Schachburg-Archiv: Benutzerthema „O Du lieber Augustin - Schach im 30jährigen Krieg“

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Beitrag von Kiffing

Wir sind doch nunmehr ganz, ja mehr denn ganz verheeret!Der frechen Völker Schar, die rasende PosaunDas vom Blut fette Schwert, die donnernde KarthaunHat aller Schweiß, und Fleiß, und Vorrat aufgezehret.Die Türme stehn in Glut, die Kirch’ ist umgekehret.Das Rathaus liegt im Graus, die Starken sind zerhaun,Die Jungfern sind geschänd’t, und wo wir hin nur schaun,Ist Feuer, Pest, und Tod, der Herz und Geist durchfähret.Hier durch die Schanz und Stadt, rinnt allzeit frisches Blut.Dreimal sind schon sechs Jahr, als unser Ströme Flut,Von Leichen fast verstopft, sich langsam fort gedrungen.Doch schweig ich noch von dem, was ärger als der Tod,Was grimmer denn die Pest, und Glut und Hungersnot,Dass nun der Seelen Schatz so vielen abgezwungen. Alfred Gryphius 1636, Tränen des Vaterlandes[video=youtube;mLdwTtdl2cQ][Hier befand sich ein Link auf die Seite "https://www.youtube.com/watch?v=mLdwTtdl2cQ". 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Falls der Link unangemessen oder ohnehin unerreichbar geworden ist, kann die im Impressum genannte Adresse mit einer Bitte um Entfernung kontaktiert werden.][/IMG]1616 verfaßte der jüngste Sohn des Herzogs Heinrich zu Braunschweig und Lüneburg, August, genannt der Jüngere, unter dem Kryptonym Gustav Selenus mit „[URL="http://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/schach1616"]Das Schach- oder König-Spiel[/URL]“ das erste deutschsprachige Schachbuch, das er umgehend an die Fürstenhöfe in deutschen Landen versendete und das bereits ein Jahr später neu aufgelegt wurde. Der 1579 geborene August der Jüngere hatte bei der Herstellung des Buchs keine Kosten und Mühen gescheut, dieses Buch sollte ein Prestigeobjekt sein, und so ließ er sich und einige Hofherren in dem farbenfrohen und reichhaltig bebilderten Werk von dem bekannten Straßburger Kupferstecher Jacob von der Heyden abbilden und den Kupferstich in das Buch einheften (vgl. Joachim Petzold, Schach - Eine Kulturgeschichte, Edition Leipzig 1986, S. 177). Joachim Petzold hatte sich mit dem Gehalt des Buches auseinandergesetzt und befunden, der schachliche Teil sei, von Zusätzen abgesehen, eine Übersetzung von Ruy Lopez, „dem [URL="http://www.spanien-bilder.com/lexikon/ruy-lopez-de-segura.htm"]Vater der Schachtheorie[/URL]“, d. h. von dessen 1561 in Spanien und Italien erschienenem einflußreichen Lehrbuch „Die Erfindungsgabe und Spielkunst im Schach“ gewesen. „Die schachhistorischen und schachphilosophischen Betrachtungen dagegen sind sein geistiges Eigentum". (Petzold, S. 178f.). Trotz der genannten Mängel sei die Herstellung dieses opulenten Werkes nach Petzold insgesamt ein „großes Verdienst“ gewesen, „denn wer hatte [in deutschen Landen] zu Beginn des 17. Jahrhunderts schon die Möglichkeit, sich einen Überblick darüber zu verschaffen, was alles über Schach geschrieben stand?" (ebd. S. 179). Tatsächlich war Deutschland, das im Zeitalter von Renaissance, Bauernkriegen und Reformation ganz andere Probleme hatte, von der Blütezeit des Schachs nach der großen Zugreform an der Schwelle zur frühen Neuzeit, nahezu ausgeschlossen. Diese hatte sich in Spanien und Italien befunden, wo sich die spanischen und italienischen Meister harte Kämpfe um die Vorherrschaft im Schach lieferten. 1575 war der Stab nach dem Sieg der Italiener Leonardo da Cutri und Paolo Boi gegen die Spanier Ruy Lopez und Alsons Seran beim Viermeisterturnier in Madrid am Hofe Philipp II. an die Italiener übergegangen. Der Turniersieger Leonardo da Cutri hatte von Philipp II. 1000 Scudi, einen kostbaren Hermelinmantel, einen mit Edelsteinen verzierten Salamander sowie nach dem Vorbild der Weizenkornlegende einen freien Wunsch erhalten. Cutri hatte sich vom König die Steuerbefreiung seiner Heimatstadt Cutro gewünscht, die er für 20 Jahre gewährt bekam, und er war nach Portugal weitergezogen, wo er am Hofe Sebastian I. den portugiesischen Vorkämpfer El Morro bezwang. [IMG][Hier befand sich ein Link auf die Seite "https://i.imgur.com/e4SMshG.jpg". Der Link wurde vom Benutzer mit dem Titel "https://i.imgur.com/e4SMshG.jpg" versehen. Aus urheberrechtlichen Gründen ist es möglicherweise erforderlich, diesen Hinweis beizubehalten, da manche Benutzer die Quelle ihrer Zitate von anderen Internetseiten so gekennzeichnet haben. Dieser Hinweis wurde automatisch an Stelle des früheren Links platziert. Falls der Link unangemessen oder ohnehin unerreichbar geworden ist, kann die im Impressum genannte Adresse mit einer Bitte um Entfernung kontaktiert werden.][/IMG]Insgesamt