Schachburg-Archiv: Benutzerthema „Die schlechteste Eröffnung aller Zeiten“

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Beitrag von blunder1

...zumindest auf WM-NiveauEmanuel Lasker, der von 1894 bis 1921 den Weltmeistertitel trug, war der erste universelle und moderne Spieler der Schachgeschichte, doch war auch er nicht unfehlbar. Einer seiner Schwächen war, dass er nicht viel Wert auf Eröffnungen legte; er strebte gesunde, solide Stellungen an und verließ sich auf seine Stärke im Mittel- und Endspiel.In den meisten Fällen waren seine Eröffnungen zwar nicht gut, aber akzeptabel, manchmal waren sie schlecht, und bei Gelegenheit konnte er eine Eröffnungskatastrophe anrichten.Vom 8.11. bis zum 8.12.1910 verteidigte er in Berlin seinen Weltmeistertitel gegen Dawid Janowski.Janowski gehörte zu den führenden Großmeistern dieser Zeit und hatte bereits die großen internationalen Turniere Monte Carlo 1901, Hanover 1902, Wien 1902 und Barmen 1905 gewonnen; in den letzten beiden teilte er den ersten Platz.Er war ein gefürchteter Angriffsspieler, doch gegen Lasker schnitt er katastrophal ab (Gesamtscore: +4, =7, -25) und verlor 1910 den einseitigsten WM-Wettkampf der Schachgeschichte; Lasker brauchte ganze 11 Partien, um die erforderlichen 8 Siege zu erzielen (+8, =3).Auch wenn Janowski gegen Lasker keine Chance hatte, so hätte er zumindest die 8. Partie gewinnen können und die 5. möchte ich Euch jetzt als echte Kuriosität vorstellen.In dieser 5. Partie hat Lasker einen Rekord für die Ewigkeit aufgestellt: Wann hat es je ein Weltmeister geschafft, in einer WM-Partie mit den weißen Steinen bereits nach 10 Zügen hoffnungslos auf Verlust zu stehen? Was die Partie noch kurioser macht, ist die Tatsache, dass Lasker ganze 9 Züge später mehr oder weniger auf Gewinn stand.[Event "World Championship 11th"][Site "Berlin"][Round "5"][Date "1910.??.??"][White "Lasker, Emanuel"][Black "Janowski, Dawid"][WhiteElo "2720"][BlackElo "2570"][Result "1-0"]1.d4 d5 2.c4 e6 3.Nc3 c5 4.cxd5 exd5 5.Nf3 Be6 { Heutzutage wird 5...Nc6 bevorzugt. } 6.e4 { !? } dxe4 { ?! 6...Nf6 7.ed5 Nd5 8.Bb5+ Nc6 9.Qa4 Nc3 10.bc3 Be7 += doch jetzt muss Lasker ein akuter Anfall von Schachblindheit gepackt haben. } 7.Nxe4 { ? 7.Bb5+! Nd7 8.Ne5 Nf6 (8...a6 9.Bd7+ Bd7 10.Qb3 Be6 11.d5 Bc8 12.d6 Be6 13.d7+ Qd7 14.Nd7 Bb3 15.Nb6 +-) 9.Bg5 cd4 10.Qd4 Be7 11.Rd1 0-0 12.Bd7 Nd7 13.Nd7 Bg5 14.Nf8 Qf8 +/- } Nc6 8.Be3 cxd4 9.Nxd4 Qa5+ 10.Nc3 { ?? 10.Qd2 Bb4+ 11.Nc3 Rd8 12.Rd1 Ba2 13.Nc6 bc6 14.Qd8+ Qd8 15.Rd8+ Kd8 16.Ba7 = } O-O-O { -+ } 11.a3 { Nimmt den schwarzen Figuren das Feld b4, doch wenn man solche Züge spielen muss...11.Qd2 Nd4 12.Bd4 Bc5 -+ } Nh6 { ?? 11...Bc5 12.b4 Bd4 13.Bd4 (13.ba5 Bc3+ 14.Bd2 Rd2 15.Qd2 Bd2+ 16.Kd2 Na5 -+) 13...Qg5! 14.h4 Qg6 15.Bd3 f5 16.Be3 Qg2 -+; 11...Nge7 -+ } 12.b4 Qe5 { Vielleicht rechnete Janowski mit 13.Nce2 Nf5 -+ da Weiß seine Figuren nicht entwirren kann, doch jetzt zeigt Lasker eine seiner zahlreichen Stärken: seine berühmte Findigkeit (Capablanca nannte ihn den Spieler mit den 1000 Ressourcen) und er spielt das viel aktivere } 13.Ncb5 { ! } Nf5 { ?! 13...Nd4! =+; 13...a6?! 14.Qc1! ab5 15.Nc6 bc6 16.Qc6+ Qc7 17.Qa6+ Qb7 18.Rc1+ Bc4 19.Qa5 Qc7 20.Qa6+ Qb7 = } 14.Rc1 { ! } Nxe3 15.fxe3 Qxe3+ 16.Be2 Be7 17.Rc3 { !? } Bh4+ { ?! 17...Rd4 18.Qd4 Qd4 19.Nd4 Bf6 20.Rc6+ bc6 21.Ne6 fe6 22.Bf3 = Schwarz hat zu schwache Bauern; 17...Qc3+ 18.Nc3 Nd4 19.Bd3 Rd7 20.0-0 Rhd8 21.Qe1 = } 18.g3 Qe4 { ? 18...Qc3+ 19.Nc3 Bf6 20.Ncb5 +=; 18...Rd4 19.Na7+ Kc7 20.Re3 Rd1+ 21.Bd1 Bg5 22.Rc3 += } 19.O-O { +/- } Bf6 20.Rxf6 { ! } gxf6 21.Bf3 Qe5 { ? Verliert auf der Stelle, wie auch 21...Rd4 22.Nd4 Qe5 23.Qd2 Bd5 24.Rc5 Rd8 25.Bg4+ Kb8 26.Rc6 +- ; 21...Bg4! 22.Na7+ Kc7 23.Ndb5+ Kb6 24.Qd8+ Rd8 25.Be4 Na7 26.Na7 Ka7 27.Rc7 +/- } 22.Nxa7+ Kc7 23.Naxc6 bxc6 24.Rxc6+ Kb8 25.Rb6+ Kc8 26.Qc1+ Kd7 27.Nxe6 fxe6 28.Rb7+ Ke8 29.Bc6+ { 1-0 da 29...Kf8 30.Qh6+ zum Matt führt. } 1-0Nach der katastrophalen Eröffnung zeigt sich Lasker von seiner besten Seite: Kampfkraft, Findigkeit, Ideenreichtum. Ein Bock Janowskis (11...Sh6??), der fast den ganzen Vorteil vergibt, aber immer noch =+ ist, und Lasker spielt einen starken Zug nach dem anderen und strebt nach maximaler Aktivität, während Janowski der plötzlichen Änderung der Stellung nicht gewachsen ist und regelrecht untergeht.Quelle:John Nunn John Nunns Chess Course

