Schachburg-Archiv: Benutzerthema „Besaß Boris Spasski wirklich einen Universalstil?“

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Beitrag von Kiffing

Gemeinhin wird der Weltmeister von 1969-1972, Boris Spasski, in der Schachwelt als erster Weltmeister betrachtet, der den „Universalstil“ geprägt habe und der heute noch vielen Schachspielern als bestmöglicher aller Stile erscheint. Magnus Carlsen gab zwar einmal an, einen Stil zu haben, bedeute Schwächen zu haben, aber im Prinzip meinen er und die Anhänger des Universalstils das Gleiche. Ich möchte meine Zweifel daran anmelden, daß diese populäre Klassifizierung wirklich zu Spasski paßt und diese Zweifel begründen. Garri Kasparov argumentierte in seiner Vorkämpfer-Reihe gegen diese Einschätzung:[QUOTE]Es wird allgemein angenommen, daß der universelle Stil im Schach, der mit der Fähigkeit zusammenhängt, die unterschiedlichsten Stellungstypen zu spielen, seinen Anfang eher bei Spasski findet.Allerdings ignoriert diese allgemeine Überzeugung meiner Meinung nach den Fakt, daß sich Spasski von Kindesbeinen an ganz klar zum scharfen Angriffsspiel hingezogen fühlte und ein hervorragendes Gespür für die Initiative besaß. Diese Fertigkeiten waren ihm – so denke ich –von seinem ersten Trainer Sak eingepflanzt und danach von Tolusch entwickelt und gefestigt worden. Die Liebe zu schönen Attacken läßt sich bei Spasski über seine gesamte Karriere hinweg verfolgen[/QUOTE] Garri Kasparov, Meine großen Vorkämpfer, Band 5, Edition Olms 2006, S. 166Für den bekannten sowjetischen Schachtrainer Alexei Suetin gehörte Spasski sogar neben Keres, Bronstein, Boleslawski, Tolusch, Ragosin, Tal, Larsen, Stein und anderen zu den typischen Protagonisten der ultradynamischen Epoche im Schach, die erst durch Weltmeister wie Fischer und Karpov ihr Ende gefunden habe. Wenn wir uns die Definition Suetins für diese ultradynamische Epoche im Schach ansehen, wird deutlich, wie wenig dies zu einem Spieler paßt, dem das Etikett Universalspieler anhaftet:[QUOTE]Im Laufe der Zeit hat die auf verborgenen Stellungsbesonderheiten gegründete Kampfführung Züge einer bewußt angewandten, schöpferischen Methode angenommen, bei der extreme Dynamik für das Wesentliche erachtet wird.Betrachten wir zur Veranschaulichung die jüngsten Etappen der Entwicklung der Schachkunst in den 50er bis 70er Jahren. Welche Verwirrung hat beispielsweise das Auftreten Tals mit seinen „irrationalen“ Opfern und Verstößen gegen die geheiligten Gesetze der Strategie gestiftet! Deutlich hebt sich eine ganze Anzahl strategischer Positionen ab, in denen Phantasie und kombinatorisches Können eindeutig den Vorrang vor logischen Überlegungen haben. Diese zweischneidigen Stellungen sind verschlungenen Labyrinthen vergleichbar. Sie erfordern ein früher nicht gekanntes Ausmaß an „Rechenoperationen“, können aber dennoch durch Variantenberechnung allein nicht erschöpfend geklärt werden. [/QUOTE]Alexei Suetin, Schachstrategie für Fortgeschrittene 2, Sportverlag Berlin 1983, S. 110f.Zu den zahlreichen Beispielpartien aus dieser "ultradynamischen Epoche" Suetins findet sich folgende Perle Spasskis:[Event "Spassky-Geller Candidates Quarterfinal Match"][Site "Sukhumi GEO"][Date "1968.06.??"][EventDate "1968.04.??"][Round "6"][Result "1-0"][White "Boris Spassky"][Black "Efim Geller"][ECO "B25"][WhiteElo "?"][BlackElo "?"][PlyCount "63"]1.e4 c5 2.Nc3 d6 3.g3 Nc6 4.Bg2 g6 5.d3 Bg7 6.f4 Nf6 7.Nf3 O-O8.O-O Rb8 9.h3 b5 10.a3 a5 11.Be3 b4 12.axb4 axb4 13.Ne2 Bb714.b3 Ra8 15.Rc1 Ra2 16.g4 Qa8 17.Qe1 Qa6 18.Qf2 Na7 19.f5 Nb520.fxg6 hxg6 21.Ng5 Na3 22.Qh4 Rc8 23.Rxf6 exf6 24.Qh7+ Kf825.Nxf7 Rxc2 26.Bh6 Rxc1+ 27.Nxc1 Kxf7 28.Qxg7+ Ke8 29.g5 f530.Qxg6+ Kd7 31.Qf7+ Kc6 32.exf5+ 1-0Und auch schon in seiner Partie gegen Awerbach 1956 hatte Boris Spasski in beengter Stellung mit seinem legendären Zug 16. ...Sc6!?!? eine schöpferische Lösung kreiert, der eklatant gegen alle Gesetze der Logik verstößt, aber dennoch zum Erfolg führte:[Event "USSR Championship"][Site "Leningrad (RUS)"][Date "1956.??.??"][EventDate "1956.??.??"][Round "?"][Result "1/2-1/2"][White "Yuri Averbakh"][Black "Boris Spassky"][ECO "E75"][WhiteElo "?"][BlackElo "?"][PlyCount "145"]1. c4 Nf6 2. Nc3 g6 3. e4 d6 4. d4 Bg7 5. Be2 O-O 6. Bg5 c57. d5 Qa5 8. Bd2 a6 9. a4 e5 10. g4 Ne8 11. h4 f5 12. h5 f413. g5 Qd8 14. Bg4 Nc7 15. Bxc8 Qxc8 16. Nf3 Nc6 17. dxc6 bxc618. Nh4 Qe8 19. hxg6 hxg6 20. Qg4 Rb8 21. Nd1 Ne6 22. Ra3 Nd423. Rah3 Qf7 24. Bc3 Rfe8 25. R3h2 Qxc4 26. Nxg6 Re6 27. Bxd4Rxg6 28. Qf5 Qe6 29. Qxe6+ Rxe6 30. Bc3 d5 31. f3 Rb3 32. Rh3c4 33. Kd2 Rg6 34. Rg1 d4 35. Ba5 Bf8 36. Rg4 Rd6 37. Kc2 Rd738. g6 Rdb7 39. Be1 c5 40. Rgh4 Bg7 41. Ba5 c3 42. bxc3 Ra343. cxd4 exd4 44. Rxf4 Ra2+ 45. Kd3 Rb1 46. Rh1 Rxa4 47. Kc2Rb5 48. e5 d3+ 49. Kxd3 Rxf4 50. Bc3 Rxf3+ 51. Ke4 Rg3 52. Kf4Rxg6 53. Ne3 Rb8 54. Nf5 Rf8 55. Rh5 Re8 56. Ke4 Rg1 57. Rh3Bf8 58. Kd5 Rd1+ 59. Ke4 Rc1 60. Kd5 Rd1+ 61. Ke4 Rd7 62. Nh6+Bxh6 63. Rxh6 Rh7 64. Rg6+ Kf7 65. Rf6+ Ke7 66. Rc6 Kd767. Rxc5 Rh6 68. Kd5 Rb6 69. Ba5 Rb5 70. Rxb5 axb5 71. e6+Rxe6 72. Kc5 Re5+ 73. Kb6 1/2-1/2Von daher ist es für Suetin konsequent, daß er erst die Nachfolger Spasskis, Fischer und Karpov als Klassiker ansieht, nicht aber den angeblichen Schöpfer des Universalstil-Gedankens. Wie denkt ihr darüber?

