Schachburg-Archiv: Benutzerthema „blunder1 Turnierpartien“

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Beitrag von blunder1

Zwar spiele ich nicht mehr im Verein, doch hat auch meine kleine Wenigkeit Turnierpartien bestritten.Nun will ich nicht gleich mit einer vernichtenden Niederlage beginnen (davon hat es genug gegeben), sondern mit einem Sieg, der mit Kommentaren von GM Winants im Dezember 1998 in einer der großen belgischen Tageszeitungen veröffentlicht wurde. Trara, so etwas schmeichelt dem Ego.In der 3. Runde der Saison 1998/99 der belgischen 1. Liga traf ich mit Weiß auf einen FIDE-Meister und zweimaligen belgischen Meister. Die Partie...na ja, damals war ich stolz, doch heute, wo ich doch - hoffentlich - etwas weiser und gelassener geworden bin, würde ich sie so beschreiben: Eine positionell nicht vollkommen unbegründete „Brutalo-Höhlenmenschen-Attacke“ schlägt gegen ungenaues Spiel durch.Zu meinem 13. Zug (13.g4!? oder vielleicht doch ?!) will ich noch hinzufügen, dass Wettkampftaktik - „Psychologie“ ist nach meinem Geschmack dafür zu hoch gegriffen - eine Rolle spielte: Ich wusste, dass mein Gegner es nicht mochte, wenn sein König angegriffen wurde; der Standardplan für Weiß in solchen Stellungen ist das Durchdrücken von e3-e4.[Result "1-0"][Date "1998.11.22"][Round "3"][Event "BEL T-ch"][Black "Gegner"][Site "Brussels BEL"][White "blunder1"]1. d4 Nf6 2. c4 e6 3. Nc3 Bb4 4. e3 c5 5. Bd3 Nc6 6. Ne2 d5 7. cxd5 exd5 { Üblicher ist 7...Nd5. } 8. a3 Bxc3+ 9. bxc3 O-O 10. O-O Re8 11. f3 { Weiß will normalerweise e4 durchdrücken. } b6 12. Ra2 { Ein Zug, der bereits von Botwinnik gespielt wurde; der Ra2 strebt nach Ng3 nach e2 oder... } Bb7 13. g4 { !? Spielbar, da das weiße Zentrum stabil ist. } Ne7 14. Ng3 Qc8 15. Rg2 Ba6 16. Bxa6 Qxa6 17. g5 { ?! Voreilig; 17.e4! } Nd7 18. f4 cxd4 { ? 18...f5! 19.gf6 Nf6 wäre besser gewesen und Schwarz steht keineswegs schlechter; der Textzug aktiviert den Bc1. } 19. exd4 Nc8 { Positionell begründet (...Nd6-e4), aber schwächt die Grundreihe, doch nach 19...f5 20.gf6 Nf6 21.f5 gefolgt von Bg5 oder Bf4-e5 hat Weiß Angriff. } 20. Qg4 Qb7 21. Nh5 Qc6 { 21...g6 22.Qd7! } 22. f5 Qxc3 23. Nf6+ { ! } Nxf6 24. gxf6 g6 25. fxg6 hxg6 26. Qxg6+ fxg6 27. f7+ { Schwarz gibt auf, da 27...Kf8 28.Bh6+ Ke7 29.Re2+, gefolgt von 30.fe8=Q. } 1-0

Beitrag von karpov84

Sehr hübsch, Partien mit Damenopfer sind es immer wert erwähnt zu werden!:app2:Ich sehe was du meinst, der Plan mit e3-e4 ist stellungsgemäß(er), aber ich persönlich finde die Aufstellung mit 13.g4, 14.Sg3 und 15.Tg2 sehr sympatisch!Ein GM würde über den Königsangriff wahrscheinlich müde lächeln und diesen mit ultra-genauem und energischen Spiel im Zentrum einfach entkräften, aber unsereiner gewinnt auf diese Weise Partien.2700er-Niveau, nein, aber Höhlenmenschen ist das jetzt auch nicht!;)LGBobby

Beitrag von blunder1

Mit dem "Höhlenmenschen" ziehe ich mich natürlich selber ein bisschen durch den Kakao. 13.g4 ist spielbar, aber 17.g5?! ist nun wirklich nicht subtil.Dies ist nicht meine beste Partie, aber schlecht ist sie auch nicht. Immerhin hat Winants sie für gut genug befunden, um sie in seine wöchentliche Kolumne aufzunehmen, wobei man einschränken muss, dass er eine Partie suchte; ein Mannschaftskamerad von mir hat ihm dann meine Partie empfohlen.

