Schachburg-Archiv: Benutzerthema „Wie zuverlässig ist Kasparows "Meine groβen Vorkämpfer"?“

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Beitrag von blunder1

Garri Kasparow gilt als einer der gröβten Schachspieler aller Zeiten, als Autor ist er nicht unumstritten.Ich halte z.B. sein Von der Zeit geprüft immer noch für ein sehr gutes Schachbuch, sein Politische Partie dagegen für eine Katastrophe.Nach der Jahrtausendwende verschrieb sich Kasparow einem monumentalen Projekt: seine Reihe Meine groβen Vorkämpfer. In dieser Serie versucht Kasparow, eine ausführliche Geschichte der - auch inoffizielen (d.h. vor 1886) - Schachweltmeister und ihrer stärksten Kontrahenten darzustellen; auch ihr Beiträge zur Entwicklung des Schachs werden beschrieben.Nach dem Erscheinen des ersten Bandes (2003) lobte Nigel Short das Projekt in höchsten Tönen, doch es gab auch geharnischte Kritik, z.B. von dem bekannten Schachhistoriker Edward Winter (chesshistory.com).Die beiden Hauptpunkte: Kasparow hätte – von der Einleitung abgesehen – kaum etwas selber geschrieben und es seien ständig fremde Analysen, ohne Quellenangabe, verwendet worden.Was den ersten Punkt angeht, so halte ich diese Kritik für überzogen. Kasparow war zu dieser Zeit noch aktiver Profi, der weiterhin sehr hart an seinem Schach arbeitete; auβerdem war er schachpolitisch sehr involviert (z. b. Prager Abkommen 2002).Dass ein Hochleistungssportler zu seiner aktiven Zeit auf Auβenstehende, wie z.B. Journalisten - allein schon aus stilistischen Gründen - zurückgreift, halte ich nicht für verwerflich. Die Reihe ist unter dem Namen “Kasparow” veröffentlicht worden, da sie sich so besser verkaufen lässt, eine weit verbreitete Vorgehensweise von bekannten Sportlern. Allerdings trägt Kasparow die Verantwortung für diese Serie.Der zweite Punkt ist heikler: Wenn man fremde Analysen ohne Quellenangabe zitiert, so legt man einen deutlichen Mangel an Respekt bezüglich der Arbeit von Kollegen dar.Da ich mich sehr für Schachgeschichte interessiere, sind mir bisher inhaltlich zwei gravierende Fehler aufgefallen:1.) Der WM-Wettkampf 1910 Lasker-Schlechter:Das Match war ursprünglich auf 30 Partien angesetzt, doch aufgrund mangelndem Sponsoreninteresses wurden nur 10 Partien ausgetragen.Kasparow vertritt die Meinung, dass eine 2-Punkte-Klausel zu Schlechters Ungunsten bestanden hätte, d.h., dass der Herausforderer Schlechter mit 6:4 hätte gewinnen müssen, um Weltmeister zu werden.Hier erlaube ich mir, eins meiner Zitate aus dem Thread in der Metaebene War Akiba Rubinstein jemals der beste Spieler seiner Zeit? einzufügen.[QUOTE=blunder1;29161]Da nicht genügend Sponsoren zu finden waren (trotz Laskers Spendenaufruf), wurden nur 10 Partien bestritten. Hübner argumentiert überzeugend und mit seiner typischen Gründlichkeit (alleine für die 10. Partie gibt er 27[!] Quellen an), dass Lasker in diesem Kontext – ohne Klausel - die letzte Partie unbedingt gewinnen musste, um seinen Titel zu verteidigen.Auch der Partieverlauf weist in diese Richtung. Lasker zeichnete sich normalerweise durch Kaltblütigkeit aus (auch in kritischen Situationen), doch da hat er den Kopf verloren: Schlechter misslingt die Eröffnung vollständig und Lasker steht sofort auf Gewinn, doch anstatt ruhig seinen entscheidenden Vorteil zu verwerten, verschärft er mit 15.g4? die Stellung unnötig, was zu einer wilden Partie mit beiderseitigen Chancen führt.[/QUOTE]Dabei habe ich mich hauptsächlich auf das Buch Der Weltmeisterschaftskampf Lasker-Steinitz 1894 von Dr. Robert Hübner (2008) bezogen, das auch ausführlich auf das Match Lasker-Schlechter eingeht.Hübner genieβt seit Jahrzehnten einen hervorragenden Ruf als Analytiker. Er stellt eine ideale Kombination dar: Spielstärke/Schachverständnis, Gründlichkeit und eine wissenschaftliche, strenge Quellenkritik.Nichts weist darauf hin, dass diese 2-Punkte-Klausel zu Schlechters Ungunsten bestanden hätte; Lasker musste die letzte Partie unbedingt gewinnen, um den 5:5-Ausgleich zu erzielen und so seinen Titel zu verteidigen. Allerdings ist die Legende von der 2-Punkte-Klausel immer noch weit verbreitet.Kasparow hat nicht recherchiert, was ein Armutszeugnis für ein schachhistorisches Werk darstellt.Zitat Hübner: “Der Beitrag in Kasparovs Buch, der nach der Erstveröffentlichung dieses Artikels erschien, ist nicht beeindruckend. Er enthält nicht viel Neues, und es werden sogar manche alten, irrtümlichen Auffassungen beibehalten.” (Seite 200).2.) Der zweite Fehler ist in meinen Augen noch gravierender und diskreditiert Kasparows Vorkämpfer-Serie als zuverlässige schachhistorische Quelle.Es geht um die Frage, ob Akiba Rubinstein, einer der damals stärksten Spieler der Welt, Weltmeister Lasker herausgefordert hätte.Ich habe den ersten Band der Vorkämpfer-Reihe auf Englisch und erlaube mir der Einfachhalt halber, die deutsche Übersetzung, welche Kiffing in dem o.g. Rubinstein-Thread angegeben hat, mit meiner Anwort wiederzugeben (die Hervorhebung ist von mir); sinngemäβ stimmen beide Versionen überein:Kasparow (MgV, Band 1, S.220): "Es bleibt unklar, ob es an dem nahenden Ersten Weltkrieg lag, oder ob Rubinstein doch einfach der Mut fehlte fehlte – jedenfalls konnte er sich letztendlich nicht dazu durchringen, den Champion offiziell zu fordern. Er war ein ruhiger und bescheidener und sehr zurückgezogen lebender Mensch, der vor allem nicht pragmatisch handeln konnte, wie es aber in gewissen Situationen nun einmal unerläßlich ist"[QUOTE=blunder1;29161]Ich bin einfach nur sprachlos!Das war mir davor gar nicht aufgefallen; na ja, die Reihe, die ich selber besitze, ist schon sehr kritisiert worden, nicht nur weil Kasparow kaum etwas selber geschrieben haben soll und ständig fremde Analysen benutzt werden.Der WM-Wettkampf Lasker-Rubinstein war in trockenen Tüchern und hätte im Herbst 1914 stattgefunden, wenn der 1. Weltkrieg nicht ausgebrochen wäre.Donaldson und Minev beschreiben in ihrer Rubinstein-Biographie (Volume 1: Uncrowned King) nicht nur genau die Verhandlungen 1913/14, welche in zeitgenössischen Medien veröffentlicht wurden; die Autoren beziehen sich auf (und zitieren auch ausführlich) American Chess Bulletin, New York Evening Post (inklusive einer Kolumne von Lasker vom 13.9.1913) und Philadelphia Inquirer.Donaldson und Minev drucken auch den gesamten Vertrag ab, der das Match regelte.Auszugsweise: Alles ist genau geregelt: die Regeln, die Finanzen, das geplante Wettkampfbuch und seine Vermarktung.Der Wettkampf hätte, wie damals üblich, an mehreren Orten stattgefunden, je nach Sponsorenbeteiligung. In den USA bestand groβes Interesse.Rubinstein hätte Lasker nicht herausgefordert? Was ist da wieder in Meine groβen Vorkämpfer zu lesen...Die sowjetische Geschichtsschreibung genoss einen miserablen Ruf und auch die heutige russische gilt nicht als gut; die Verfälschungen (+ schlechte Recherche) über Jahrzehnte hinweg haben Spuren hinterlassen.Mit Schachgeschichte sieht es kaum besser aus.[/QUOTE]Die zweibändige Rubinstein-Biographie The Life and Games of Akiva Rubinstein von IM Donaldson und IM Minev ist die am besten recherchierteste und vollständigste, von der ich weiβ.Auch H. Wenz erwähnt in seinen Buch Akiba Rubinstein Ein Leben für das Schach den für den Herbst 1914 angesetzten WM-Wettkampf, welcher dem Kriegsausbruch zum Ofer gefallen ist.Wie kann Kasparow (oder wer auch immer das in seinem Namen, unter Kasparows Anleitung, produziert hat) in einem Werk, das den Anspruch erhebt, eine genaue Beschreibung der Schachweltmeister und ihrer stärksten Gegner - einschlieβlich ihrer Beiträge zur Entwicklung des Schachs - zu sein, so etwas schreiben?Wenn ich einen solchen Unsinn bei einem Vortrag während des Geschichtsunterrichts in meiner Schulzeit von mir gegeben hätte, hätte ich eine wohlverdiente “6” und einen Rüffel erhalten.Mein Fazit: Mit seiner Vorkämpfer-Reihe hat sich Kasparow ein groβes Ziel gesetzt. Ich glaube, dass sein Werk nicht ohne Meriten ist, doch ist es meiner Ansicht nach zu schnell und zu oberflächlich für den raschen Verkauf produziert worden. Fremde Analysen sind ohne Quellenangabe herangezogen worden und ganz besonders in Bezug auf die alten Meister ist nicht ordentlich (wenn überhaupt) recherchiert und alte Mythen und Unwahrheiten sind unkritisch übernommen worden.Daher halte ich es nicht für eine zuverlässige schachhistorische Quelle.

Beitrag von Kiffing

Herzlichen Dank für die fundierte Position. Ich finde es toll, was du machst und werde mich später noch dazu äußern. :top:

Beitrag von blunder1

Danke, es kommt noch ein 2. Teil von mir.Ich halte Meine groβen Vorkämpfer keineswegs für schlecht, sondern für durchwachsen.Besonders gut gefällt mir der Teil über Kortschnoi, aber da ist auch gute Arbeit von Kasparow und seinem Team geleistet worden: Kortschnoi ist ausführlich interviewt worden und wird immer wieder zitiert, was einen sehr interessanten Einblick in seine Karriere - wie er sie erlebt hat - gewährt. Rundum gelungen!Der Schwachpunkt der Reihe sind die alten Meister (bis einschlieβlich Aljechin). Da ist nicht gut recherchiert worden. Auβerdem ist bei Tschigorin und Aljechin die alte sowjetische Sichtweise (beide wurden in der UdSSR als Vorväter des Sowjetschachs verherrlicht und zu positiv dargestellt, bei allen ihren Verdiensten; beide waren groβartige Spieler) übernommen worden.

Beitrag von Lasker2.1

An großen Namen der Nachkriegszeit fallen mir jetzt gerade vor allem Fischer (nach 1972 untergetaucht) und Keres (1975 verstorben, da war Garry gerade mal 12) ein, die er wohl nie getroffen hat. Den Großteil der relevanten Weltmeister und Herausforderer wird er mehr oder weniger gut gekannt haben. Allein als Botwinniks Schüler wird er ja schon viel aus erster Hand erhalten haben.Kasparov hatte sich ja auch nicht gerade positiv über die "alten" Meister vor und um Steinitz geäußert? Auch "schwächere" Spieler kamen bei Ihm nie gut weg, sinngemäß sind alle unter 2600 Elo Patzer.Gleichzeitig nimmt ja mit zunehmendem zeitlichen Abstand die Relevanz für Kasparovs Kämpfe in den 1980ern ab. "Ich schreib mal über alle Weltmeister ab Botwinnik, bleib mir mit den ollen irrelevanten Kamellen vom Leib" hätte für Empörung gesorgt und den Verkaufserlös geschmälert. Evtl. ist das Material für die ersten Bände aus so einem oder einem ähnlichen Grund vielleicht etwas halbherzig erstellt worden.

Beitrag von blunder1

Ich erinnere mich noch sehr gut an den Medien-/Werberummel, als der erste Band erschien ("Meilenstein der Schachliteratur", "Jahrhundertwerk").Bei einem so ehrgeizigen Projekt hätte es Sinn ergeben, renommierte Schachhistoriker wie Edward Winter oder John Donaldson ins Team zu holen, um sich auch bei den alten Meistern abzusichern.[QUOTE=Lasker2.1;29176]Kasparov hatte sich ja auch nicht gerade positiv über die "alten" Meister vor und um Steinitz geäußert[/QUOTE]Das sehe ich anders: Kasparow bringt gut rüber, dass es Qualitätssprünge im Spiel der alten Meister gab, was ganz natürlich ist. Erst 1872 begann mit Steinitz eine wissenschaftliche Erforschung des Schachs und sehr viel steckte in den Kinderschuhen.Die heutigen Meister spielen gleichförmiger, weil sie auf viel mehr Kenntnisse und EDV zurückgreifen können.