hatte es also mehr als hundert Jahre nach Erfindung des Buchdrucks, der natürlich auch die Schachliteratur revolutionieren und popularisieren sollte, und der großen Zugreform gedauert, bis auch in Deutschland ein für zumindest alle Lesekundigen verstehbares Schachbuch, das sich mit dem Schach nach den neuen Regeln auseinandersetzt, erschienen war. Doch kaum war der erste Schritt getan, da goß es auch schon wie aus allen Kübeln, und über Deutschland sollte ein Weltgericht einbrechen, das die damals virulent grassierenden apokalyptischen Vorstellungen vom Weltende vieler Deutscher geradezu real werden ließ. Der Verfasser dieses Schachbuchs selbst, ein überhaupt gelehrter Fürst, der vermutlich durch seine Italienreise als junger Mann mit der ganzen Wucht des im Süden herrschenden Schachenthusiasmus vertraut geworden war, hatte seinem Buch einen schmucken Titelkupferstich voranstellen lassen, der nach Petzold von der Kunsthistorikerin Marion Faber folgendermaßen entschlüsselt worden war:[QUOTE]Dargestellt ist die Legende von Palamedes, der im Trojanischen Krieg das Schach- und auch das Würfelspiel erfunden haben soll. Im oberen Teil des Kupfers sieht man den griechischen Helden, der die Züge Herzog Augusts trägt, beim Schachspiel im Kriegszelt, während im Hintergrund das Trojanische Pferd durch die Stadt gezogen wird... Die Szene auf der linken Seite des Kupfers zeigt den sich geisteskrank stellenden Odysseus, der der trojanischen Sage zufolge einen Ochsen und ein Pferd zusammen vor den Pflug spannte und statt Saatgut Salz in die Ackerfurche streute, um nicht in den Krieg ziehen zu müssen. Möglicherweise sah Herzog August sich zwei Jahre vor dem Ausbruch des Dreißigjährigen Krieges auf seinem Schloß Hitzacker ganz in der Rolle des Odysseus, der nicht bereit ist, am Krieg teilzunehmen.[/QUOTE]Petzold, S. 177.fAls zwei Jahre nach Erscheinen des Schachbuchs der Prager Fenstersturz das Fanal zum großen Krieg geben sollte, sollte August, dem es trotz ungünstiger Voraussetzungen als jüngstes Kind von sieben Kindern 1635 als August II. gelang, zum Landesvater von Braunschweig-Lüneburg aufzusteigen, alles dafür tun, sein Reichsfürstentum aus dem Krieg herauszuhalten. Neun Jahre mußte er in der Burg Dankwarderobe ausharren, bis er sich sicher genug fühlte, seine Regierungszeit anzutreten und seine Reformpolitik durchzusetzen. Zu dem gelehrten und bildungshungrigen Fürsten, dem der Krieg von Anfang an zuwider war, paßt, daß er aus der Burg gleich [Hier befand sich ein Link auf die Seite "https://de.wikipedia.org/wiki/August_II._(Braunschweig-Wolfenbüttel)". Der Link wurde vom Benutzer mit dem Titel "55 Bücherkisten" versehen. Aus urheberrechtlichen Gründen ist es möglicherweise erforderlich, diesen Hinweis beizubehalten, da manche Benutzer die Quelle ihrer Zitate von anderen Internetseiten so gekennzeichnet haben. Dieser Hinweis wurde automatisch an Stelle des früheren Links platziert. Falls der Link unangemessen oder ohnehin unerreichbar geworden ist, kann die im Impressum genannte Adresse mit einer Bitte um Entfernung kontaktiert werden.] mit einem Gewicht von 470 Zentnern, den Grundstock seiner Bibliotheca Augusta, die später zur größten Bibliothek Europas werden sollte, mitanschleppte. Er war ein Mann des Geistes und nicht ein Mann des Schwertes und in diesen schweren Zeiten damit fast schon ein Unikat.Es gibt momentan keine Schrift, in der sich mit den Wechselwirkungen des Dreißigjährigen Krieges mit dem Schachspiel gesondert auseinandergesetzt wird. Dadurch besteht bis heute eine Lücke, denn das Verständnis vom Schach im Dreißigjährigen Krieg, das Verständnis von den Folgen dieses im wahrsten Sinne des Wortes verheerenden Krieges auf das Schachspiel, das als Phänomen der Kulturgeschichte (Bruns) immer in einem symbiotischen Verhältnis zu seiner Umwelt, ihrer materiellen Basis und ihren geistigen Strömungen steht, ist unerläßlich dafür zu begreifen, daß die kulturelle Erschöpfung, die sich nach dem Dreißigjährigen Krieg in Europa abbildete, in einer ähnlichen Weise auf das Schachspiel rückkoppelte, so daß hier von einer gewaltigen Zäsur ausgegangen werden muß, die sich ungefähr von 1634, dem Todestag Grecos, bis 1749, dem Erscheinen von Philidors Analyse des Schachs, erstreckte. In diesem Thread soll versucht werden, diese Lücke zu schließen und das Verständnis für diese Vorgänge zu wecken, so daß nicht nur die Zäsur im Schach, die Folge von den Verheerungen des Dreißigjährigen Krieges gewesen war, als solche, sondern auch in ihren konkreten Ausgestaltungen erkannt werden kann. Es soll aufgezeigt werden, was damals zwischen 1618-1648 auch im Weltschach geschah. Ein