vorgehensweise sicher nicht, ich wollte sie auch nur vorstellen. ;)

Beitrag von yury

Widersprechen sich da nicht die Ziele 2 und 3? Ich halte es da eher mit der 3 und rechne alles hundertmal durch, was mich selbst manchmal sehr nervt. Aber ich will dann auch wirklich sicher sein, dass der Zug geht...

Beitrag von Kiffing

So handhabe ich das im Prinzip auch. Ich habe mich auch hier im Forum schon einmal kritisch mit der Kotov-Methode auseinandergesetzt, die auch heute noch Referenzpunkt vieler Schachspieler ist: [url]http://www.schachburg.de/threads/226-Sinn-und-Unsinn-der-Kotov-Methode[/url]

Beitrag von hako

Ich halte mich eigentlich gerne an Karpows 7 Kriterien aus "Stellungsbeurteilung und Plan". Zugegebener Weise halte ich mich nur in langen Partien (ab 1 Stunde Bedenkzeit) daran und spiele sonst sehr intuitiv mit oftmals interessanten Ausgang :D, weil ich dann auf Initiative und taktische Motive setzte.Material1) Material auf dem BrettGeschwindigkeit2) Unmittelbare Drohungen3) Lage der KönigeRaum4) Beherrschung offener Linien5) Bauernstuktur6) Zentrum7) Anordnung der FigurenDie Kriterien kann man konkret nur im Mittelspiel anwenden, in der Eröffnung muss man sie dennoch anstreben und im Endspiel muss man sein Endspielwissen unter Beweis setzen.

Beitrag von Maschendrahtzaun

Hat nicht Jonathan Rowson in einem seiner Bücher das "Denken" als eine der sieben Todsünden des Schachspielers beschrieben? :D

Beitrag von Kiffing

Das Denken sollte man eh den Pferden überlassen, weil die haben größere Köpfe...

Beitrag von yury

Wie philosophisch. :denknach: