Schachburg-Archiv: Benutzerthema „Was wäre die beste Strategie gegen Robert Fischer?“

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Beitrag von Kiffing

Robert Fischer ist natürlich ein Mysterium, weil er ebenso wie sein berühmter Landsmann Paul Morphy ausgerechnet dann dem Schachsport den Rücken kehrte, als er auf der Blüte seiner Kraft stand und alle in der Welt besiegt hatte. Er trat nach 19 (!) Siegen in Folge gegen stärkste Großmeister ab, einem deutlichen 6,5-2,5 gegen Exweltmeister Tigran Petrosjan im WM-Kandidatenfinale und seinem legendären Triumph in Reykjavik gegen Boris Spasski. Der Schachwelt erschien er als unbesiegbar. In diesem Kontext wird aber gerne übersehen, daß dieser Spieler wie jeder Sterbliche auch seine Schwächen hatte. So mochte er unklare Strukturen nicht besonders, spielte relativ unflexibel, hatte einen Hang zum Materialismus wie Viktor Kortschnoi und mochte es ebenso wenig wie Garri Kasparov, wenn er in die Defensive gedrängt wurde. Von seinem Stil er war er ein Klassiker, der seine Stärke aus einem unbändigen Siegeswillen zog, daß er auch Positionen noch auskämpfen konnte, wo andere längst Remis vereinbart hätten, und den Gegner durch seine bessere Kondition und Hartnäckigkeit noch zu Fehlern zwang. In diesem Sinne ähnelte er Magnus Carlsen.Bei der Lektüre des 6. Bandes von Kasparovs berühmter Vorkämpfer-Reihe, der sich u. a. mit der Epoche Robert Fischers auseinandersetzt, bin ich auf eine interessante Kontroverse im sowjetischen Schach gestoßen, wie dieser „Urgewalt“ beizukommen sei. Ich halte diese Kontroverse für schachhistorisch, aber auch spielpraktisch für sehr interessant, und so möchte ich euch nach eurer Meinung dazu befragen.Nachdem Robert Fischer aus verschiedensten Gründen in den letzten WM-Zyklen gescheitert war, war er im WM-Zyklus 1970-1972 unaufhaltsam auf dem Siegesmarsch. Er setzte sich im [URL="http://de.wikipedia.org/wiki/Interzonenturnier_Palma_1970"]Interzonenturnier[/URL] in Palma de Mallorca mit 18,5/23 durch und deklassierte die Nachfolgenden Bent Larsen, Efim Geller und Robert Hübner um 3,5 Punkte. Dabei leistete er sich nur eine Niederlage gegen Bent Larsen, an dem er im WM-Kandidatenhalbfinale aber bekanntlich grausame Rache nahm. Die Situation war gegeben, als Robert Fischer im WM-Kandidatenviertelfinale auf den starken sowjetischen Großmeister Mark Taimanov traf. Mark Taimanov hatte sich hier Rat von Michail Botwinnik geholt, der ihm auch gerne half. Allerdings nahm Mark Taimanov am Ende seine Ratschläge bzw. die von Botwinnik ausgearbeitete Strategie nicht an, denn sie entsprach nicht seinem Naturell. Garri Kasparov berichtet:[QUOTE]Da ihm klar war, was für eine schwere Aufgabe ihm bevorstand, wandte sich Taimanov hilfesuchend an Botwinnik, seinen ersten Lehrmeister im Schach und den „Weltmeister der Wettkampfvorbereitung“. Michail Moissejewitsch, der ein Jahr zuvor selbst noch gegen Bobby spielen wollte, ließ den Schüler großzügig an seinen Ausarbeitungen teilhaben und händigte ihm eine ziemlich ausführliche schriftliche Charakteristik Fischers aus.Ich werde auf dieses einzigartige Dokument nicht weiter eingehen (es ist in den Büchern Ich war Fischers Opfer und Russians vs. Fischer publiziert worden), sondern möchte lediglich anmerken, daß es sich dabei um eine feine und professionelle Analyse handelt. Taimanov wird später klagen, daß das alles nicht für ihn das „richtige Futter gewesen sei“. Und Awerbach hat Recht, wenn er schreibt: „Da er vom Charakter, Denktypus und schließlich von seiner Auffassung vom Schach und dem Leben ein Antipode Botwinniks war, hätte er dessen Ratschlägen und Empfehlungen nie und nimmer gedankenlos folgen dürfen. Um der Terminologie Taimanovs zu folgen: Es war gutes Futter, aber für das falsche Pferd.