Blick auf die Folgen für das Schachspiel in Europa wird natürlich nicht fehlen. Gerne kann hier im Anschluß an diesen Bericht über Detailfragen weiter diskutiert werden.Seit dem Augsburger Frieden von 1555 hatte es in weiten Teilen Europas eine lange Friedensperiode gegeben. Der Friede von Augsburg krankte aber an zwei Beschlüssen. Zum einen bedeutete das Prinzip cuius regio eius religio, daß der jeweilige Landesherr seinen Untertanen seinen Glauben aufzwingen konnte. Zum anderen waren im Zuge von Reformation und Gegenreformation nur die Lutheraner, nicht aber die Reformierten um deren Religionsführer Calvin und Zwingli als gegenüber den Katholiken gleichberechtigt anerkannt. Zudem kam, daß zwar der Süden sowie der Norden Europas relativ einheitlich katholisch bzw. protestantisch gewesen waren, nicht aber die hier völlig zerrissenen deutschen Fürstentümer, um die Seelen ihrer Bewohner folglich gerungen und gekämpft werden konnte, so daß das Heilige Römische Reich Deutscher Nation quasi handlungsunfähig wurde. Denn wurde im HRRDN ein katholischer Kaiser gewählt, wurde er von den protestantischen Reichsteilen boykottiert, während es umgekehrt genauso war.Böhmen, d. h. das heutige Tschechien, war das Mutterland der Reformation. Der Reformator Johann Hus hatte bereits mehr als 100 Jahre vor Martin Luther auf Mißstände der katholischen Kirche aufmerksam gemacht und viele Anhänger für sich gewinnen können. Zwar wurde Jan Hus 1415 während des Konstanzer Konzils in die Falle gelockt und verbrannt, seiner Lehre konnte dieser Ketzerprozeß aber nichts anhaben. Im Gegenteil, so löste sein Tod in seinem Volk erst Recht Verärgerung aus und lange vor dem Dreißigjährigen Krieg wurde ganz Böhmen im Zuge der Hussitenkriege verwüstet. In diesem Zusammenhang hatte es übrigens 1419 bereits einen ersten Prager Fenstersturz gegeben.Böhmen war auch der Ausgangspunkt der unter dem Begriff des Dreißigjährigen Krieges zusammengefaßten kriegerischen Auseinandersetzungen. Die überwältigende Mehrheit der Böhmen gehörte einer protestantischen Strömung an, aber Böhmen war de facto ein Protektorat der katholischen Habsburger-Dynastie. Zwar hatte Rudolf II., der nicht nur als Kaiser dem HRRDN vorstand, sondern gleichzeitig König von Böhmen und Ungarn sowie Erzherzog von Österreich war, 1609 den böhmischen Ständen in seinem Majestätsbrief die freie Religionsausübung gewährt. Doch kam es immer wieder zu Konflikten zwischen der katholischen und protestantischen Bevölkerung. Als nun sein Bruder Matthias, der 1611 in Böhmen und 1612 im HRRDN die Thronfolge übernahm, in Böhmen die Rekatholisierung durchsetzen wollte und den böhmischen Ständen die Zugeständnisse nahm, kam es 1618 in der Prager Burg zum Eklat. Die böhmischen Stände stürmten die Reichskanzlei und warfen die Reichsvertreter aus dem Fenster, die verletzt überlebten, was von den Katholiken als göttliche Fügung gedeutet wurde. Während der Zweite Prager Fenstersturz das Fanal zum Aufstand wurde und die Protestanten sich die Unabhängigkeit Böhmens erkämpften und Friedrich V. von der Pfalz, die protestantische Union und den Herzog von Savoyen, Karl Emanuel I., für sich gewinnen konnten, deren Hilfe allerdings sehr begrenzt war, marschierte ein kaiserliches Reichsheer in Verbund mit dem Herzogtum Bayern auf das revolutionäre Prag zu. Trotz einer zahlenmäßigen Unterlegenheit von 21.000 zu 29.000 Soldaten hatten die aufständischen Böhmen dank ihres Verteidigungsvorteils in der Festungsstadt durchaus ihre Chancen. Hier war es dem Feldherrengenie eines Grafen von Tilly zu verdanken, daß sich die kaiserliche Autorität durchsetzen und ein tödliches Strafgericht gegen die Aufständischen veranstalten konnte. Der Sieg der Katholiken war aus militärstrategischen Gesichtspunkten zwar durchaus glänzend zu nennen, die darauffolgende brutal forcierte Rekatholisierung Böhmens konnte in Europa aber nicht als letztes Wort erscheinen. Längst waren die Protestanten in Europa zu stark geworden, als daß sie sich diese Demütigung und Züchtigung hätten gefallen lassen können. So gab es von Seiten der Protestanten in ganz Europa Solidarisierungskampagnen, und die Protestanten begannen, gegen die Katholiken mobil zu machen, was wiederum deren Aktivierungsbereitschaft anschnellen ließ. Die Spirale des Krieges war unumkehrbar in Gang gesetzt worden, und kaum jemand in Europa sollte dieses Inferno, das von Jahr zu Jahr schlimmere Züge hinterließ, überleben. Nahezu jede Macht in Europa sollte sich bis zum Kriegsende 1648 an diesem Krieg beteiligen. Während der Dreißigjährige Krieg als Religions- und Unabhängigkeitskrieg in Böhmen seinen Anfang nahm, machte sich ein junger Mann