Beitrag von zugzwang

Tja, was ist überhaupt ein Universalstil?Welche Gewichtung haben Angriff und Verteidigung, strategische Themen, Eröffnungsfragen, Mittelspielziele und Endspieltechniken?Ich finde bereits die Weltmeister Lasker, Capablanca und Aljechin universell - insbesondere in Partien gegen die damalige Weltklasse.

Beitrag von Kiffing

Ein Universalstil nach dem in der Schachwelt vorliegenden Verständnis bedeutet in jeder Partiephase und in jeder Struktur gleichermaßen gut zu sein und damit weder besondere Vorlieben noch Schwächen zu haben. Die Gewichtung wäre dem zufolge vollkommen ausgeglichen, was somit das Gleiche ist, was Carlsens, aber auch Karpovs Ideal der Auslöschung des eigenen Stils als Zeichen der Perfektion gleichkommt. Daß das nicht so einfach ist und auch Karpov und Carlsen einen Stil haben, wissen wir. Es geht aber ums Ideal und um Spasski.In diesem Sinne können weder Lasker, Capablanca noch Aljechin als Besitzer eines Universalstils infrage kommen, weil alle drei ihre eigene Spezialisierung und damit ihre eigene Handschrift in der Schachwelt hinterlassen haben. Lasker favorisierte das psychologische Spiel, das auf den jeweiligen Stil und die Persönlichkeit des Gegners gerichtet war. Aljechin liebte scharfes und kreatives Spiel, während Capablanca der Techniker par excellence war. Das widerspricht dem Universalstil nach vorliegendem Verständnis, deren Vertretern keine besonderen Vorlieben mehr zugeordnet werden können.