“Botwinnik nahm auch auf die Zusammensetzung des Taimanovschen Teams Einfluß (dem Kotov und Wasjukov sowie der junge Balaschov angehörten). Mark Jewgenewitsch wollte sehr gerne Michail Tal als Sekundanten gewinnen und hätte sich sogar dessen Einverständnis gesichert. Ich kann mir ausmalen, welch unangenehme Überraschung das für den argwöhnischen Fischer gewesen wäre!Der lebensfrohe Tal – mit seiner riesigen Matcherfahrung und der Kenntnis der schwachen Seite Bobbys – hätte Taimanov eine unschätzbare Hilfe sein können, besonders nach schweren Niederlagen. „Michail Moissejewitsch hat meine Wahl leider nicht gebilligt, und ich habe mich leider dem gefügt, was ich heute für einen der größten Fehler halte.“ Was soll man dem noch hinzufügen?Taimanov erging es wie [URL="http://de.wikipedia.org/wiki/Buridans_Esel"]Buridans Esel[/URL]. Er wollte sich aufrichtig „gemäß Botwinnik“ vorbereiten, doch seine ganze Natur widersetzte sich dem. Nicht umsonst war der Patriarch hinterher beleidigt:„Wir hatten alles erörtert, alles geplant, aber Taimanov beschritt einen anderen Weg, da er sich das ganze Leben nicht an den von mir empfohlenen Plan gehalten hatte und nicht daran glaubte, daß er ihm irgendetwas geben könnte.“ Botwinnik hatte im Einzelnen vorgeschlagen, das Spiel „auszutrocknen“ und so Fischers Möglichkeiten zu beschränken. Aber gerade diesen Rat hatte Taimanov in den Wind geschlagen!Wahrscheinlich ging er dabei von seinem eigenen schachlichen Geschmack aus, denn er pflegte einen lebhafteren, kreativen Stil. Botwinnik hingegen näherte sich dem „Problem Fischer“ wissenschaftlich und er erkannte, daß man Fischer „eindämmen“ müsse. Vielleicht schlägt er plötzlich ja über die Stränge? Aber zu Beginn der 70er Jahre hatte sich Fischer bereits weit besser im Griff als früher.[/QUOTE] Garri Kasparov, Meine großen Vorkämpfer, Band 6, Edition Olms 2006, S. 384Der Plan von Botwinnik war in der Tat ein ausgereifter Plan, auf eine Schwäche von Fischer ausgerichtet, nämlich trockenes Spiel ohne eigene Möglichkeiten nicht zu lieben und sich in solchen Situationen zu inkorrekten Handlungen verleiten zu lassen. Allerdings war die Strategie von Taimanov, das Spiel zu verkomplizieren und schwierige und unklare Stellungen anzustreben, ebenfalls nicht bloßes Spiel nach Lust und Laune. Im Gegenteil, auch diese Strategie macht sich eine bekannte Schwäche Fischers zunutze, sich in unklaren Stellungen nicht allzu gut zurechtzufinden.In diesem Sinne bin ich tatsächlich der Meinung, daß Taimanov gut daran getan hatte, seine eigene Strategie gegen Fischer zu fahren. Das klare 6:0 für Fischer gibt zwar oberflächlich Botwinnik Recht. Aber zum einen verlief dieser Zweikampf wesentlich ausgeglichener als es das nackte Ergebnis vermuten läßt (das sah sogar Fischer selbst so). Und zum anderen weiß man nicht, wie das Duell ausgegangen wäre, hätte sich Taimanov streng an das Botwinniksche Rezept gehalten. Die eigene Persönlichkeit sollte auch bei psychologischem Spiel immer mitberücksichtigt werden; spielt man gegen sein eigenes Naturell, spielt man nicht sein bestes Schach.Doch trotz dieser grundsätzlichen Bedenken teile ich Kasparovs Meinung, daß Botwinniks Rezept an sich gut war, nur eben für den falschen Spieler bestimmt. Insofern bin ich der Meinung, daß sowohl die Tal-Taimanovsche Philosophie gegen Fischer (Tal gehörte lange Zeit zu den Angstgegnern Fischers, und auch Spasski hatte lange Zeit damit Erfolg, das Spiel gegen Fischer zu verkomplizieren) als auch die Botwinnicksche Philosophie gegen Fischer ihre Berechtigung haben. Hier hätte m. E. das Naturell der jeweiligen Spieler besser berücksichtigt werden müssen. Anders ausgedrückt, auf die einen Spieler paßt das eine Rezept gegen Fischer besser, auf die anderen Spieler wiederum das andere Rezept.Wie seht ihr die Wertigkeit beider Spielphilosophien gegen den Spieler Fischer? Und hättet ihr evtl. noch ein anderes Rezept gegen Fischer vorzuschlagen? Denn ich glaube nicht, daß sich das geeignete Spiel gegen Fischer auf nur zwei Spielphilosophien beschränkt.

