Schachburg-Archiv: Benutzerthema „Weltspitzenspieler, die Schachamateure waren oder sind (von früher - von heute)“

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Beitrag von Babylonia

Hier möchte ich einen Thread eröffnen zur Ehre von solchen herausragenden Spielern, und bitte die User der Schachburg um Beiträge. Ich bin selber nicht so kompetent, dazu Aufsätze zu schreiben wie Kiffing und Blunder1. Als erstes dazu fällt mir Weltmeister und Schachbücherautor Prof. Dr. Max Euwe aus den Niederlanden ein. Er war von Beruf erst Mathematiklehrer und später Professor für Informatik. Babylonia

Beitrag von Nefumanto

Ich glaube, es gibt einige dieser "Amateure", für die der Beruf im Mittelpunkt stand. Spontan fallen mir ein Robert Hübner, der Papyrologe, und Dr. Pfleger, der Internist. Auch wenn Dr. Pfleger nicht unbedingt zur Weltspitze gehört hat. Robert Hübner aber auf jeden Fall.

Beitrag von blunder1

Ein Frage, über die ich mir schon einige Gedanken gemacht habe: Wie definiert man eigentlich “Amateur”?Die sehr strikte Definition, welche das IOC erst 1988 endgültig aufgegeben hat (Olympische Spiele stehen allen offen, auch NHL-Profis z.B.), beruhte auf dem Ethos der Aristokratie, der in den englischen public schools vorgelebt wurde und Pierre de Coubertin sehr beeinflusst hat: Sport galt als wichtiger Bestandteil einer kompletten Erziehung und sollte nur als Hobby betrieben werden; es galt schon als unfair, zu trainieren. Jede finanzielle Belohnung war verpönt, selbst der Erhalt eines Silberpokals, der als materieller Wert interpretiert werden konnte, stellte ein Problem dar. Das moderne Turnierschach begann mit London 1851, dessen Organisator Howard Staunton beruflich eine bekannter Shakespeare-Gelehrter war. Es gewann Adolf Anderssen, der damit als der beste Spieler der Welt galt, und zuerst Mathematiklehrer, dann Professor war.Nur, das Gesamtpreisgeld für das Turnier betrug 500 Pfund, was 2006 immerhin 359.000 Pfund entsprochen hätte. Die erfolgreichsten Spieler verdienten gutes Geld mit Schach, auch wenn sie einem anderen Beruf nachgingen.Paul Morphy: Er entsprach ganz dem Bild des “aristokratischen” Gentleman, der jeden finanziellen Aspekt ablehnte. Er stammte aus reichen Verhältnissen und hatte sein Jurastudium so früh abgeschlossen, dass er als Anwalt erst einmal gar nicht arbeiten durfte (in seinem Heimatstaat Louisiana musste man mindestens 21 Jahre alt sein).Dies führte zu seinem Siegeszug 1857-Anfang 1859. Er war finanziell abgesichert und konnte sich in der Zeit voll auf das Schach konzentrieren.Siegbert Tarrasch: Er praktizierte als Arzt und sah sich selber als Amateur (Dreihundert Schachpartien, S. 206). Doch auch er verdiente gut mit Schach, z.B. 1. Platz Breslau 1889 1.000 Mark, 1. Platz Manchester 1890 80 Pfund, für damalige Verhältnisse beträchtliche Summen. Tarrasch glänzte nicht nur als Spieler, sondern wurde auch der erfolgreichste Schachautor seiner Zeit; er widmete Schach sehr viel Zeit.Kann man einen solchen Spieler wirklich als “Amateur” bezeichnen? Oder wäre der Begriff “nebenberufliche Tätigkeit” nicht genauer?Max Euwe: In meinen Augen durchaus vergleichbar mit Tarrasch.Mikhail Botwinnik war Halbprofi: Schach und seine Tätigkeit als Elektroingenieur/Computer-Wissenschaftler.Robert Hübner: Er erinnert an Tarrasch und Euwe; als promovierter Papyrologe war er nie Schachprofi, doch auch er verdiente Geld mit Schach.Alle diese Spieler - von Morphy abgesehen - wären bei der alten, sehr strikten Definition des Begriffs “Amateur”, welche das IOC so lange umgesetzt hat, bei Olympischen Spielen nicht startberechtigt gewesen, wobei bei Botwinnik auβerdem die Problematik “Staatsamateur” hinzugekommen wäre, welche einfach nur eine Umgehung der IOC-Regeln war.Bei modernen Spielern fällt mir Matthew Sadler ein, der sich mit Mitte 20 für eine EDV-Karriere in den Niederlanden entschieden hat; allerdings gehört er in meinen Augen nicht zur Weltklasse im engsten Sinn (Elo April 2019 2688).Heutzutage muss man, wenn man in die Weltspitze vorstoβen will, Vollprofi sein.