Beitrag von Kiffing

Herzlichen Dank für diese famose Glosse! Ich lese deine Artikel, die immer einen besonderen Mehrwert haben, stets mit Vergnügen und denke, dass anhand dieser Partie Laskers Stärken und Schwächen pointiert zum Ausdruck kommen. :top:

Beitrag von karpov84

Ich möchte mich Kiffing anschließen und noch hinzufügen, dass die Patzer auf relativ hohem Niveau waren (nicht einer Weltmeisterschaft würdig, aber auch nicht 1200er Niveau).Die Bewertung ?? wird heutzutage ziemlich inflationär genutzt; ich denke der Grund dafür ist, dass Änderungen der Stellungsbewertung von = zu entweder +- oder -+ häufig so markiert werden. Im Computerzeitalter ist es leicht, da man die Wahrheit vor Augen hat. Allerdings ist es sehr undankbar für einen Zug, der nur mit einer langen, schwer zu sehenden Variante widerlegt werden kann ein ?? zu kassieren. Ich erinnere mich z.B., dass Topalov in einem alten Artikel für sein angenommenes Turmopfer gegen Kasparov (Wijk an Zee 1999) für 24...exd4 ein nicht mal ein ? bekommen hat, weil der Kommentator nicht das Herz hatte den Zug zu "kritisieren". Heute würde da stehen 24...exd4??. Das ist schon hart, wenn man sich vor Augen führt, dass die wörtliche Übersetzung meistens in etwa so lautet:!! ausgezeichneter Zug! starker Zug!? interessanter Zug?! zweifelhafter Zug? schwacher Zug?? grober PatzerUnd Züge wie 24...exd4 oder eben die oben erwähnten 10.Sc3 und 11...Sh6 grobe Patzer zu nennen ist für meine Begriffe unverhältnismäßig. Ein grober Patzer sollte sich in etwa dadurch definieren, dass alle umstehenden Kiebitze sofort die Hände über dem Kopf zusammenschlagen. Und ich als Kiebitz hätte bei keinem von beiden Zügen sofort erkannt, dass er besonders schlecht ist bzw. Material verliert. Von daher - schlechteste Partie einer WM --> vielleichteine von Laskers schlechteren Vorstellungen --> bestimmteine Totalkatastrophe von zwei Anfängern --> ganz sicher nichtGrußBobby