aus dem italienischen Kalabrien zu einer Wanderschaft auf. Gioachino Greco, von dem hier die Rede ist, war im Prinzip ein Wunderkind, denn er gelangte bereits in jungen Jahren zur Meisterschaft. Der 1600 geborene Greco hatte schon als 19jähriger in seiner Heimat eine Partiensammlung veröffentlicht und sich intensiv der Schachtheorie gewidmet, wo er trotz des noch jungen Lebensalters des modernen Schachs auf ein reichhaltiges Arsenal bauen konnte. Begeisterung und Neuerscheinungen von Schachbüchern hatten im 16. Jahrhundert ein Niveau erreicht, an dem erst 150 Jahre später wieder angeknüpft werden konnte. Vicent, Lucena, Damiano, Romei und Ruy Lopez hatten bereits wegweisende Schachbücher verfaßt ebenso wie Grecos Landsmänner Gianuzio, Salvio, Carrera und Polerio. Ganz besonders auf Polerio hat Greco theoretisch aufgebaut. Der Schachhistoriker Antonius van der Linde führt Grecos Aufbau auf dem Schacherbe Polerios aus:[QUOTE]Wie aber entstand nun diese schnelle Bekehrung Greco´s (gewiss schon 1622!) zu dem echten Schach der großen Meister? [Linde meint mit Bekehrung die Übernahme der heute gängigen Rochaderegel - Kiffing] Allein aus dem Grunde seiner Bekanntschaft, vor der Abreise aus Italien, mit dem Schachwerke Polerio´s. Greco kam in Berührung mit dem schachliebenden Geschlechte der Boncompagni, und muss auf diesem Wege Einsicht in die Manuscripte des Polerio erlangt haben. Sein Schachgenie durchschaute auf der Stelle, dass darin eine höhere Schule geöffnet war, als diejenige, welche die ersten Jahre seiner Jugend beherrschte. Ohne Zögern ergab er sich der besseren Erkenntniss, machte für sich selbst einen Auszug, und bereicherte einige der vorgefundenen Eröffnungen mit eigenen Varianten. Aus diesem interessanten Resultate geht also hervor, dass Polerio, obgleich er selbst unbekannt geblieben, doch indirect und in der Form des Greco´schen Auszuges „vielfach, bis in die jüngste Zeit, und fast ebenso sehr, wie der methodische Philidor, in allen Ländern verbreitet und studirt worden“ [hier gibt Linde als Quelle le mercure galant von Dezember 1693 an] ist.[/QUOTE]Antonius van der Linde, Das Schachspiel des XVI. Jahrhundert, S. 99Polerio war zusammen mit Paolo Boi und Leonardo da Cutri, der von Salvio 1634 literarisch als Il Puttino (der Kleine) verewigt worden war, nach Madrid zum Viermeisterturnier gefahren, hatte dort erfolgreich seine Landsmänner unterstützt und war als erster Sekundant in die Schachgeschichte eingegangen. Grecos erste Reise als 19jähriger war Rom, wo er nach dem Schachhistoriker Peter J. Monté „in den Palästen die Schachliteratur (López, Polerio, Salvio) studiert und seine ersten Manuskripte verfasst“ hatte (KARL, 2/2015, S. 18). In Rom, wo Greco durch Siege gegen andere Schachmeister zum ersten Mal auf sein großes Können aufmerksam machte, habe er „sehr viele Varianten seiner Vorgänger verbessert und bereichert“ (ebd.). Nach seinem Triumphzug in Rom zog er als „fahrender Schachmeister“ (Petzold, S. 183) nach Lothringen und nach Frankreich, wo er für seine Siege den Preis von 5000 Scudi erhielt. Seine nächste Zwischenstation sollte England werden, diese wurde aber von einem ernsten Zwischenfall überschattet. Gioachino Greco wurde in London überfallen und seines frisch erworbenen Geldes beraubt. Nach Paul Rudolf von Bilguer, einer der Berliner Plejaden und Herausgeber des 1843 erschienenen Handbuch des Schachspiels, sei er bei diesem Überfall „fast ermordet“ (Paul Rudolf von Bilguer, Handbuch des Schachspiels, S. 23) worden. Doch konnte Greco, der sich längst einen Namen gemacht hatte, auch in England die Gunst der Granden gewinnen und sich in England wieder ein Vermögen erspielen. In Spanien gewann Greco wie schon seine „Vorkämpfer“ Paolo Boi und Leonardo da Cutri die Gunst des Königs. Wie schon erwähnt hatten Boi und Cutri am Hofe von Philipp II. gespielt, Greco vermochte es, die Gunst von Philipp IV. zu gewinnen, obwohl oder vielleicht auch, weil Spanien bereits in die Kriegshandlungen Europas eingestiegen war. Philipp IV. war ähnlich jung und ambitioniert wie Greco und war nach dem Untergang der Armada 1588 und der damit verbundenen Schwächung Spaniens der letzte spanische König, der ernsthaft versuchte, eine Großmachtpolitik des Kolonialreichs durchzusetzen. Zu diesem Zweck nahm er die mit dem 80jährigen Krieg 1568 begonnenen Kampfhandlungen in den Kolonien der Niederlanden wieder auf. Während die katholischen Gebiete des heutigen Belgiens kronloyal gewesen waren, waren es die calvinistischen Nordstaaten der Niederlande gewesen, die ähnlich den Böhmen gegen die Habsburger der spanischen Krone einen harten Unabhängigkeitskampf lieferten. Zu