Beitrag von Babylonia

Danke für eure wertvollen Beiträge, Nefumanto und Blunder!Ich persönlich finde es schade, wenn sehr gute Schachspieler sich einseitig nur im Schach profilieren. Deswegen bin ich auch ein Fan von Lasker, weil der so vielseitig begabt war und bestimmt das Zeug dazu hatte, Wissenschaftler zu werden, wenn er die entsprechenden Stellen bekommen hätte. Wolfgang Unzicker war als Jurist im Dienst (als Richter?), zumindest GM wird der doch auch sein, oder? Paul Morphy, der wollte gar nicht vom Schach leben, sondern ganz regulär als Rechtsanwalt sein Geld verdienen. Das ist ihm aber nicht vergönnt worden und er hat diesen Umstand wohl nicht verkraftet. Michail Botwinnik war auch so ein vielseitig begabter Spitzen-Schachspieler und Elitetrainer. Robert Hübner finde ich auch sein sehr gutes Beispiel, Wissenschaftler und Polyglot und Spitzenschachspieler. Gerne noch mehr Beiträge zu solchen Leuten, ich möchte noch mehr biographische Kenntnisse dazu gewinnen. Babylonia

Beitrag von Nefumanto

Wolfgang Unzicker war Vorsitzender Richter am Verwaltungsgericht München.Viele deutsche Spieler haben sich im Laufe ihres Lebens ein paar Jahre "Auszeit" genommen, um sich ganz dem Schach widmen zu können. Z. B. während des Studiums. Aber irgendwann mussten sie sich entscheiden: Beruf oder Schach.Elisabeth Pähtz hat sich anscheinend für Schach entschieden.

Beitrag von Babylonia

Wolfgang Unzicker (1925 - 2006)Zu seiner Biografie die Wikipedia: [Hier befand sich ein Link auf die Seite "https://de.wikipedia.org/wiki/Wolfgang_Unzicker". Der Link wurde vom Benutzer mit dem Titel "https://de.wikipedia.org/wiki/Wolfgang_Unzicker" versehen. Aus urheberrechtlichen Gründen ist es möglicherweise erforderlich, diesen Hinweis beizubehalten, da manche Benutzer die Quelle ihrer Zitate von anderen Internetseiten so gekennzeichnet haben. Dieser Hinweis wurde automatisch an Stelle des früheren Links platziert. Falls der Link unangemessen oder ohnehin unerreichbar geworden ist, kann die im Impressum genannte Adresse mit einer Bitte um Entfernung kontaktiert werden.]Das ist ja eine eindrucksvolle Biografie! Was dieser Mann alles "nebenberuflich" im Schach an Erfolgen erreicht hat! Er hat zum Beispiel an so vielen Schacholympiaden teilgenommen! Und er war IM und GM. Babylonia

Beitrag von blunder1

Auβerdem kann man Ossip Bernstein nennen, der zumindest nach der Oktoberrevolution in Paris als Rechtsanwalt tätig war und nur noch selten an Turnieren teilnahm, und vor allem Milan Vidmar, der Ingenieur der Elektrotechnik und Hochschullehrer war.

Beitrag von blunder1

[QUOTE=Babylonia;29306]Deswegen bin ich auch ein Fan von Lasker, weil der so vielseitig begabt war und bestimmt das Zeug dazu hatte, Wissenschaftler zu werden, wenn er die entsprechenden Stellen bekommen hätte.[/QUOTE] Lasker war auf jeden Fall Profi, da er seine Einkünfte fast ausschlieβlich aus Schach bezog.Gerade nach dem 2. Weltkrieg waren die Preisgelder lange Zeit so niedrig, dass man im Westen von Schach kaum leben konnte; selbst Samuel Reshevsky ging einem Beruf nach (Buchhalter).Die einzigen westlichen Profis, von denen ich weiβ, waren Larsen und Fischer.Die Staatsamateure aus dem Ostblock bezogen ein - für dortige Verhältnisse - hohes Gehalt.Der Schachboom, den Fischer besonders 1970-72 ausgelöst hat, hat zu einem groβen Anstieg des Geldes geführt, das man mit Schach verdienen konnte und die Professionalisierung erst ermöglicht.

Beitrag von Babylonia

[QUOTE=blunder1;29311]Auβerdem kann man Ossip Bernstein nennen, der zumindest nach der Oktoberrevolution in Paris als Rechtsanwalt tätig war und nur noch selten an Turnieren teilnahm, und vor allem Milan Vidmar, der Ingenieur der Elektrotechnik und Hochschullehrer war.[/QUOTE]GM Milan Vidmar aus Slowenien (1885 - 1962)Hierzu die deutsche Wikipedia:[Hier befand sich ein Link auf die Seite "https://de.wikipedia.org/wiki/Milan_Vidmar". Der Link wurde vom Benutzer mit dem Titel "https://de.wikipedia.org/wiki/Milan_Vidmar" versehen. Aus urheberrechtlichen Gründen ist es möglicherweise erforderlich, diesen Hinweis beizubehalten, da manche Benutzer die Quelle ihrer Zitate von anderen Internetseiten so gekennzeichnet haben. Dieser Hinweis wurde automatisch an Stelle des früheren Links platziert. Falls der Link unangemessen oder ohnehin unerreichbar geworden ist, kann die im Impressum genannte Adresse mit einer Bitte um Entfernung kontaktiert werden.]Ich hatte noch nie von ihm auch nur den Namen gehört! :rolleyes:Was für ein sowohl beruflich als Wissenschaftler als auch schachlich sehr erfolgreicher Mann! :-)Babylonia

Beitrag von blunder1

Sein Buch Goldene Schachzeiten ist ein Klassiker.

Beitrag von Babylonia

[QUOTE=blunder1;29401]Sein Buch Goldene Schachzeiten ist ein Klassiker.[/QUOTE]Milan Vidmar hat an der Universität Wien studiert und promoviert. Neben Slowenisch hat er viele seiner Bücher auf Deutsch geschrieben. Ich denke, dass er auch das Buch "Goldene Schachzeiten" auf Deutsch verfasst hat. Babylonia