Beitrag von chessiscruel

ich glaube ,daß Spasskis Universalstil ein Gerücht ist.Wäre er so gut gewesen,hätte er sicher nicht gegen Fischer verloren.Wenn man seine Partien nachspielt,fällt eher auf,daß er ein toller Taktiker und Kombinationsspieler war.Wenn es einen Universalstil überhaupt gibt,dann war das wohl eher Fischer,der sowohl ein hervorragender Endspielkünstler,Taktiker und Stratege war.Man muß die Aussage über Spasski im Kontext der Geschichte,sprich sowjetische Propaganda im kalten Krieg sehen.Alle Sowjetmeister waren ja tolle in Allen Phasen einer Schachpartie überlegene Spieler,gegen die keiner aus dem Westen eine Chanche hat,von daher um die Gegner einzuschüchtern die Wortkreation "Universalstil"

Beitrag von zugzwang

[QUOTE=Kiffing;21595]...In diesem Sinne können weder Lasker, Capablanca noch Aljechin als Besitzer eines Universalstils infrage kommen, weil alle drei ihre eigene Spezialisierung und damit ihre eigene Handschrift in der Schachwelt hinterlassen haben. Lasker favorisierte das psychologische Spiel, das auf den jeweiligen Stil und die Persönlichkeit des Gegners gerichtet war. Aljechin liebte scharfes und kreatives Spiel, während Capablanca der Techniker par excellence war. Das widerspricht dem Universalstil nach vorliegendem Verständnis, deren Vertretern keine besonderen Vorlieben mehr zugeordnet werden können.[/QUOTE]Laskers Spielbeschreibung durch wen auch immer Anfang des 20. Jahrhunderts ist kaum zutreffend.Der "Doc" hat imo sehr überzeugend in Aufsätzen dargestellt, was es mit diesem Spielstil auf sich hat. Wohl eher, daß die Zeitgenossen den Spielansatz von Lasker nicht verstanden.Das Kriterium mit den Vorlieben scheint mir etwas weich. Aljechin konnte sehr universell agieren, auch wenn ich bei ihm eine Vorliebe für scharfe Angriffe zugestehe.Bei Lasker sind die Vorlieben weniger deutlich. Er ist der erste Universalspieler und Aljechin konnte unheimlich universell spielen...:zufrieden:

Beitrag von Kiffing

Sagen wir es so, speziell durch seine mehr als engagierte Vorbereitung auf Capablanca hat sich Aljechin schachlich unheimlich erweitert, was übrigens auch auf Karpov und Kasparov während ihrer langen sessions zutraf. Trotzdem würde ich sagen, zog es Aljechin immer zum Angriffsstil hin, man kann halt nicht so leicht aus seiner Haut. Ein[URL="http://www.chessgames.com/perl/chessgame?gid=1013251"] Beispiel[/URL]:[Event "Kemeri"][Site "Kemeri (LVA)"][Date "1937.06.25"][EventDate "1937.06.16"][Round "8"][Result "1-0"][White "Alexander Alekhine"][Black "Samuel Reshevsky"][ECO "B05"][WhiteElo "?"][BlackElo "?"][PlyCount "73"]1. e4 Nf6 2. e5 Nd5 3. d4 d6 4. Nf3 Bg4 5. c4 Nb6 6. Be2 dxe57. Nxe5 Bxe2 8. Qxe2 Qxd4 9. O-O N8d7 10. Nxd7 Nxd7 11. Nc3 c612. Be3 Qe5 13. Rad1 e6 14. Qf3 O-O-O 15. Bxa7 Qa5 16. Bd4 Qf517. Qg3 e5 18. Be3 Bb4 19. Na4 Ba5 20. f4 Bc7 21. b3 f622. fxe5 Qe6 23. h3 Rhg8 24. Bd4 Nxe5 25. Qc3 Nd7 26. c5 Rge827. b4 Nb8 28. Nb6+ Bxb6 29. cxb6 Qxa2 30. Qg3 Rd7 31. Bc5 Qf732. Ra1 Qg6 33. Qh2 Re5 34. Ra8 Rd2 35. Rxb8+ Kxb8 36. Qxe5+fxe5 37. Rf8+ 1-0Auf dieses schöne Beispiel hatte Alexei Suetin aufmerksam gemacht. Im 17. Zug hatte Aljechin die technische Möglichkeit, die Damen zu tauschen und seine Majorität am Damenflügel zu verwerten, wie es in unzähligen Lehrbüchern geschrieben steht. Natürlich kannte Aljechin diesen typischen Plan. Er spielte dennoch anders und begründete seine Vorgehensweise anschließend wie folgt:[QUOTE]Ich gestehe, daß der Schlußangriff dieser Partie mir (und hoffentlich auch den Lesern) bedeutend mehr Vergnügen bereitete, als das die wissenschaftlich-korrekte, aber rein technische Verwertung der Bauernmehrheit am Damenflügel hätte tun können. Das Schachspiel besteht letztendlich ja nicht nur aus Wissen und Logik[/QUOTE]Alexei Suetin, Schachstrategie für Fortgeschrittene 2, Sportverlag Berlin 1983, S. 82Bei Lasker stört mich sehr, daß er nicht in der Lage war, aus der Eröffnung heraus zu gewinnen, sprich Glanzpartien nach Maß zu erzeugen. Er hat immer nur gekämpft.

