Schachburg-Archiv: Benutzerthema „Eine Idee für Schwarz in der Karlsbader Struktur“

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Beitrag von Kiffing

Im Band 5 seiner Vorkämpfer-Reihe hat Garri Kasparov auf ein interessantes Strategem von Petrosjan aufmerksam gemacht, mit Schwarz in der Karlsbader Struktur etwas gegen den weißen Minoritätsangriff zu tun. Nach dem Abtausch der weißfeldrigen Läufer wich Petrosjan in der Partie gegen den Bulgaren Milko Bobozow dem typischen Abtausch des Se5 aus und zog den Springer stattdessen auf b6. Von dort schielt er nach c4 und wird später nach d6 überführt, von wo aus er die ganze Stellung fast im Alleingang zusammenhält. So kann Weiß hier nicht mehr seinen Minoritätsangriff durchführen, ja er kann im Prinzip überhaupt nichts mehr machen. Schwarz dagegen hat, auch weil der Sd6 immer nach e4 schielt, einen interessanten Königsangriff im Visier, den Petrosjan auch erfolgreich durchführte. Am Ende gelang ihm gar ein kunstvollen Fang der überforderten weißen Dame. 1989 wandte der durch diese Musterpartie inspirierte Garri Kasparov diese Idee gleich gegen Lajos Portisch erfolgreich an. Seht selbst:[Event "Schach-Olympiade Lugano 1968"][Site "MyTown"][Date "????.??.??"][Round "?"][White "Milko Bobozow"][Black "Tigran Petrosian"][Result "0-1"][PlyCount "82"][TimeControl "1200"]{767MB, Fritz8.ctg, MYCOMPUTER} 1. d4 Nf6 2. c4 e6 3. Nf3 d5 4. cxd5 exd5 5.Nc3 c6 6. Bg5 Be7 7. Qc2 g6 8. e3 Bf5 9. Bd3 Bxd3 10. Qxd3 Nbd7 11. Bh6 Ng4 12.Bf4 O-O 13. O-O Re8 14. h3 Ngf6 15. Ne5 Nb6 16. Bg5 Ne4 17. Bxe7 Qxe7 18. Qc2Nd6 19. Na4 Nbc4 20. Nxc4 Nxc4 21. Nc5 Nd6 22. Rac1 Qg5 23. Qd1 h5 24. Kh1 Re725. Nd3 Ne4 26. Nc5 Nd6 27. Nd3 Qf5 28. Ne5 f6 29. Nf3 Rg7 30. Nh2 Re8 31. Kg1Ne4 32. Qf3 Qe6 33. Rfd1 g5 34. Qxh5 f5 35. Re1 g4 36. hxg4 fxg4 37. f3 gxf338. Nxf3 Rh7 39. Qe5 Qc8 40. Qf4 Rf8 41. Qe5 Rf5 [Event "Skelleftea"][Site "Skelleftea"][Date "1989.??.??"][EventDate "?"][Round "9"][Result "0-1"][White "Lajos Portisch"][Black "Garry Kasparov"][ECO "D02"][WhiteElo "?"][BlackElo "?"][PlyCount "124"]1.d4 d5 2.Nf3 Nf6 3.c4 e6 4.cxd5 exd5 5.Nc3 c6 6.Qc2 Na6 7.a3Nc7 8.Bg5 g6 9.e3 Bf5 10.Bd3 Bxd3 11.Qxd3 Be7 12.O-O O-O 13.b4Ne4 14.Bf4 Nxc3 15.Qxc3 Bd6 16.Bxd6 Nb5 17.Qb3 Nxd6 18.a4 a619.Ne5 Re8 20.Rfe1 Qg5 21.h3 Kg7 22.Qc2 Re6 23.Rac1 Rae824.Qb1 Qh5 25.Qb3 f6 26.Nd3 g5 27.Qd1 Qg6 28.Qc2 R6e7 29.Red1h5 30.Qb1 h4 31.Qc2 g4 32.Nf4 Qxc2 33.Rxc2 g3 34.Rd3 Kh635.Kf1 Kg5 36.Ne2 Nc4 37.Rcc3 Nb2 38.Rd2 Nxa4 39.Rb3 Nb640.Ng1 Nc4 41.Nf3+ Kh5 42.Rdd3 a5 43.bxa5 Ra8 44.Rd1 Rxa545.Re1 b5 46.Re2 Ra1+ 47.Re1 Rea7 48.fxg3 Rxe1+ 49.Kxe1 Ra1+50.Ke2 hxg3 51.Ne1 Ra2+ 52.Kd1 Rd2+ 53.Kc1 Re2 54.Kd1 Rxe355.Rxe3 Nxe3+ 56.Ke2 Nf5 57.Nc2 Nh4 58.Nb4 Nxg2 59.Kf3 Nh4+60.Kxg3 Nf5+ 61.Kf4 Nxd4 62.Ke3 Nf5+ 0-1

Beitrag von Kiffing

Beim Recherchieren zu diesem Thema bin ich auf "das Blaue Buch", also auf die Techniken des Positionsspiels von Bronznik und Terekhin, aufmerksam geworden, bei denen diese Methode, von denen wir zwei schöne Lehrpartien von Petrosjan und dem durch diesen inspirierten Kasparov gesehen haben, ein eigenes Kapitel erhalten hat. Beide Beispiele wurden auch da aufgenommen, aber interessanterweise ziehen die Autoren den Faden noch weiter zurück und machen Capablanca als den Urheber dieser Idee aus. Hier die "Ursprungspartie":[Event "Moscow"][Site "Moscow URS"][Date "1925.11.22"][EventDate "1925.11.10"][Round "10"][Result "1/2-1/2"][White "Richard Reti"][Black "Jose Raul Capablanca"][ECO "A12"][WhiteElo "?"][BlackElo "?"][PlyCount "66"]1. Nf3 d5 2. c4 c6 3. b3 Bg4 4. Bb2 Nf6 5. Ne5 Bh5 6. g3 e67. Bg2 Be7 8. O-O Nbd7 9. Nxd7 Qxd7 10. d3 O-O 11. Nd2 Qc712. Rc1 Rfd8 13. Nf3 Ne8 14. Rc2 Bf6 15. Qa1 Bxb2 16. Qxb2Bxf3 17. Bxf3 Qe7 18. Rd1 a6 19. Bg2 g6 20. e3 h5 21. cxd5exd5 22. b4 h4 23. a4 Nd6 24. e4 dxe4 25. dxe4 Ne8 26. Rcd2hxg3 27. hxg3 Rxd2 28. Qxd2 Nf6 29. Qd4 Re8 30. Qb6 Kg7 31. e5Qxe5 32. Qxb7 Ng4 33. Qb6 Qh5 1/2-1/2Seitdem haben sich zahlreiche Spieler an dieser Grundidee in der Karlsbader Struktur orientiert. Bronznik und Terekhin sprechen hier von einem "Figurensatz Capablancas", der in dieser Struktur mit dem Sd6 angestrebt werden sollte. Am stärksten sei diese Idee nämlich, wenn Schwarz nur noch die Schwerfiguren und natürlich den Sd6 hat (siehe Capablancas Partie). Die Autoren betonen hier auch, daß der Sd6 sowohl defensiv als auch offensiv gute Dienste leistet. Die weißen Angriffsideen wie der Minoritätsangriff werden vereitelt, Weiß gehen die Ideen aus und er neigt nun dazu, Fehler zu machen (psychologisches Motiv). Nachdem sein Spiel lahmgelegt wurde, kommt Schwarz dann oft genug auf dem Königsflügel zu einem starken Angriff.