Beitrag von zugzwang

Wem gibt:hmpf: ihr ... eher Recht?Mein Sprachgefühl gibt der Frage Unrecht.Für Botwinniks Rezept mußte ein anderer Spieler her. Dieser war dann etwas später Karpov und der entwickelte noch ein paar Zusatzrezepturen.Das Sowjetschach war durch die Gefahr Fischer damals gelähmt und erst mit dem Titelverlust lief die Maschinerie auf Hochtouren.Es wäre sehr interessant gewesen zu sehen, ob Fischer der konzentrierten Vorbereitung der größten Schachmaschinerie und der Ausführung durch den dafür vorgesehenen "neuen" Spieler seine eigene Maschinerie erfolgreich hätte entgegenstellen können.Durch seinen Verzicht bleiben nur Spekulation und Glaube.Die Sowjets haben die Fehler in schachlicher, psychologischer, organisatorischer Sicht wohl zutreffend ausgewertet.Fischer hat nicht grundlos lieber die Legende Fischer durch seinen Verzicht weiterleben lassen.

Beitrag von ToBeFree

:-/Rechtschreibfehler korrigiert, aber dabei wurden die bisherigen Umfrageergebnisse gelöscht. Hätte ich mir eigentlich denken sollen, aber der Bleistift neben dem Umfragentitel sah so ungefährlich aus... :rolleyes2:

Beitrag von Kiffing

@ToBeFree: Keine Sorge, Du hast nichts falsch gemacht. Es hatte sich einfach noch niemand an der Umfrage beteiligt. ;)@zugzwang: Es stimmt, daß für die Sowjetunion der Verlust des Weltmeistertitels ein ernster Warnschuß war und darauf Konsequenzen folgten. Mir sind z. B. Reformen bekannt wie die Verpflichtung der Topspieler, an der UdSSR-Meisterschaft teilzunehmen, ein Remisvereinbarungsverbot vor dem 30. Zug sowie die Anlegung einer speziellen Eröffnungskartei nur für sowjetische Großmeister. Denn Fischer war dafür bekannt, gerne in den sowjetischen Schachbüchern zu stöbern, um dort gute Ideen und Neuerungen zu finden. Dafür hatte er sich ja extra Russisch beigebracht. Eine weniger schöne Maßnahme war natürlich die Auslandssperre und die Streichung seines Titels "verdienter Meister des Sports" gegen den „Versager“ Taimanov unter dem Vorwand, er habe ein verbotenes Solschenyzin-Buch über die sowjetische Grenze „schmuggeln“ wollen. Solche Repressalien gegenüber ihren Spitzenspielern, die nie frei waren, sondern immer für ihren Staat spielten, waren in der Sowjetunion natürlich nicht unbekannt. Schon David Bronstein mußte übelste Beschimpfungen über sich ergehen lassen, weil er beim Traditionsturnier in [URL="http://www.schachburg.de/threads/1199-Implikationen-beim-Schachturnier-in-Hastings-1953-54"]Hastings[/URL] 1953/54 „nur“ geteilter Sieger (mit dem englischen Lokalmatadoren Alexander) wurde und damit die Sowjetunion nicht „angemessen“ vertrat.