Beitrag von zugzwang

[QUOTE=Kiffing;21606]...Bei Lasker stört mich sehr, daß er nicht in der Lage war, aus der Eröffnung heraus zu gewinnen, sprich Glanzpartien nach Maß zu erzeugen. Er hat immer nur gekämpft.[/QUOTE]Hoppla!Auch wenn es von Spasski und dem Universalstil ein klein wenig wegführt:Vielleicht mal Linder "Das Schachgenie Lasker" lesen - beginnend mit Teil IV.Dort kommt auch Capa mit einer Beschreibung von Laskers Spielstil zu Wort.Ein "kleiner" Eröffnungsbeitrag Laskers:[Event "Lasker-Bird"][Site "Newcastle-upon-Tyne ENG"][Date "1892.08.30"][EventDate "1892.08.29"][Round "2"][Result "0-1"][White "Henry Edward Bird"][Black "Emanuel Lasker"][ECO "A02"]1.f4 e5 2.fxe5 d6 3.exd6 Bxd6 4.Nf3 g5 5.d4 g4 6.Ne5 Bxe57.dxe5 Qxd1+ 8.Kxd1 Nc6 9.Bf4 Be6 10.e3 Nge7 11.Bb5 O-O-O12.Kc1 Bd5 13.Rg1 a6 14.Be2 Be6 15.Nc3 h6 16.Bd3 Ng6 17.Bxg6fxg6 18.Rd1 Rde8 19.e4 g5 20.Bg3 Rhf8 21.b3 h5 22.Rd2 h423.Bf2 Nxe5 24.Be3 h3 25.Bxg5 g3 26.hxg3 Rf1+ 27.Kb2 Rxa128.Kxa1 h2 29.Rd1 Ng4 30.Rh1 Bf7 31.Kb2 c6 32.Kc1 Bg6 33.Kd2Rxe4 34.Nd1 Rd4+ 35.Ke2 Rxd1 36.Rxd1 Be4 37.Rd8+ Kc7 38.Rd1Bxg2 39.Bd8+ Kc8 40.Bb6 Bd5 41.c4 h1=Q 42.Rxh1 Bxh1 0-1[url]http://www.chessgames.com/perl/chessgame?gid=1028167[/url]"Immer nur gekämpft" ist für derartige Vorführungen nicht die treffende Beschreibung:[Event "New York"][Date "1924.04.08"][Round "16"][Result "0-1"][White "Richard Reti"][Black "Emanuel Lasker"][ECO "A12"]1. Nf3 d5 2. c4 c6 3. b3 Bf5 4. g3 Nf6 5. Bg2 Nbd7 6. Bb2 e67. O-O Bd6 8. d3 O-O 9. Nbd2 e5 10. cxd5 cxd5 11. Rc1 Qe712. Rc2 a5 13. a4 h6 14. Qa1 Rfe8 15. Rfc1 Bh7 16. Nf1 Nc517. Rxc5 Bxc5 18. Nxe5 Rac8 19. Ne3 Qe6 20. h3 Bd6 21. Rxc8Rxc8 22. Nf3 Be7 23. Nd4 Qd7 24. Kh2 h5 25. Qh1 h4 26. Nxd5hxg3+ 27. fxg3 Nxd5 28. Bxd5 Bf6 29. Bxb7 Rc5 30. Ba6 Bg631. Qb7 Qd8 32. b4 Rc7 33. Qb6 Rd7 34. Qxd8+ Rxd8 35. e3 axb436. Kg2 Bxd4 37. exd4 Bf5 38. Bb7 Be6 39. Kf3 Bb3 40. Bc6 Rd641. Bb5 Rf6+ 42. Ke3 Re6+ 43. Kf4 Re2 44. Bc1 Rc2 45. Be3 Bd50-1Eher: Den Gegner strategisch zu Notopfer- und Vernebelungsaktionen getrieben und eiskalt verwandelt.Niedergekämpft oder durcheinandergewirbelt?[Event "St. Petersburg 1895-96"][Site "Petersburg 1895-96"][Date "1896.01.04"][EventDate "1895.12.13"][Round "10"][Result "0-1"][White "Harry Nelson Pillsbury"][Black "Emanuel Lasker"][ECO "D50"]1. d4 d5 2. c4 e6 3. Nc3 Nf6 4. Nf3 c5 5. Bg5 cxd4 6. Qxd4 Nc67. Qh4 Be7 8. O-O-O Qa5 9. e3 Bd7 10. Kb1 h6 11. cxd5 exd512. Nd4 O-O 13. Bxf6 Bxf6 14. Qh5 Nxd4 15. exd4 Be6 16. f4Rac8 17. f5 Rxc3 18. fxe6 Ra3 19. exf7+ Rxf7 20. bxa3 Qb6+21. Bb5 Qxb5+ 22. Ka1 Rc7 23. Rd2 Rc4 24. Rhd1 Rc3 25. Qf5 Qc426. Kb2 Rxa3 27. Qe6+ Kh7 28. Kxa3 Qc3+ 29. Ka4 b5+ 30. Kxb5Qc4+ 0-1[url]http://www.chessgames.com/perl/chessgame?gid=1109097[/url]Seniorenstil?[Event "Moscow"][Date "1935.03.14"][Round "19"][Result "1-0"][White "Emanuel Lasker"][Black "Vasja Pirc"][ECO "B85"]1. e4 c5 2. Nf3 Nc6 3. d4 cxd4 4. Nxd4 Nf6 5. Nc3 d6 6. Be2 e67. O-O a6 8. Be3 Qc7 9. f4 Na5 10. f5 Nc4 11. Bxc4 Qxc412. fxe6 fxe6 13. Rxf6 gxf6 14. Qh5+ Kd8 15. Qf7 Bd7 16. Qxf6+Kc7 17. Qxh8 Bh6 18. Nxe6+ Qxe6 19. Qxa8 Bxe3+ 20. Kh1 1-0[url]http://www.chessgames.com/perl/chessgame?gid=1272440[/url]

