Schachburg-Archiv: Benutzerthema „Schach im alten Arabien“

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Beitrag von Kiffing

[IMG][Hier befand sich ein Link auf die Seite "https://i.imgur.com/43Nw0H5.jpg". Der Link wurde vom Benutzer mit dem Titel "https://i.imgur.com/43Nw0H5.jpg" versehen. Aus urheberrechtlichen Gründen ist es möglicherweise erforderlich, diesen Hinweis beizubehalten, da manche Benutzer die Quelle ihrer Zitate von anderen Internetseiten so gekennzeichnet haben. Dieser Hinweis wurde automatisch an Stelle des früheren Links platziert. Falls der Link unangemessen oder ohnehin unerreichbar geworden ist, kann die im Impressum genannte Adresse mit einer Bitte um Entfernung kontaktiert werden.][/IMG]Arabien war die dritte große Station des Schachs nach Indien und Persien und die letzte, bevor das Schach im europäischen Mittelalter bekannt wurde. In der Blütezeit des Islams wurde ein großer Schach-Enthusiasmus gepflegt, der, wie wir heute wissen, in vielerlei Formen ungeheuer modern anmutet. Ja, in seiner Blütezeit erlebte auch das Schatrandsch, wie die Araber das Schachspiel nannten, im islamischen Kulturkreis ein „goldenes Zeitalter“.So gab es mit den Mansuben die heute so beliebten Taktikaufgaben und Studien, es gab Schachbücher zu Strategie und Taktik und sogar ein umfangreiches Eröffnungswissen, das in den Tabiyas festgehalten wurde, und wo die Tabiyas so poetische Namen wie „die reich Umkränzte“, der „reißende Strom“ oder die „Steine des Pharaos“ erhielten. Wie heute wurde das Schach ausgiebig in der Literatur verarbeitet und in Romane und Gedichte eingebaut, und wie heute gab es auch schon Titel für besonders starke Spieler. [URL="http://www.chessbase.de/nachrichten.asp?newsid=10170"]Dr. Rene Gralla[/URL] dazu:[QUOTE] Schließlich ist es ein veritabler Kalif namens al-Mamun gewesen, der im Jahr 819 zum ersten Mal die vier Besten am Brett in den Rang von "Aliyat" erhoben hat. Das entsprach in etwa der Leistungsstärke eines FIDE-Großmeisters, so dass der Titel GM offenbar viel älter ist als bisher von den Experten unisono angenommen. [...] Und das schachbegeisterte Oberhaupt der Gläubigen etablierte neben dem arabischen GM gleich noch einen "Mutaqaribat", den Vorläufer des IM.[/QUOTE]Dieselbe Quelle schildert, wie damals im Morgenland ein Turnierleben stattfand:[QUOTE] In Anwesenheit der Herrscher wurden spektakuläre Matches ausgefochten. Kalif al-Mutawakkil war Schiedsrichter während der ersten WM der Schachgeschichte. 847 forderte der Newcomer ar-Razi den alten Haudegen al-Adli heraus; der Nachwuchsmann entschied den Wettkampf klar für sich und galt fortan als Bester der Welt. Vom Meister Muhammed ben Sirin wird berichtet, dass er bis zu drei Partien gleichzeitig blind spielen konnte. Und auch die Frauen mischten mit: Historiker rühmen die Schwestern Safi’a, A’isha und ’Ubaida, die drei Enkelinnen eines gewissen Hisham ben Urwa, die viele Männer das Fürchten lehrten.[/QUOTE]Wir erinnern uns, in Europa hat es erst bis 1834 gedauert, bis de la Bourdonnais und McDonnell miteinander die Klingen kreuzten und den besten Spieler der Welt unter sich, wenn auch inoffiziell, ausmachten.Das Schach wurde schon im alten Arabien nicht einfach nur als Spiel verstanden, sondern sozusagen als eine Inspirationsquelle höherer Ordnung, aus der Gelehrte aller Art schöpften. So bemerken [URL="http://www.humboldtgesellschaft.de/inhalt.php?name=schach"]wichtige Geisteswissenschaftler[/URL]:[QUOTE] Die Epoche des Aufstiegs der arabischen Wissenschaften war auch die erste Blütezeit des Schachspiels. Mathematiker, Mystiker, Mediziner und Meister aller Klassen stürzten sich auf das neue Spiel wie auf eine Fundgrube wunderbarer Geheimnisse. Die ersten Schachmeister verdienten ihr Brot am Hofe. Mediziner empfahlen das Spiel als psychiatrisches Heilmittel. Mit speziell verschriebenen Spielstilen wollten die Ärzte den Charakter beeinflussen und Krankheiten heilen. So sollten Melancholiker durchgeplanten Spielstrategien folgen, während sich Phlegmatiker vor allem Schematismus zu hüten hatten. [/QUOTE]Das reichhaltige Schachleben im Morgenland wurde von der islamischen Religion auch nicht behindert, solange nicht um Geld gespielt wurde, die Spieler nicht fluchten oder das Schach die Gebete behinderte. Vor allem der Punkt mit dem Spielen um Geld gestaltete sich auch im europäischen Mittelalter oft zum Problem, so daß Schach in einigen Regionen mit einem kirchlichen Bann belegt wurde. Der Schwiegersohn Mohammeds lobte das Schach mit den Worten: „Es ist nichts Unrechtes am Schach. Es hat mit Krieg zu tun“. (ebd.)Das Schach wurde vor allem mit dem Sieg der islamischen Invasoren 642 bei Nehawand, südlich des heutigen Hamadan im Iran, in Arabien bekannt, denn mit dem Sieg über das persische Sassanidenreich übernahmen die Araber auch all die Schätze der Perser und damit auch das Schach. 642 war nur zehn Jahre nach Mohammeds Tod und nur zwanzig Jahre nach der offiziellen Einführung des Islams. Denn die islamische Zeitrechnung startet mit dem Jahr 622. Das heißt, daß das Schach nach Arabien fast zeitgleich mit der Ausbreitung des Islams über Arabien kam.Als das Schachspiel schließlich den Weg ins Abendland fand, änderte sich die ursprüngliche Bedeutung des Schachspiels. Figuren konnten nun nicht mehr so ohne weiteres interpretiert werden, weil die europäische Kultur von der indischen Herkunftskultur zu stark entfernt war. So waren Elefanten im europäischen Mittelalter z. B. unbekannt, weshalb der Alfil völlig unterschiedlich interpretiert wurde. In Italien wurde er der Fahnenschwenker, in Deutschland der Läufer, in England der Bischof und in Frankreich der Narr. [URL="http://www.schachburg.de/threads/849-Die-Geschichte-der-Schachfiguren"]Mehr dazu[/URL] Bis zur Reform des Schachspiels um 1500, als die Zugmöglichkeiten der Figuren reformiert wurden und sich der Charakter des Schachspiels einschneidend veränderte, sollten aber noch einige Jahrhunderte vergehen.