Beitrag von blunder1

Die EDV hat das Schach revolutioniert. Engines und Datenbanken haben dazu geführt, dass auch der Vereinsspieler viel besser vorbereitet ist als vor 30 Jahren. Eröffnungskatastrophen sind auf Vereinsniveau selten geworden, doch können sie noch vorkommen. Es gibt kaum etwas Ärgerlicheres, als eine Partie bereits in der Eröffnung zu verlieren.Im Halbfinale des Kölner Dähnepokals 2011 passierte dies meinem Gegner (DWZ 1889):[Result "1-0"][Date "2011.11.05"][Round "4"][Event "Dähnepokal"][Black "Gegner"][Site "Cologne GER"][White "blunder1"]1. d4 Nf6 2. c4 e6 3. Nc3 d5 4. cxd5 Nxd5 5. e4 Nxc3 6. bxc3 c5 { Die Verbesserte Tarrasch-Verteidigung ist auf hohem Niveau wieder sehr beliebt geworden, allerdings meistens mit der Zugfolge 1.d4 d5 2.c4 e6 3.Nf3 Nf6 4.Nc3 c5. Oft folgt dann 5.cd5 Nd5 6.e4 Nc3 7.bc3 cd4 8.cd4 Bb4+ 9.Bd2 Bd2+ 10.Qd2 und die Abtäusche machen das weiße Vollzentrum, das zu Durchbrüchen/Königsangriffen führen kann, weniger bedrohlich. Hier hat Weiß seinen Ng1 noch nicht entwickelt, was es ihm erlaubt, weniger Abtäusche zuzulassen. } 7. a3 { 7.Rb1 ist die andere Möglichkeit. } cxd4 8. cxd4 Bd6 { ? 8...Be7. } 9. Nf3 O-O 10. Bd3 Qe7 { ?? Verliert auf der Stelle! Ich traute meinen Augen nicht, hatte ich doch die Woche zuvor einen Gruppenunterricht mit dem Thema "Läuferopfer auf h7" gegeben. Hier funktioniert es wunderbar. } 11. e5 Bc7 12. Bxh7+ Kxh7 13. Ng5+ Kg6 { 13...Kg8 14.Qh5 +-. } 14. Qd3+ f5 15. Qh3 Ba5+ 16. Kf1 { ?! Unüberlegt, oberflächlich. Eigentlich verdient solch ein Zug ein dickes Fragezeichen, doch glücklicherweise kann Weiß den Schaden in Grenzen halten; 16.Ke2!} Qxg5 17. Bxg5 Kxg5 18. Qh7 { Das Materialverhältnis ist zwar akzeptabel für Schwarz (er hat 3 Leichtfiguren für Dame + Bauer), doch wird er aufgrund seiner mehr als exponierten Königsstellung schnell Matt gesetzt. } Nd7 19. Ke2 { Korrigiert den Fehler im 16. Zug. } b6 20. f4+ Kg4 { 20...Kf4 21.Qh4#; genau deswegen braucht Weiß den Ke2. } 21. Qh3+ { Erzwingt 21...Kf4 22.Qh4#. } 1-0

Beitrag von Babylonia

Hi Blunder,das ist eine Variante des abgelehnten Damengambits (Queens Gambit declined) erkenne ich. Mir fällt es noch schwer fremde ganze Partien im Detail nachzuvollziehen, spätestens bei den alternativen Zugfolgen verliere ich dann die Orientierung. Bei eigenen Partien kommt mir vieles bekannt vor und ich finde mich in der Partie besser zurecht. Aber schön, dass du von dir vorgestellte Partien immer mit wissenswerten Erläuterungen versiehst. Babylonia

Beitrag von blunder1

Hi Babylonia,ja, mit einer Zugumstellung, die in der Praxis sehr oft vorkommt, steht nach 3 Zügen die Ausgangsstellung des Abgelehnten Damengambits auf dem Brett; im Englischen wird Queens Gambit Declined oft abgekürzt: QGD. Das Damengambit gehört zu den reichhaltigsten aller Eröffnungen; aus der Ausgangsstellung können noch die unterschiedlichsten Positionen entstehen.Wie gut man Stellungen visualisieren kann, hängt sehr von Spielstärke/Erfahrung ab. Daher hilft es weniger erfahrneren Spielern, zwei Bretter zu verwenden: Eins für die Partie, das zweite für die Varianten; am Rechner ist das mit einem Schachprogramm natürlich einfacher zu bewerkstelligen.Freut mich, dass Dir die Erläuterungen zusagen (hoffentlich nicht nur Dir!). Das muss eine Art "Berufskrankheit" sein:hmpf:: Wenn man so viel Schachunterricht gegeben hat wie ich...