Beitrag von Kiffing

Mir scheint, man sollte zwischen dem Universalstil und universellem Können trennen, denn letztendlich haben wohl die meisten Weltmeister zumindest den Anspruch, alle Aspekte des Spiels zu verstehen und damit zu verstehen, was das Schach, frei nach Goethe, im Innersten zusammenhält. So auch das Credo von Aljechin, ausformuliert beim Turnier in Karlsbad 1923:[QUOTE]Ich spiele nicht Schach, ich kämpfe Schach. Deshalb verbinde ich Taktisches mit Strategischem, Phantastisches mit Wissenschaftlichem, Kombinatorisches mit Positionellem, um so in einer konkreten Situation immer adäquat antworten zu können[/QUOTE]Garri Kasparov, Meine großen Vorkämpfer Band 2, Edition Olms 2006, S. 181Was Lasker angeht, so hat er neben seiner Spielstärke durch seine erstaunlichen persönlichen Kenntnisse und Erkenntnisse auf vielen Ebenen der Wissenschaften im Schach, das für diese Geistesströmungen von den Aufklärern schon zu den vortrefflichsten Experimentierfeldern gehörte, gerade in den fortgeschrittenen Partiestadien ebenso erstaunliches zutage gefördert. Er hat so ja auch die Figur des [URL="http://www.schachburg.de/threads/1020-Als-Emanuel-Lasker-den-Macheiden-schuf"]Macheiden[/URL], dem Sohne der Schlacht, erschaffen als die Figur des formvollendeten Kämpfers.Was ich in meinem etwas launigen, aber freilich nicht allzu ernsten Aphorismus habe anklingen lassen wollen war in der Tat, daß Lasker wegen seines Strebens nach Höherem nur wenig Wert auf exaktes Eröffnungswissen legte und demzufolge nur wenig Zeit dafür verwendete. Lasker war der Meinung, durch tiefere Erkenntnisse erschließe sich das Konkrete quasi automatisch, ein Gedanken, dem heute sehr viele Schachspieler huldigen, die nicht müde werden, gerade Anfänger von einem ernsthaften Studium von Eröffnungswissen abzuhalten. Auf diesen Umstand in Laskers Spiel hatte sein Freund und nicht verwandter Namensvetter Eduard Lasker aufmerksam gemacht. Er [URL="http://schach-anfänger.de/Schach-Biografien.html"]beschrieb[/URL] dieses Problem wie folgt:[QUOTE] Lasker war auch nicht sehr vertraut mit Schach-Literatur. Er dachte, dass es sich nicht lohne, Zeit für das Lesen von Schach-Büchern zu verwenden, da er den Einruck hatte, dass ein vollkommenes Verständnis der allgemeinen Prinzipien der beste Führer im Kampf am Brett darstellte. Die Schachwelt schuldet dieser Einstellung viele originelle Beiträge, die Lasker für die Eröffnungstrategie leistete. Aber Lasker selbst litt gelegentlich unter seiner Einstellung, besonders in späteren Jahren, weil die wissenschaftliche Analyse der Eröffnungen enorme Fortschritte gemacht hatte und das Vertrautsein mit diesen Analysen manchesmal seinem Gegenüber einen Vorteil verschaffte, der nur schwierig wettzumachen war. [/QUOTE]

