Schachburg-Archiv: Benutzerthema „Weltmeister und weltbeste Spieler“

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Beitrag von Kiffing

Auch wenn der Weltmeistertitel der höchste Titel im Schachsport ist, so ist der Weltmeister nicht zwangsläufig mit dem weltbesten Spieler identisch. Diese Banalität muß gesagt werden, denn der Weltmeistertitel gilt im Schach als etwas Heiliges, und um den zu bekommen, waren die WM-Finals wahre Mammutveranstaltungen, wo dieses Highlight des Schachsports also auch wirklich bis zur Neige ausgekostet wurde. Es war lange Zeit selbstverständlich, daß derjenige, der konnte, zu einem WM-Finale auch antrat, und die Vielzahl an Partien hielten die Zufallselemente als ausschlaggebendes Kriterium für das Endergebnis wie die Tagesform so gering wie möglich. Nach der Wahrscheinlichkeitsrechnung ist es eben so, daß sich mit steigender Anzahl die Tendenz durchsetzt, und hier wäre die Tendenz der stärkere Spieler. Seit der Spaltung der Schachwelt in FIDE und PCA durch Garri Kasparov und Nigel Short, können wir in der Schachwelt von zwei Weltmeistern sprechen, die nebeneinander koexistierten. Dieses Schisma hatte bis 2006 Bestand. Die Reformen der FIDE durch Kirsan Iljumschinow, die dazu führten, daß die FIDE-Weltmeisterschaften zu KO-Turnieren umgewandelt wurden, spülten auf einmal Weltmeister wie Alexander Khalifman, Ruslan Ponomarjow oder Rustam Kasimjanov an die Spitze, die niemand auf der Rechnung hatte und die auch niemand als weltbesten Spieler anerkannt hatte. Es entstand eine Kluft zwischen dem Weltmeister und dem weltbesten Spieler, der Weltmeister konnte die FIDE offenbar nicht mehr angemessen repräsentieren, und das führte dann dazu, daß die FIDE-Reformen von 1999 2005 wieder aufgehoben und durch Weltmeisterschaftsbedingungen ersetzt wurden, die dem traditionellen Modell sehr ähnlich waren, auch wenn die Anzahl an Partien um die Hälfte gekürzt wurde. Wir brauchen gar nicht darüber zu reden, daß in dieser Zeit der Wirren die Weltmeister nicht unbedingt die weltbesten Spieler gewesen sind. Aber was ist mit den früheren Weltmeistern, die doch ungleich mehr Anerkennung und Autorität besaßen. Waren die klassischen Weltmeister wirklich alle auch die weltbesten Spieler, oder gab es auch da Ausreißer? Lassen wir uns dieser Frage nachgehen:Als 1935 bei der Schach-WM in den Niederlanden Alexander Aljechin gegen den "Amateur" Max Euwe sensationell verlor, schienen die Verhältnisse auf den Kopf gestellt worden zu sein. Aber nur zwei Jahre später konnte Aljechin die Verhältnisse wieder richtig stellen, als er seinen Gegner, den er vorher vielleicht unterschätzt hatte, mit 15,5-9,5 von sich distanzieren konnte. Hier war also offensichtlich für zwei Jahre nicht der weltbeste Spieler Weltmeister.Fallen euch noch mehr klassische Weltmeister ein? Denkhilfen wären etwa Themen wie die Stärke des großen Paul Keres, der Einfluß von Michail Botwinnik z. B. bei Fragen wie WM-Privilegien oder die Selbstherrlichkeit früherer Weltmeister wie Aljechin oder vielleicht auch Capablanca, sich die WM-Gegner selber auszusuchen und somit den wirklich gefährlichen Konkurrenten auszuweichen. Es empfiehlt sich auch, die weltbesten Spieler in den einzelnen Epochen mit den jeweiligen Weltmeistern zu vergleichen, um so zu einem persönlichen Werturteil zu gelangen. Heute gilt übrigens nicht Weltmeister Viswanathan Anand, sondern der zur WM nicht angetretene Norweger Magnus Carlsen als weltbester Spieler.

Beitrag von Hans_van_Ille

Deine geschichtlichen Zusammenfassungen zu lesen ist immer wieder ein Genuss Kiffing :top:Für mich sind alle klassischen Meister weltspitze gewesen.Ganz einfach :)