Beitrag von blunder1

Teil 2 meines Themas.Wie schon in #3 erwähnt, glaube ich, dass die Beschreibung der alten Meister den Schwachpunkt von Kasparows Vorgänger-Reihe darstellt; dies möchte ich – nach den beiden groben Fehlern, die ich bereits in meinem Thema erwähnt habe - anhand von 3 Beispielen erläutern, die Unwahrheiten/Verharmlosungen, welche in der sowjetischen Schachgeschichte verbreitet waren, unkritisch übernehmen.1.) Nach der falschen Behauptung, dass Rubinstein Lasker nicht herausgefordert hätte, zitiert Kasparow Botwinnik, der, zusammengefasst, erklärt, dass Lasker gewusst hätte, wann er gefährlichen Gegnern (z. B. Rubinstein oder Capablanca) ausweichen musste, d.h. wenn sie in Topform waren.Was Capablanca angeht, so kann ich mir kein Urteil erlauben. Wenn ich etwas bei meinem Interesse für Schachgeschichte bis heute verstanden habe, so ist es die Tatsache, dass ich mir keine Meinung bilden kann, solange ich nicht Zugang zu zuverlässigen Quellen habe (möglichst mehrere!). Es gab vor dem 1. Weltkrieg eine Meinungsverschiedenheit bei ersten Verhandlungen zwischen den beiden (“obviously unfair”), doch hat der WM-Wettkampf 1921 stattgefunden und Lasker hat danach noch 7 Turniere bestritten (Mährisch-Ostrau 1923 bis Nottingham 1936), bei welchen Capablanca 5 Mal teilnahm. Dazu kommt, dass Lasker 20 Jahre älter als Capablanca war; es lag – sportlich betrachtet - in seinem Interesse, den unausweichlichen Wettkampf so früh wie möglich zu bestreiten.Was Rubinstein betrifft, so gibt Botwinnik die gängige Version in der sowjetischen Schachgeschichte wieder und die ist einfach falsch.Wie ist die Angelegenheit chronologisch erfolgt?Rubinsteins Glanzjahr war 1912, als er 4 groβe Turniere und ein kleineres (Warschau Ende des Jahres) hintereinander gewann. Diese Turniere waren lang und Rubinstein hat das ganze Jahr über gespielt bzw. sich auf das nächste Ereignis vorbereitet.Dann, 1913, erfolgte seine Herausforderung an Lasker.Die Organisation eines WM-Wettkampfs war damals eine schwierige und zeitaufwändige Sache; die Spieler mussten erst einmal Sponsoren finden. Dabei war es Lasker - der Weltmeister, nicht der Herausforderer – der in den USA richtig die Werbetrommel rührte. Donaldson und Minev geben seitenweise damalige Zeitungsberichte wieder. Das lag auf der Hand: Lasker hatte viele Jahre in den USA gelebt, sprach flieβend Englisch und führte Kolumnen.In Anbetracht der Tatsache, dass die Sponsorensuche normalerweise langwierig war, ist die Übereinkunft zwischen Lasker und Rubinstein eigentlich sehr schnell erfolgt. Schon im Sommer 1913 war alles klar: Lasker wollte das Match, Rubinstein ebenso, der Vertrag war in trockenen Tüchern, die Finanzierung war gesichert und der Wettkampf stand für 1914 fest. Dabei waren Rubinsteins herausragende Erfolge mit Sicherheit hilfreich gewesen: In den USA bestand ein riesiges Interesse, da man einen groβartigen Wettkampf erwarten konnte (ach, dieser verdammte 1. Weltkrieg!, sage ich jetzt als Schachliebhaber).Botwinniks Behauptung, dass Lasker Rubinstein ausgewichen sei, ist einfach nur Unsinn und wenn Kasparow besser recherchiert hätte, wäre zumindest eine Relativierung von Botwinniks Äuβerung erfolgt; wahrscheinlich wäre sie gar nicht in das Buch aufgenommen worden.Ich weiβ nicht, warum sich diese Unwahrheit in der Schachgeschichte in der UdSSR etabliert hat.Milan Vidmar schreibt in seinem Klassiker Goldene Schachzeiten, dass Steinitz und Lasker immer bereit gewesen wären, Herausforderern entgegen zu treten, und dass das Ausweichen/Abblocken von Capablanca mit dem Londoner Abkommen 1922 eingeführt worden sei (S. 175).2.) Tschigorin ist in