Beitrag von Zapp Brannigan

[QUOTE=Kiffing;21595]Lasker favorisierte das psychologische Spiel, das auf den jeweiligen Stil und die Persönlichkeit des Gegners gerichtet war.[/QUOTE]Was ist jetzt bitte der Unterschied zwischen einem Spieler mit universalstil (also ein Spieler der Alles mögliche an Stellungen gut spielen kann) und einem Spieler wessen Spiel dem Stil des Gegners angepasst ist (also ein Spieler der Alles mögliche an Stellungen gut spielen kann)?

Beitrag von Kiffing

Das wäre ein psychologischer Stil, wobei allerdings auch schon andere Meister hervorgehoben haben, welche Leistung das ist, die Schwächen von anderen so gezielt zu erkennen und darauf zu spielen. Ich denke aber, den Universalstil a la Spasski versteht man eher so, daß jemand von selbst heraus in jeder Stellung nicht den für den Gegner unangenehmsten, sondern den für den Gegner objektiv stärksten Zug spielt. Gerade das psychologische Spiel lag Spasski ja eher nicht. In der Beziehung war er eher das Opfer des psychologischen Spiels Fischers in Reykjavik, dem er nichts entgegenzusetzen hatte. Gerade Lasker hatte dazu beigetragen, die Psychologie ins Arsenal der Schachmeister zu legen. Man muß Lasker im Rahmen der damaligen Zeit sehen. Die Gesetzmäßigkeiten der Modernen waren gerade erst gefunden, alle versuchten, den mehr oder weniger stärksten Zug ganz "gesetzmäßig" herauszufinden, schon kommt mit Lasker der nächste Neuerer, der als Kind der Zeiten von Einstein und Freud (Kasparov) aus dem schachlichen Monolog einen Dialog (Bruns) macht, d. h. der als Erstes ganz bewußt den Gegner in seine Zugplanung miteinbezieht.

Beitrag von Zapp Brannigan

Man muss bei Boris natürlich auch schauen, in welcher zeit er spielte. Vor ihm war Tigran WM, der geschlossene, ruhige positionen liebte. Michail B. liebte dampfwalzen-angriffe dank eines raumvorteils (sämisch im Nimzo- und KID) und spielte gerne auf langzeit-schwächen, auch sagte er von sich selbst nicht ganz so stark in taktik zu sein. Michail T. liebte offene stellungen und griff gerne an, in geschlossenen stellungen war er klar schwächer. Da alle vorgänger von Boris so klare vorlieben hatten liegt es natürlich auf der hand, einen spieler, welcher mit schwarz sowohl haarsträubend komplizierte Richter-Rauzer stellungen wie auch eher solide Breyer stellungen gleich gut spielen kann, universell zu nennen. Trotz allem sehe ich persönlich bei Boris doch eher den drang zum dynamischen spiel, so spielte er beim isolierten damenbauern viel lieber die seite mit dem bauern und angriff als die seite welche gegen den bauern spielte.Nochmals zu lasker:Ich frag mich, ob der hype um den psychologischen stil nicht etwas übertrieben ist. Tarrasch, und viele zu seiner zeit, glaubte dass es in jeder position nur EINEN BESTEN zug gab. Lasker sah das gelassener, und sah oft mehrere züge als gleichgut an. Wenn in einer besagten stellung sowohl Tarrasch und auch Lasker 3 etwa gleichgute Kandidatenzüge sehen, würde Tarrasch versuche, herauszufinden welcher der 3 der allerbeste ist. Lasker hingegen wird sich sagen, dass alle 3 züge etwa gleich gut sind, und überlegt sich, welcher zug für seinen gegner am unangenehmsten ist.Lasker war seiner zeit aber vor allem voraus, weil er konkret rechnete. Während Tarrasch in etwa so überlegte "ok, das stellt taktisch nix ein, und dank diesem zug habe ich einen raumvorteil, ergo stehe ich besser", überlegte Lasker eher so, "zugfolge xyz ergibt folgendes, zugfolge yzx dieses, zxy das. zxy ist besser als die anderen beiden, daher spiele ich das"