Beitrag von Kiffing

Zur sozialen Lage in Arabien zu jener Zeit habe ich noch was interessantes gefunden. So wurde Schach wie bei uns überwiegend am monarchischen Hof gespielt bzw. hier, am Hofe des Kalifen, wo auch die ganzen oben beschriebenen Turniere stattfanden und wo die ganzen Schachmeister angestellt waren.Dies wurde auch tatsächlich damit gerechtfertigt, daß das Schachspiel "für Könige und reiche Leute erfunden" worden sei, "denen es auch zusteht (sic!), es zu betreiben." Oder auch nett: "Nicht Schach spielen sollen Arme, Hungerleider, Gesindel und Dumme". (Quelle: Pfleger, Treppner, Brett vorm Kopf - Leben und Züge der Schachweltmeister, C.H.Becksche Verlagsbuchhandlung, München 1994, S. 8f.Na, das schrie doch nach einer sozialen Revolution! :top:

Beitrag von Kampfkeks

[QUOTE=Kiffing;16273]Der Schwiegersohn Mohammeds lobte das Schach mit den Worten: „Es ist nichts Unrechtes am Schach. Es hat mit Krieg zu tun“. (ebd.)[/QUOTE]Das ist ja mal eine geile Begründung. Aus damaliger Perspektive natürlich vollkommen normal, man ging halt auf Eroberung und Beutezug. Und solange alles mit der Religion in Einklang stand, war wahrscheinlich alles in Ordnung. Aus heutiger Perspektive wirkt die Aussage aber echt abstrus. Wenn man nicht wüßte, daß das todernst gemeint war, dann könnte man fast schon drüber lachen.Auf alle Fälle sehr lesenswert, also vielen Dank für die Mühe, Kiffing!Ist eigentlich etwas über die damaligen Regeln bekannt?LG keks

Beitrag von Kiffing

Ja, was die Regeln im Schach betrifft, so gab es um 1500 eine Reform, durch diese die Figuren so zogen wie heute. Davor gab es weder Rochade noch Doppelschritt der Bauern, die Dame zog nur ein Feld diagonal und der Läufer nur zwei Felder diagonal, durfte aber überspringen. Also alles viel langsamer. Damals war das Schach noch viel mehr ein Geduldsspiel als heute. :D

Beitrag von Kampfkeks

Ja, das klingt sehr schwerfällig. Müßte man mal selbst ausprobieren, aber ohne die Fernwirkung von Läufer und Dame stelle ich mir das nicht so toll vor...

Beitrag von Kiffing

Damals dachten die Menschen noch gemächlicher. Man sagt deshalb, daß die gravierenden Regeländerungen um 1500 den gesellschaftlichen Verhältnissen geschuldet, also ein Produkt der stürmischen Neuzeit waren.

Beitrag von Kampfkeks

Auf jeden Fall macht es das Spiel interessanter, finde ich. Wenn jede Figur nur ein oder zwei Schritte ziehen kann, sind die "Waffen" doch alle ziemlich ähnlich. Mit der Beherrschung ganzer Diagonalen und Linien wird es strategischer.