diesem Zeitpunkt begannen sich die vormals streng nach Konfessionen aufgegliederten Kriegsteilnehmer zu zerfasern, denn das ebenfalls katholische Frankreich, das nach den blutigen und zentral organisierten Pogromen der Bartholomäusnacht 1572 brutal die Rekatholisierung durchgesetzt und die Hugenotten außer Landes vertrieben hatte, hatte kein Interesse an einer spanischen Rückgewinnung der Kolonien der Vereinigten Niederlande und einer damit verbundenen Einkreisung, was dazu führte, daß Frankreich 1635 völlig überraschend ins protestantische Lager einschwenkte. Gioachino Greco überarbeitete indes 1625 seine schachtheoretischen Abhandlungen, was vor allem unter dem Gesichtspunkt interessant ist, daß er erstmals auch die noch lange nicht überall etablierte Rochade nach dem heutigen Verständnis übernahm. Nachdem er einem „spanischen Granden“ nach den Südamerika vorgelagerten Westindischen Inseln (verfälschend ist heute immer noch von Westindien, was sogar noch Antonius van der Linde behauptete, die Rede) begleitet hatte (Petzold, S. 183), verlieren sich dort seine Spuren. 1634 berichtet Salvio von seinem Tod. Mit seinem frühen Tod, verursacht durch eine [Hier befand sich ein Link auf die Seite "https://de.wikipedia.org/wiki/Gioachino_Greco". Der Link wurde vom Benutzer mit dem Titel "Seuche" versehen. Aus urheberrechtlichen Gründen ist es möglicherweise erforderlich, diesen Hinweis beizubehalten, da manche Benutzer die Quelle ihrer Zitate von anderen Internetseiten so gekennzeichnet haben. Dieser Hinweis wurde automatisch an Stelle des früheren Links platziert. Falls der Link unangemessen oder ohnehin unerreichbar geworden ist, kann die im Impressum genannte Adresse mit einer Bitte um Entfernung kontaktiert werden.], teilte er dann doch noch die Erfahrungen zahlreicher Menschen in dieser Zeit. Denn die marodierenden Soldaten, die Dörfer und Städte heimsuchten, hinterließen in ihrem Zerstörungsrausch Seuchen und Epidemien, von denen die Pest nur die schlimmste und gefürchtetste war, und die den ausgezehrten und traumatisierten Überlebenden den Rest gaben. Wie schon drei Jahrhunderte zuvor im Hundertjährigen Krieg zwischen Frankreich und England stand eine Pestepidemie, die apokalyptische Ausmaße ausnahm, im Zentrum des Krieges, und wie schon in der Mitte des 14. Jahrhunderts starben mehr Menschen an diesen Seuchen als an dem Krieg selbst.Es ist verständlich, daß das Schachspiel in diesen Zeiten, wo die Menschen ganz andere Sorgen hatten, keine guten Tage hatte, und so wirkt schachlich das Wirken Grecos in diesen schlimmen Zeiten wie ein flackerndes Kerzenlicht in der Dunkelheit. Tatsächlich stand er schachlich über allen anderen Meistern seit den Zugreformen kurz vor Ende des 15. Jahrhunderts, und sein Wirken hinterließ nicht nur schachlich, sondern auch theoriedidaktisch einen Meilenstein. Petzold berichtet in diesem Zusammenhang, daß Greco der erste Schachmeister gewesen sei, der sich nicht damit begnügt habe, Eröffnungsvarianten zusammenzustellen, sondern welcher der ganzen Partie seine Aufmerksamkeit schenkte:[QUOTE]Wer die Bücher des Lucena, Damiano und des Ruy Lopez las oder Einsicht in die Aufzeichnungen des Polerio nehmen konnte, bekam zwar Anregungen, wie eine Schachpartie vorteilhaft zu beginnen war, mußte sich aber selbst den Kopf zerbrechen, wie ein Meister den einmal errungenen Vorteil in einen Sieg ummünzen würde. Greco demonstrierte es, indem er seine Kombinationen darlegte und auch Varianten erwähnte. Die von ihm zitierten Partien hatten Lehrcharakter, aber sie erfreuten den Nachspielenden auch als Kunstwerke an sich. Mit Greco begann eine neue Etappe in der Entwicklung der Schachliteratur, in deren Mittelpunkt die Meisterpartien als praktischer Anschauungsunterricht und ästhetischer Genuß steht.[/QUOTE]Petzold, S. 183Mihail Marin, der die historische Mittelspieltheorie im Schach seit den neuen Regeln untersucht hatte, kommt, was die Partien Grecos, die dieser „gespielt (oder wahrscheinlich künstlerisch kreiert) hat“ (KARL, 2/2015, S. 34), zu dem Schluß, daß im Vergleich zu den Musterpartien Philidors, der bekanntlich weit mehr als 100 Jahre nach Greco wirkte, „dass trotz des logischen Ablaufs die Genauigkeit [der Partien Philidors] hinter der von Greco zurückblieb“ (ebd. S. 39). Zwar kann aus heutigem Verständnis Greco vorgeworfen werden, daß das Niveau der Gegner, an denen er seine Angriffsmuster vorexerziert, nicht besonders hoch gewesen war. Doch kann dies, gemessen an der damaligen Zeit, auch zugunsten Grecos ausgelegt werden. So äußert sich Bilguer gegenüber Greco in Bezugnahme zu seiner 1625 veröffentlichten Überarbeitung:[QUOTE]Dies Werk gehört