Beitrag von Daniel72

In dem sehr schönen Buch "Grand Strategy - 60 Games by Boris Spasky" von Jan van Reek wird es in etwa so beschrieben: Boris startete als solider positioneller Spieler a la Capablanca, Trainer Zak machte ihn mit scharfen Eröffnungen vertraut, Tolusch brachte ihm Angriff & Gegenangriff bei, Bondarevsky verbesserte schließlich Boris Analyse- und Endspielfähigkeiten. Boris mochte Aljechin und Tischigorin, Nimzowitsch weniger. Außerdem gefielen ihm Lasker, Capablanca und Euwe. Laut van Reek hat er einen intuitiven Stil und operiert mit einfachen strategischen Plänen und großartigen Angriffen und Gegenangriffen. Seine Partien sind darüber hinaus Musterbeispiele für gute Strategie.

Beitrag von Kiffing

Übrigens, Boris Spasski hatte offenbar grundsätzlich ein Faible für unerwartete Figurenopfer, die in beengter Stellung aus positionellen, aber auch aus psychologischen Gründen gespielt wurden. Auf eines habe ich im Startbeitrag in seiner Partie gegen Awerbach schon hingewiesen. Ich wurde beim Lesen der vor allem früher populären Suetin-Werke auf einen anderen Fall aufmerksam. Spasski brachte sein [URL="http://www.chessgames.com/perl/chessgame?gid=1067742"]Figurenopfer[/URL] hier gegen niemand anderes als den späteren Weltmeister Anatoli Karpov an, sein Figurenopfer geschah im 35. Zug:[Event "USSR Championship"][Site "Moscow URS"][Date "1973.10.11"][EventDate "1973.10.02"][Round "7"][Result "1/2-1/2"][White "Anatoly Karpov"][Black "Boris Spassky"][ECO "C98"][WhiteElo "?"][BlackElo "?"][PlyCount "113"]1. e4 e5 2. Nf3 Nc6 3. Bb5 a6 4. Ba4 Nf6 5. O-O Be7 6. Re1 b57. Bb3 d6 8. c3 O-O 9. h3 Na5 10. Bc2 c5 11. d4 Qc7 12. Nbd2Nc6 13. d5 Nd8 14. a4 Rb8 15. axb5 axb5 16. b4 c4 17. Nf1 Ne818. N3h2 f6 19. f4 Nf7 20. Nf3 g6 21. f5 Ng7 22. g4 Bd723. Be3 Ra8 24. Qd2 Qb7 25. Rac1 Ra2 26. Ng3 Rfa8 27. h4 Bd828. Kh1 Bb6 29. Rg1 Bxe3 30. Qxe3 Qa7 31. Qd2 Be8 32. g5 Qe733. Rcf1 fxg5 34. hxg5 Qd7 35. Nh2 Qd8 36. f6 Bd7 37. fxg7Qxg5 38. Qg2 Rb2 39. Rb1 Rba2 40. Qe2 Qh4 41. Rbf1 Bh3 42. Rf2Ng5 43. Qe3 Bg4 44. Rgf1 Kxg7 45. Bd1 Bxd1 46. Rxd1 Ra147. Rdf1 Rxf1+ 48. Rxf1 Ra2 49. Rf2 Ra1+ 50. Rf1 Rxf1+51. Ngxf1 Qxe4+ 52. Kg1 Qxe3+ 53. Nxe3 Ne4 54. Nd1 Nf6 55. Ne3h5 56. Nf3 Ne4 57. Nd1 1/2-1/2Nach Ansicht von Suetin haben sich die psychologischen Kampfmethoden seit Lasker immer mehr verfeinert. Denn da Schach immer mehr unter Wettkampfbedingungen betrieben wurde, wurden sportliche bzw. praktische Gesichtspunkte immer wichtiger und verdrängten allmählich die eschatalogische Suche nach dem Stein des Weisen.