Beitrag von Babylonia

Hi Blunder,die Abkürzung vom "Queens Gambit Declined" kannte ich nicht. Ich habe diesen Begriff nur auf "Chesstempo", aber noch nicht in einem Schachbuch gesehen. Das Damengambit wird bei uns im Verein gespielt, vor Schwierigkeiten stehe ich bei mancher Variante des "Queens Gambit Accepted", des angenommenen Damengambits. Ja, es wäre schon, wenn noch mehr Forumuser dir Rückmeldung geben, dass sie Schacherläuterungen von dir lesen.Babylonia

Beitrag von blunder1

Jetzt möchte ich Euch eine positionelle Partie vorstellen, in der es um schlechte Läufer, Felderschwächen, Vorposten und richtige Figurenabtäusche geht.Dies ist ein leichter positioneller Gewinn, wobei mir mein Gegner, trotz seiner DWZ von 2100, mit einer verfehlten Partieanlage entgegenkommt.[Result "0-1"][Date "2011.02.20"][Round "5"][Event "GER T-ch"][Black "blunder1"][Site "Cologne GER"][White "Gegner"]1. Nf3 d5 2. c4 c6 3. b3 { Die Reti-Eröffnung ist flexibel, doch übt sie ohne Nc3 weniger Druck auf das schwarze Zentrum aus; daher kann der Nachziehende seinen schlechten Läufer entwickeln, bevor er e7-e6 zieht. } Bg4 4. h3 Bh5 5. Bb2 e6 6. g4 { ?! Jeder Bauernzug hinterlässt Schwächen, hier wird das Feld f4 sehr anfällig. } Bg6 7. Bg2 Nf6 8. d3 Nbd7 9. Nbd2 Bd6 10. Nh4 { ?! Ich halte die ganze weiße Partieanlage für verfehlt; Weiß schwächt sich zu sehr. } Qe7 11. Nxg6 { Auch dieser "Gewinn" des Läuferpaars bringt keine positionelle Erleichterung. } hxg6 12. e4 dxe4 13. dxe4 e5 { Schwarz steht bereits klar besser: Der Bg2 ist sehr schlecht und den schwarzen Springern locken schöne Vorposten auf f4 und d4. } 14. Qe2 Ba3 { Schwarz will natürlich die schwarzfeldrigen Läufer tauschen, um die dunklen Felder zu beherrschen. } 15. Bxa3 Qxa3 16. O-O Nc5 17. Nf3 Nfd7 18. Rfb1 a5 19. Ne1 Ne6 { Weiß drohte mit 20.Nc2. } 20. Nd3 Nd4 21. Qb2 Qd6 22. Rd1 Rd8 { Entwickelt sich und entkräftet die Drohung 23.Ne5 Ne5 24.Qd4. } 23. Kf1 { Weiß will Qc3 spielen und muss daher die Drohung ...Ne2+ unterbinden. } Nc5 24. Ne1 Qf6 25. Qc3 b6 26. Qg3 O-O 27. Rac1 g5 28. Qe3 Nce6 29. Nf3 Nxf3 30. Qxf3 Nf4 { Der Stärkeunterschied zwischen dem Nf4 und dem schrecklichen Bg2 ist offensichtlich. } 31. c5 { !? Gibt wenigstens etwas praktische Chancen, doch die chronischen positionellen Defizite bleiben bestehen. } Rxd1+ 32. Rxd1 bxc5 33. Qc3 Rd8 { Schwarz tauscht gerne auch die Türme, was die weiße Grundreihe schwächt; der mächtige Nf4 ermöglicht auch Motive mit Grundreihenmatt. } 34. Rd2 Rd4 35. Rxd4 { Sicherlich ungern, aber ansonsten wird Schwarz mit ...Qd6 fortfahren. } cxd4 36. Qxa5 d3 { Dieser Bauer entscheidet. } 37. Qd2 Qd6 38. Kg1 Qc5 39. Bf1 Qc2 40. Qa5 { Weiß hofft auf ein Dauerschach, doch Schwarz kann dies leicht parieren. } d2 41. Qd8+ Kh7 42. Qxg5 d1=Q 43. Qf5+ Ng6 44. Qh5+ Kg8 0-1Diese Partie benutze ich seitdem gelegentlich bei Schachunterrichten, um das Motiv „starker Springer gegen schlechten Läufer“ anschaulich zu demonstrieren.