der UdSSR als einer der Vorväter der sowjetischen Schachschule verherrlicht worden. Er war ein begnadeter Angriffs-/Gambitspieler. Warum hat er dann beide WM-Wettkämpfe gegen Steinitz verloren (1889 und 1892, beide in Havanna)? Er war erschreckend einseitig.Es genügt, sich die Partien des 1. Wettkampfs anzuschauen, den Tschigorin mit +6, =1, -10 verlor.Steinitz eröffnete seine Weiβpartien mit 1.Sf3 mit Übergang ins Damengambit/Damenbauernspiel und erzielte +7, =0, -1. Nicht nur war das Ergebnis entscheidend, alarmierend ist die Leichtigkeit, mit der Steinitz diese Partien gewann; Tschigorin wirkte regelrecht hilflos.Warum stellt Kasparow dann nicht die offensichtliche Frage, obwohl er Tschigorins katastrophales Schwarzergebnis wiedergibt?Warum war Tschigorin in gewissen Stellungen unwiderstehlich, während er in geschlossenen verloren wirkte?Tschigorin war seit 1876 Profi, hatte sein erstes internationales Turnier 1881 in Berlin bestritten und war theoretisch sehr beschlagen. Wie konnte er dann 1889 in geschlossenen Stellungen so untergehen?Der zweite Wettkampf (1892) war knapp: Tschigorin verlor mit +8, =5, -10.Doch Steinitz machte ihn auch spannend. Erst als der Verlust seines Weltmeistertitels drohte, stieg er auf geschlossene Eröffnungen um (letzte 3 Weiβpartien) und siegte erneut kinderleicht.Warum stellt Kasparow dann nicht die offensichtliche Frage? Wie ist es möglich, dass Tschigorin 3(!) Jahre nach seinem ersten Schwarz-Fiasko keinen Schritt weiter gekommen war?Kasparow gibt Tschigorins Schwarzsieg (Damengambit) gegen Lasker in Hastings 1895 wieder, doch schreibt er, dass Lasker schon nach 14 Zügen praktisch auf Gewinn stand. In seiner Spielanlage gegen 1.d4/1.Sf3 war Tschigorin immer noch erschreckend schwach. Er hasste das Damengambit, obwohl er die Stärke dieser Eröffnung eingestand.Deswegen ist er nicht Weltmeister geworden.Kasparows Analyse von Tschigorin ist unausgewogen und gibt die alte sowjetische Beschreibung seines Schachs wieder: Tschigorins unbestreitbare Stärken werden hervorgehoben, doch seine chronische, entscheidende Schwäche in geschlossenen Stellungen wird verharmlost bzw. unter den Teppich gekehrt.Meiner Ansicht nach keine gute, seriöse Arbeit von Kasparow.3.) Aljechin ist ebenfalls als einer der Vorväter der sowjetischen Schachschule verherrlicht worden.Er war schon in seiner Jugend ein brillanter Kombinationsspieler und ist dann nach jahrelanger, harter Arbeit deutlich kompletter geworden, was sein Positionsspiel und seine Endspielbehandlung anging. Dazu war er ein hervorragender Eröffnungstheoretiker und der erfolgreichste Schachbuchautor seiner Zeit.Kasparow würdigt seine zahlreichen Stärken, doch stellt ihn – ganz im Stil der sowjetischen Schachgeschichte – zu positiv dar.Er erwähnt nicht: Ganz heikel wird es bei Aljechins schändlicher Rolle während des 2. Weltkriegs (s. Kiffings Alexander Aljechin zwischen Opportunismus und Kollaboration).Kasparow erklärt die Entstehung der unsäglichen Artikelserie Aljechins Jüdisches und arisches Schach mit Aljechins Nachgeben unter deutschem Druck, der die Freiheit und das Leben seiner Frau Grace bedroht hätte. Trifft das zu? Hat es diesen Druck wirklich gegeben? Was ist mit Aljechins “Freundschaft” mit Hans Frank, dem “Schlächter von Polen”? Oder seiner mehr als traurigen Rolle, als es darum ging, seinem ehemaligen Sekundanten Salo Landau beizustehen? Kasparow erwähnt die letzten beiden Punkte gar nicht.Auch der Abschnitt über Aljechin in Meine groβen Vorgänger ist unausgewogen und stellt Aljechin – ganz im alten sowjetischen Stil – zu positiv dar.Meiner Ansicht nach keine gute, seriöse Arbeit von Kasparow.