unstreitig zu den vorzüglichsten und zugleich belehrendsten Werken über das Schachspiel. Es enthält ungefähr 150 höchst geistreiche, wenn auch nicht durchgängig neue, Partien ohne Anmerkungen, welche aber selten über den 22sten oder 23sten Zug hinausgeführt sind; den Schluß bilden 6 Endspiele, von denen sich aber ebenfalls, z. B. das zweite Hirschel S. 123) schon bei Salvio (1723, S.135) findet. Häufig ist es dem Greco zum Vorwurf gemacht worden, daß keines seiner Spiele fehlerfrei sei, ja, daß sich oft mehrere Versehen in derselben Partie befänden, ohne daß er sie angebe. Wenn man jedoch die Spiele genauer betrachtet, so wird man wohl selbst leicht die Fehlzüge entdecken, obgleich die Fehler selbst von der Art sind, daß sie im wirklichen Spiel, selbst unter guten Spielern, häufig vorkommen können, und über dies weiß Greco ein jedes Versehen so höchst elegant zu nutzen, daß man schon deswegen hinreichende Unterhaltung und Belehrung im öfteren Durchspielen seiner Partien finden wird. [/QUOTE]Bilguer, S. 23Zu einem ähnlichen Schluß zum Wert der in Grecos Werk vorkommenden Fehler für die Schachdidaktik kommt auch Tassilo von Heydebrand und der Lasa, den Antonius van der Linde ausführlich zitiert:[QUOTE]“Die bekannte Sammlung an Spielen“, sagt Herr v. d. Lasa in der Einleitung seiner aus dem Studium der Manuscripte 1621 (1619), 1623 und 1625 hervorgegangenen Ausgabe des Greco, „welche der geistreiche Calabrese im ersten Drittel des 17. Jahrhunderts aufgezeichnet hat, bildet kein eigentliches Lehrbuch. Sie besteht vielmehr in unsern Ausgaben nur aus Varianten, ohne Anmerkung und rechte Verbindung. Zuweilen kommen darin sehr schwache Züge neben den gewagtesten Angriffen vor, während das einfache, correkte Spiel nicht immer berührt wird. Dennoch sind diese Partien lehrreich und, nach Ponziani´s richtigem Urtheil, wohlgeeignet in einer jungen Phantasie neue Ideen zu erwecken. Auch wird man sich bei neuerem Studium überzeugen, dass viele der Spiele kunstreich aufgestellt und gleichsam aus dem Leben gegriffen sind, indem sich gerade diejenigen Fehler darin finden, welche in der Praxis bei schwächeren und zuweilen bei starken Spielern leicht vorkommen. Die Partien sind reich an passend ausgewählten Fallen und schliessen, trotz ihres Mangels an berichtigenden Noten, auch eine Fülle von leicht verständlichen Combinationen in sich." [/QUOTE]Linde, S. 105Wahrscheinlich erklärt dies am besten die Magie, die Grecos Varianten, der überdies auch als Erfinder des [URL="http://schachclub-hirschau.de/schachgeschichte.htm"]Läuferopfers auf h7[/URL] gilt, vor allem im Königsgambit und der Italienischen Partie auf junge Schachspieler immer noch ausüben, ist doch die Suche nach dem schnellen Gewinn der erste Schritt der schachlichen Entwicklung. Es ist sowohl dem Genie Grecos als auch dem Dreißigjährigen Krieg und dem damit verbundenen kulturellen Niedergang zu verdanken, daß Greco für mehr als einhundert Jahre das größte Vorbild der Schachspieler gewesen war. Petzold spricht von diesen mehr als 100 Jahren, in denen das Grecosche Schachlehrbuch „das Flagschiff der Schachliteratur“ (Petzold, S. 183) gewesen sei, und auch Linde bedient sich dieser mehr als 100 Jahre als Zeitraum, in dem Grecos Partiensammlung „als alleiniger [sic!] Leitfaden für Schachspieler geherrscht hat und erst in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts von Philidors Lehrbuch (1749 und 1777) verdrängt wurde" (Linde, S. 92). 1648 wurde von allen beteiligten Kriegsmächten der Westfälische Frieden geschlossen. Damit endete der 30jährige Krieg, der in Europa eine Verwüstung hinterließ, die nur vergleichbar mit dem Zweiten Weltkrieg, aber, was den prozentualen Bevölkerungsverlust angeht, noch viel verheerender gewesen war. Die Kriegshandlungen, die marodierende Soldateska, das Niederbrennen ganzer Städte, von denen die Magdeburger Bluthochzeit am bekanntesten ist, die Gewaltakte der Bevölkerung untereinander im Zeichen des drohenden Hungertodes, Hunger, Pest und Seuchen, hatten Europa ausgezehrt und ganze Gebiete ausgelöscht. Insgesamt ist in der Zeit von 1618 bis 1648 von einem Bevölkerungsrückgang in Europa von 30-40 Prozent auszugehen, wobei die Auszehrung der Bevölkerung regional schwankte. Was Deutschland angeht, das permanent von marodierender Soldateska heimgesucht wurde, so spricht der Historiker Gert Egle im Zeitraum von 1600 bis 1650 von einer [URL="http://www.teachsam.de/geschichte/ges_deu_konfess_1517-1648/drei_krieg_1618-48/drei_krieg_1618-48_4.htm"]Bevölkerungsentwicklung[/URL] von 15 Millionen zu 10 Millionen. Noch ein Jahrhundert später empfing Friedrich der Große Flüchtlinge aus Frankreich mit