Schachburg-Archiv: Benutzerthema „An der Schwelle zur Neuzeit“

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Beitrag von Kiffing

Um die Schwelle zum 16. Jahrhundert gab es ja eine tiefgreifende Reform des Schachspiels. Die Dame, der ehemalige Berater des Königs, zog nun nicht mehr nur ein Feld diagonal, sondern avancierte zur stärksten Figur. Wie sie heute zieht, wissen wir alle. Und auch der Läufer konnte seine Kraft vergrößern. Statt nur zwei Diagonalfelder weit, konnte er nun auf den Diagonalen ziehen, wie der Weg frei für ihn war.Alles hat aber seine Ursache. In diesem Sinne soll es in diesem Thread darum gehen, warum es zu diesen drastischen Regeländerungen gekommen ist. Eine populäre soziohistorische Erklärung wäre die, daß diese Regeländerungen dem Zeitgeist gewissermaßen Rechnung trugen. Es war die Schwelle zwischen Mittelalter und Neuzeit, und die Menschen wollten sich nicht mehr damit abfinden, fatalistisch ihren von der Kirche zugewiesenen Platze bis zum Tode einzunehmen, sondern sie wollten gewissermaßen heraus, die Welt selbst entdecken und erforschen. Es war eine stürmische Zeit, in der vieles erfunden wurde. Insofern mußte alles schneller, höher und weiter gehen, und genau deswegen wollte man auch beim Schach schnell vollendete Tatsachen schaffen. Eine Zusatzerklärung wäre die, daß es damals eine ganze Reihe verblüffend starke Frauen wie Jean d´Arc gegeben hatte, welche die Menschen derartig inspiriert hätten, daß sie beschlossen, zur stärksten Figur die Dame zu küren. Wer weiß, vielleicht haben die Erfinder damals an Jean d´Arc gedacht, als sie auf dem Schachbrette der Dame ihre neue Rolle zuwiesen.