Beitrag von blunder1
Die letzten Jahre hat – in meinen Augen glücklicherweise – eine deutliche Verbesserung bei der Analyse von Schachpartien bzw. dem allgemeinen Schreiben über das Schach stattgefunden.Man geht viel konkreter an das Thema heran und analysiert die Stellung auf dem Brett, ohne zu sehr die allgemeinen Regeln zu beachten, welche von Autoren wie Tarrasch und Euwe aufgestellt worden sind und über lange Zeit hinweg fast als Dogmen galten.Moderne Autoren/Analytiker genieβen, im Vergleich zu früheren Kollegen, zwei Vorteile:- den allgemeinen Wissensstand über Schach, der sich unaufhörlich weiterentwickelt.
- die EDV, vor allem die immer stärker werdenden Engines, welche genauere Analysen ermöglicht.
Beitrag von Babylonia
Herzlichen Dank für deinen Beitrag, Blunder! Ich habe mit Büchern von Max Euwe gelernt, die für mich den Vorteil haben, dass ich auch welche in der niederländischen Originalversion habe. Er ist 1981 verstorben aber nach wie vor der große Guru in den Niederlanden. In seinen Lektionen über positionelles Schach beruft er sich auf die Lehren von Steinitz. Ansosnten habe ich auch das Lehrbuch "Schach Zug um Zug" von John Nunn, mit dem ich noch nicht näher gearbeitet habe, da ich seit längerem systematisch mit der Stappenmethode von Cor van Wijgerden und Rob Brunia lerne. Die gibts in 4 Sprachen und je nach Sprachengeschmack kann man sich die Übungshefte und Trainerhandbücher auf Niederländisch, Deutsch, Englisch oder Französisch bestellen. BabyloniaBeitrag von blunder1
Auch Tarrasch griff Steinitz Lehren auf und führte sie weiter. Ich halte Steinitz für den wichtigsten und einflussreichsten Denker der Schachgeschichte, aber man sollte auch immer versuchen, den historischen Kontext im Auge zu behalten:Steinitz war ursprünglich ebenfalls ein Kind seiner Zeit gewesen und hatte das damals typische, romantische Schach gespielt, doch 1872 begann er, seine Positonslehre auszuarbeiten. Er war ein Pionier und ich glaube, dass er es manchmal – wie alle Pioniere – (auch) in seinen Partien übertrieb, vor allem, dass er positionellen Aspekten zu viel Bedeutung beimaβ und dynamischen zu wenig, was gelegentlich zu skurrilen Stellungen und schweren Niederlagen führte; auch er war – für moderne Verhältnisse - nicht konkret genug.Aber damals war alles noch Neuland, auch für Tarrasch, der dann als Lehrer (vor allem, aber nicht nur, in deutschsprachigen Kreisen als Praeceptor Germaniae) in Steinitz Fuβstapfen trat.Tschigorins Herangehensweise an das Schach war konkreter, “moderner”, aber dafür hatte er andere Schwächen, war allem seine Behandlung geschlossener Stellungen, die man für einen Spieler seiner Klasse (er galt 1889 als der zweitstärkste Spieler der Welt) nur als katastrophal bezeichnen kann.Lasker war universell und modern, daher war er über viele Jahre hinweg so überlegen; sein Talent gehörte natürlich auch zu den Gründen. Leider hat er über sein Schach nur wenig geschrieben.Vor allem Tarrasch, der Laskers Schach nicht verstand, hat mit seinen Schriften/Analysen über ein Jahrhundert hinweg ein falsches Lasker-Bild populär gemacht, das immer noch weit verbreitet ist.Wirklich bedenklich ist, dass auch modernere Autoren dieses Bild unkritisch übernommen haben: Nunn gibt in seinem Buch John Nunns Chess Course Beispiele an (Kapitel 2 Misunderstood Genius, S. 11-15). Um an das Thema unvoreingenommen heranzugehen, hat Nunn zuerst Laskers Schach mit Computerunterstützung analysiert und dann seine Erkenntnisse mit älteren Analysen verglichen; die Ergebnisse sind erstaunlich, vor allem wie falsch diese Analysen sein können.Beitrag von Babylonia
Als ich im Anfängerschachkurs war (das müsste so 1990 herum gewesen sein) haben wir mit dem Lehrbuch "Das Schachspiel" von Tarrasch Grundlagen der Endspieltheorie geübt. Das Buch kommt von der Aufmachung und dem Druck so altertümlich daher, ich wollte mit dem Buch gar nicht selbstständig lernen. Natürlich habe ich den Unterricht besucht und dort die Übungen gemacht dabei einiges über die Opposition gelernt. Das ist alles schon lange her. Das Buch war inzwischen total vergilbt, ich habe das weggegeben. Also meine Erfahrung hat mich nicht zum Fan von Tarrasch gemacht. BabyloniaBeitrag von blunder1
Wie schon erwähnt, hat sich Tarrasch groβe Verdienste um das Schach erworben.Zu seiner Zeit war alles noch ganz neu: Steinitz hatte mit seiner Positionslehre eine regelrechte Revolution ausgelöst und die damaligen Autoren mussten sozusagen das Rad neu erfinden.Darum sollte man auch nicht zu streng mit ihm umspringen. Heutzutage, mit Abstand, viel mehr Kenntnissen über Schach und der EDV kann man Schach viel besser erklären/analysieren.Beitrag von blunder1
Der Vollständigkeit halber will ich noch hinzufügen, dass auch andere Autoren/Experten wie Watson oder Soltis zu der Neubewertung von Laskers Schach beigetragen haben.Laskers Spiel enthielt Elemente, die im modernen Schach üblich sind, aber damals neu/unbekannt waren:- der “Bajonett”-Angriff g2-g4 gegen die Sizilianische Drachenvariante
- positionelle Opfer (im Gegensatz zu taktischen)
- den pragmatischen Zug spielen und nicht immer den besten suchen (Tarrasch glaubte an den besten Zug)
- den Gegenangriff suchen und die Stellung verkomplizieren, bevor ein Nachteil zu groβ wurde