offenen Armen, die er mit materiellen Zuwendungen lockte, um in Preußen immer noch entvölkerte Gebiete zu „peuplieren“. Es ist klar, daß solch ein Niedergang, der sich natürlich in den Köpfen und Herzen der Überlebenden fortsetzte, und der noch heute in Deutschland nachwirkt und nach Meinung von Experten verantwortlich für die sprichwörtliche German Angst sei, auf alle Bereiche der Kultur wie ein Alpdruck lastete. Was dieser Niedergang für das Schach zur Folge hatte, das soll jetzt geklärt werden.Der [URL="http://schachclub-hirschau.de/schachgeschichte.htm"]Schachclub Hirschau[/URL] stellt lakonisch fest, daß die „stürmische Entwicklung des Schachs im 16. und Anfang des 17. Jahrhunderts“ dann „entscheidend durch den 30jährigen Krieg beeinflußt“ wurde. Es habe „100 bis 150 Jahre gedauert, bis mit den drei Modenesen [Ponziani, del Rio und Lolli] und Philidor wieder neue große Meister die Szene betraten“. Und auch 1885 - 1892 stand in [URL="http://www.retrobibliothek.de/retrobib/seite.html"]Meyers Konversationslexikon[/URL] in der Abhandlung zum Begriff „Schachspiel“: „Vom Dreißigjährigen Krieg an bis Mitte des 18. Jahrh. lag das S. in ganz Europa danieder“. Ebenfalls ein Gefühl für diesen Niedergang können wir entwickeln, wenn wir uns Ehns und Kastners Schicksalsmomente der Schachgeschichte zu Gemüte führen. Beide Autoren beschreiben in ihrem Buch 32 solcher Schicksalsmomente, und es fällt gleich die Zäsur zwischen dem dritten Schachereignis, Lucenas Schachbuch von 1496/97, und dem vierten Schachereignis, Stammas Essai sur le jeu des échecs von 1737 auf, das 100 Schachkompositionen enthält, und mit dem der Syrer, übrigens der Erfinder der algebraischen Schachnotation, das Schachproblem „neuerfunden“ habe. Der Schachhistoriker Antonius van der Linde spricht hier plastisch von „Des Schachspiels Mittelalters“ (Linde, S. 106), und er führt aus:[QUOTE]Die Nacht des Mittelalters hat nicht in dem historisch so benamsten Zeitraum, sondern im Gegentheil während des XVII. und XVIII. Jahrhunderts auf dem Schachspiel gelastet. Das Schatrandsch war allmählich ausgestorben, das historische Bewusstsein schwand, das neue Schach feierte seine goldene Aera in Spanien und Italien, aber der dort gehegte gesunde Schachgeist verbreitete sich nicht über Europa. Von eigener, selbständiger, schöpferischer Production zeigt sich nirgendwo eine Spur mehr. Das älteste ausserhalb Italien geschriebene Schachbuch ist Arthur Saul´s „famous game of Chesse-play“ London 1614. [/QUOTE]Ebd.Für Linde zeigte sich dieser Niedergang nicht nur in dem Versiegen von Schachliteratur, sondern auch darin, daß die neuen Regeln mehr und mehr vergessen worden seien. Trauriger Höhepunkt sei hier das kriegsverzehrte Deutschland gewesen, wo nicht nur die Rochade, sondern auch der „vereinzelte Königssprung“ (Linde S. 108) verschwunden seien. Noch 1842 habe der Sieger von London 1851, Adolf Anderssen, ausgeführt, daß das Umwandeln in eine zweite Dame nicht den Regeln entspräche (vgl. Linde, S. 120). Nach Petzold erlosch allerdings auch in Italien der von Linde so gelöbte „gesunde Schachgeist“:[QUOTE]Italien, das in zahlreiche Territorial- und Stadtstaaten zersplittert blieb, wurde von einem wirtschaftlichen Niedergang erfaßt, der seine Spuren auch in den großen Kulturzentren Rom, Florenz und Venedig hinterließ. Die Lombardei (das Herzogtum Mailand) und Süditalien (Neapel, Kalabrien und Sizilien) befanden sich unter spanischer Herrschaft, die sich indirekt auch auf die übrigen italienischen Staaten erstreckte. Nur Venedig bewahrte seine Selbständigkeit. Seine Monopolstellung bei der Vermittlung des Seehandels zwischen Orient und Okzident war jedoch spätestens mit der Erschließung des direkten Seeweges von Westeuropa nach Indien dahin. Mühsam versuchte man eigene Produktionserfahrungen zu nutzen, um die schwindenden Einnahmen aus dem Handel notdürftig zu kompensieren. Die wunderschönen, zarten, aber leicht zerbrechlichen und fürs praktische Spiel ungeeigneten venezianischen Glas-Schachfiguren wirkten wie ein Gleichnis.