Beitrag von blunder1

Also wirklich![QUOTE=karpov84;29537]..., dass die Patzer auf relativ hohem Niveau waren (nicht einer Weltmeisterschaft würdig, aber auch nicht 1200er Niveau).[/QUOTE]Daher mein Zusatz „...zumindest auf WM-Niveau“. Deshalb kann man auch ein viel höheres Niveau als bei Vereinsspielern voraussetzen, auch wenn alle Weltmeister nur Menschen sind; sie haben alle schon – wenn auch nur sehr selten - Züge gespielt, die ein „??“ verdienen.[QUOTE=karpov84;29537]...oder eben die oben erwähnten 10.Sc3 und 11...Sh6 grobe Patzer zu nennen ist für meine Begriffe unverhältnismäßig. Ein grober Patzer sollte sich in etwa dadurch definieren, dass alle umstehenden Kiebitze sofort die Hände über dem Kopf zusammenschlagen.[/QUOTE]10.Sc3 verdient die beiden Fragezeichen, da dieser Zug nach 10...0-0-0 auf der Stelle verliert. Lasker muss einen Blackout gehabt haben. Oder war es ein Fingerfehler?Ich bin wahrlich kein Meister, doch ein weit überdurchschnittlicher Spieler – s. meine Wertungszahlen (der DWZ-Durchschnitt liegt ca. bei 1570). Selbst in einer Blitzpartie hätte ich mit Schwarz 10...0-0-0 gezogen, auch ohne diese Partie zu kennen.Bei 11...Sh6 kann man meiner Ansicht nach diskutieren, ob „??“ nicht zu streng ist. Der Springer strebt nach f5, ohne den Königsläufer verstellen zu wollen. Allerdings hat Janowski der Tatsache nicht Rechnung getragen, dass seine Königsstellung am Damenflügel wacklig ist, s. das Gegenspiel mit 13.Scb5. [QUOTE=karpov84;29537]Und ich als Kiebitz hätte bei keinem von beiden Zügen sofort erkannt, dass er besonders schlecht ist bzw. Material verliert.[/QUOTE]Wie ist dann dein Rating zustande gekommen? Auch Du müsstest ein viel besseres Schachverständnis als der Durchschnittsspieler haben. [QUOTE=karpov84;29537]Von daher - schlechteste Partie einer WM --> vielleicht[/QUOTE]Davon war nie die Rede, sondern es geht um die Eröffnung; eine Schachpartie besteht nicht nur aus der Eröffnung.[QUOTE=karpov84;29537]eine von Laskers schlechteren Vorstellungen --> bestimmt[/QUOTE]Jein. Nach 10.Sc3 steht er hoffnungslos auf Verlust, nach 11...Sh6 spielt er einfach nur meisterhaft.[QUOTE=karpov84;29537]eine Totalkatastrophe von zwei Anfängern --> ganz sicher nicht[/QUOTE]Was ist das für eine Bemerkung? Schließlich halte ich Lasker für den stärksten Spieler der Schachgeschichte und Janowski war einer der führenden Großmeister seiner Zeit.Als Themenersteller gebe ich mir Mühe; natürlich mache ich Fehler, die ich dann allerdings sofort korrigiere.Aber das miserable Niveau deines Beitrags lasse ich in meinem Thema nicht so stehen und kritisiere es. Jetzt kann jeder User selber entscheiden, was er davon hält.