Beitrag von Kiffing

[QUOTE=Lestat;21646]Nochmals zu lasker:Ich frag mich, ob der hype um den psychologischen stil nicht etwas übertrieben ist. Tarrasch, und viele zu seiner zeit, glaubte dass es in jeder position nur EINEN BESTEN zug gab. Lasker sah das gelassener, und sah oft mehrere züge als gleichgut an. Wenn in einer besagten stellung sowohl Tarrasch und auch Lasker 3 etwa gleichgute Kandidatenzüge sehen, würde Tarrasch versuche, herauszufinden welcher der 3 der allerbeste ist. Lasker hingegen wird sich sagen, dass alle 3 züge etwa gleich gut sind, und überlegt sich, welcher zug für seinen gegner am unangenehmsten ist.Lasker war seiner zeit aber vor allem voraus, weil er konkret rechnete. Während Tarrasch in etwa so überlegte "ok, das stellt taktisch nix ein, und dank diesem zug habe ich einen raumvorteil, ergo stehe ich besser", überlegte Lasker eher so, "zugfolge xyz ergibt folgendes, zugfolge yzx dieses, zxy das. zxy ist besser als die anderen beiden, daher spiele ich das"[/QUOTE]Ich denke mal, daß auch Tarrasch meisterhaft rechnen konnte, und in der Evolution der schachlichen Entwicklung stellte Lasker eine Weiterentwicklung zu Steinitz und Tarrasch dar. Denn in dem wissenschaftlichen Gedankengebäude von Steinitz und Tarrasch war der Gegner gar nicht vorgesehen, es ging eben, wie Du sagst, nur darum, den besten Zug zu finden. Erst Lasker hat damit, indem er den Gegner mit seinen Stärken und Schwächen in seine Überlegungen einbezog, den psychologischen Part des Schachs begründet, den nach Lasker immer mehr Schachmeister in ihre Schachmethodik einbezogen. Und darin war Lasker Tarrasch überlegen, und ich denke, erst diese Weiterentwicklung hat dazu beigetragen, daß Lasker Tarrasch immer ein Stück voraus war, ähnlich wie es wenig später bei Kasparov gegenüber Karpov der Fall war.Auch wenn Dr. Robert Hübner nicht so Recht an den psychologischen Stil Laskers glaubt und diesen sogar für einen Mythos hält, waren und sind sehr viele andere Schachmeister nicht ohne Grund zu dem Schluß gekommen, in Laskers Stil stecke viel Psychologie. Bei Viktor Kortschnoi, der sich selbst als eine Art "Nachfahre" von Lasker sah, äußerte sich dies folgendermaßen:[QUOTE]In einer satirischen New Yorker Geschichte „Match der Epochen“, die in der Zeitschrift 64 veröffentlicht wurde, trafen große Kämpfer der Vergangenheit auf Spieler unserer Epoche, und jeder von ihnen mußte sich einen Gegner mit einem ähnlichen Stil aussuchen. Kortschnoi wurde dabei mit ...Emanuel Lasker zusammengebracht! Nun, ein solcher Vergleich ist durchaus angemessen – Kortschnoi selbst hat schließlich einmal geschrieben: „Zu seiner Zeit hat Lasker geäußert, daß eine Partie mit gleichen Kräften nur selten wirklich interessant ist und normalerweise unentschieden endet. Ein Spieler, der nicht viel von einem Remis hält (und dazu zähle ich mich), muß also das Gleichgewicht irgendwie stören. Entweder opfert er etwas und ergreift dadurch die Initiative, oder er läßt seinen Gegner angreifen und hofft, daß dabei Schwächen in dieser Stellung entstehen, die er später ausnutzen kann. Ich neige dazu, meine Gegner auf diese Weise zu reizen.“ In der Tat: Darin ähnelt Kortschnois Stil dem Laskers sehr. [/QUOTE]Garri Kasparov, Meine großen Vorkämpfer, Band 7, Edition Olms 2007, S. 81f.Mehr zum Thema Lasker und psychologischer Stil: [url]http://www.schachburg.de/threads/1020-Als-Emanuel-Lasker-den-Macheiden-schuf[/url]