[/QUOTE]Petzold, S. 184Trotz dieser ungünstigen Voraussetzungen konnte sich etwa 100 Jahre nach dem Ende des 30jährigen Krieges in Modena eine neue Schachschule in Italien entwickeln, die an die historischen Schachzirkel in Italien und auf der Iberischen Halbinsel anknüpfte. Nach Petzold konnte mit Modena ein „Refugium der Schachkunst“ (ebd.) bestehen bleiben, weil „einige kleinere italienische Staaten, wie Parma, Piacenza und Regio, vor allem aber Savoyen“ (zu denen auch Modena gehörte) „sich durch die geschickte Ausnutzung der spanisch-französischen Gegensätze eine gewisse Eigenständigkeit und einen relativen Wohlstand erhalten“ (ebd.) hatten. Deren Vertreter Ercole del Rio, Giambattista Lolli und Domenico Lorenzo Ponziani besaßen im Schach, wie es sich für eine Schule auch gehört, eine eigene Ausprägung. Petzold vergleicht diese drei mit dem „edlen Ritter Don Quichotte, der die Fahne des romantischen Rittertums noch hochhielt, als die Ritterzeit schon längst zu Ende war“ (ebd.). Aus diesen Zeiten rührt auch das Gegensatzpaar zwischen Französischer Schule und Italienischer Schule, denn die Meister von Modena befanden sich im erbitterten Meinungsstreit mit dem verfeinerten Positionsspiel von Philidor, der übrigens, was neu war, ganz im Stile von Aufklärung und Diderots Großer Enzyklopädie des Wissens, seine Ideen auch erläuterte, was schachdidaktisch einen weiteren Meilenstein im Schach bedeutete. Wie problematisch diese Bezeichnung des Gegensatzes ist, beweist, daß die „Französische Schule“ nicht nur aus Philidor bestand, denn, wie Bruns es so unsterblich formuliert hatte, sei es auch im Schach unter Napoleon zur „Napoleonischen Reaktion“ gekommen, und die neuen französischen Meister wie Deschapelles und La Bourdonnais bekämpften die Positionslehre Philidors nicht weniger erbittert als die drei Meister von Modena. Die Meister von Modena sowie Philidor waren die neuen Säulen, in denen das moderne Schach nach langen Jahrzehnten von Niedergang und Verfall wiedergeboren wurde. Die andere Blütenation des modernen Schachs, Spanien, wurde 1648 noch nicht aus dem Krieg entlassen und verlor unter Grecos Freund König Philipp IV. im Ringen mit Frankreich und England Territorien, Kolonien und endgültig den Status als Großmacht. Mit dem spanischen Glanz verschwanden auf lange Zeit auch die spanischen Schachmeister von der Bildfläche. Deutschland, das von dem Krieg mit am meisten betroffen war, fiel weiter zurück und blieb die zu spät gekommene Nation, was für die Zukunft noch gewisse Auswirkungen mit sich bringen sollte.[Event "Miscellaneous Game"][Site "?"][Date "1620.??.??"][EventDate "?"][Round "20"][Result "1-0"][White "Gioachino Greco"][Black "NN"][ECO "C57"][WhiteElo "?"][BlackElo "?"][PlyCount "33"]1.e4 e5 2.Nf3 Nc6 3.Bc4 Nf6 4.Ng5 d5 5.exd5 Nxd5 6.Nxf7 Kxf77.Qf3+ Ke6 8.Nc3 Ne7 9.O-O c6 10.Re1 Bd7 11.d4 Kd6 12.Rxe5 Ng613.Nxd5 Nxe5 14.dxe5+ Kc5 15.Qa3+ Kxc4 16.Qd3+ Kc5 17.b4# 1-0[Event "Miscellaneous Game"][Site "?"][Date "1620.??.??"][EventDate "?"][Round "25"][Result "1-0"][White "Gioachino Greco"][Black "NN"][ECO "C01"][WhiteElo "?"][BlackElo "?"][PlyCount "23"]1.e4 e6 2.d4 Nf6 3.Bd3 Nc6 4.Nf3 Be7 5.h4 O-O 6.e5 Nd5 7.Bxh7+Kxh7 8.Ng5+ Bxg5 9.hxg5+ Kg8 10.Qh5 f5 11.g6 Re8 12.Qh8# 1-0[Event "Miscellaneous Game"][Site "?"][Date "1620.??.??"][EventDate "?"][Round "12"][Result "0-1"][White "NN"][Black "Gioachino Greco"][ECO "C50"][WhiteElo "?"][BlackElo "?"][PlyCount "26"]1.e4 e5 2.Nf3 Nc6 3.Bc4 Bc5 4.O-O Nf6 5.Re1 O-O 6.c3 Qe7 7.d4exd4 8.e5 Ng4 9.cxd4 Nxd4 10.Nxd4 Qh4 11.Nf3 Qxf2+ 12.Kh1 Qg1+13.Nxg1 Nf2# 0-1[Event "?"][Site "?"][Date "1625.??.??"][EventDate "?"][Round "?"][Result "0-1"][White "NN"][Black "Gioachino Greco"][ECO "C30"][WhiteElo "?"][BlackElo "?"][PlyCount "36"]1. e4 e5 2. f4 f5 3. exf5 Qh4+ 4. g3 Qe7 5. Qh5+ Kd8 6. fxe5Qxe5+ 7. Be2 Nf6 8. Qf3 d5 9. g4 h5 10. h3 hxg4 11. hxg4 Rxh112. Qxh1 Qg3+ 13. Kd1 Nxg4 14. Qxd5+ Bd7 15. Nf3 Nf2+ 16. Ke1Nd3+ 17. Kd1 Qe1+ 18. Nxe1 Nf2# 0-1[Event "Rome"][Site "Rome ITA"][Date "1619.??.??"][EventDate "?"][Round "?"][Result "1-0"][White "Gioachino Greco"][Black "NN"][ECO "B00"][WhiteElo "?"][BlackElo "?"][PlyCount "15"]1.e4 b6 2.d4 Bb7 3.Bd3 f5 4.exf5 Bxg2 5.Qh5+ g6 6.fxg6 Nf67.gxh7 Nxh5 8.Bg6# 1-0

Beitrag von Dern Algar

hm, interessant :smile:

Beitrag von Sanpelg

Klingt sehr interessant, ich habe aber leider immer noch nicht die Zeit gefunden, das gründlich zu lesen, werde ich die Tage nachholen

Beitrag von Birliban

Es drängelt ja keiner, Sampelg. Ich denke, es ist normal, daß sich der Essay von Kiffing nicht sofort und gleich erschließt. Da braucht es etwas Zeit. Zumal die Entstehung und Reifung des Essays, vermute ich mal, sicher seinerseits Tage, Wochen, wenn nicht gar Monate in Anspruch genommen hat. „Gut Ding braucht seine Weile und Zeit.“ Aber es zeugt von großer Übersicht, großen Fleiß und großen Können, Zusammenhänge, Prozesse, Hintergründe zusammenzuführen, neu zu entdecken und auf der „Landkarte der Schachgeschichte“ sichtbar zu machen. Und dafür braucht es wohl wiederum einer großen Leidenschaft und Neugier. Aber sicherlich trifft dies auch auf alle anderen Essays zu, die Kiffing bislang den Lesern zugänglich gemacht hat, sei es in „Schach in der Metaebene“ hier in der Schachburg oder z.B. auch in „Schach und Kultur“.