Schachburg-Archiv: Benutzerthema „Hexenwahn im Schach?“

schachburg.de

Beitrag von Kiffing

[IMG][Hier befand sich ein Link auf die Seite "https://i.imgur.com/jNkd4Xn.jpg". Der Link wurde vom Benutzer mit dem Titel "https://i.imgur.com/jNkd4Xn.jpg" versehen. Aus urheberrechtlichen Gründen ist es möglicherweise erforderlich, diesen Hinweis beizubehalten, da manche Benutzer die Quelle ihrer Zitate von anderen Internetseiten so gekennzeichnet haben. Dieser Hinweis wurde automatisch an Stelle des früheren Links platziert. Falls der Link unangemessen oder ohnehin unerreichbar geworden ist, kann die im Impressum genannte Adresse mit einer Bitte um Entfernung kontaktiert werden.][/IMG]In der Schachwelt haben sich in letzter Zeit Meldungen über beunruhigende Ereignisse vermehrt, die ganze Turniere überschattet haben. Längst geht es nicht mehr so friedlich zu wie bei der Feststellung der Schuld von Spielern wie Feller oder Natsidis. Es ist ein Trend zu beobachten, daß die Spieler von selbst aktiv werden, wenn sie Betrugsverdacht bei ihren Gegnern wittern oder wenn sie Spieler gewahr werden, die an Turnieren teilnehmen, bei denen sie selbst zugegen sind.Aus der [URL="http://www.schach-welt.de/BLOG/Blog/StellungnahmeFalkoBindrichszumBetrugsvorwurf"]Stellungnahme[/URL] von Falko Bindrich, Bericht vom 25.10.2112:[QUOTE] Am Sonntag wurde die Art und Weise, wie ohne mein Wissen meine Toilettengänge überwacht wurden, auf ein neues Level gehoben. Ich zitiere wieder wörtlich aus dem Bericht von Schiedsrichter von Häfen:„Eine Viertelstunde später war er wieder weg. Nun wurde es mir endgültig zu viel und ich ging wieder Richtung Toilette. In der Zwischenzeit hatte auch Sebastian Siebrecht mitbekommen, dass etwas an dem Verhalten von Falko Bindrich merkwürdig war. Er (Sebastian Siebrecht) holte mich kurz vor der Toilette ein und sprach mich an. Ich sagte ihm, dass mir das Verhalten auch aufgefallen wäre. Gemeinsam gingen wir schweigend in die Toilette. Falko Bindrich war wieder in einer Kabine. Sebastian Siebrecht legte sich auf den Boden, um sich die Fußstellung anzusehen. Schweigend verließen wir wieder die Toilette. Vor der Toilette sagte er mir, dass die Fußstellung nichts erkennen ließe, ihm aber das Verhalten von Bindrich vor dem Hintergrund des erwähnten Vorfalls mit Natsidis suspekt sei. Er (Sebastian Siebrecht) forderte mich auf eine Taschenkontrolle durchzuführen.“ [/QUOTE]Aus dem [URL="http://www.chessbase.de/Home/TabId/176/PostId/4009862/ivanov-wieder-unter-verdacht-180513.aspx"]Cork Chess Congress[/URL] in Irland:[QUOTE] Gerry, schnell! Ich habe jemanden entdeckt, bei dem es piept!!!“ Der aus Rumänien stammende Gabriel Mirza war so aufgeregt, dass ihm das passende Wort für den Mini-Computer, den er gehört hatte, nicht einfiel, aber er kam in den Spielsaal gerannt, um Gerry Abraham, den Schiedsrichter des Cork Chess Congress in Irland, zu finden und ihn aufzufordern, so schnell wie möglich zur Herrentoilette zu kommen. Dort öffnete Mirza die Toilettentür, hinter der sein Gegner saß, mit Gewalt und zerrte den Verdächtigen aus der Kabine. Es war ein 16-jähriger Junge, der zugab, dass er bei der noch laufenden Partie gegen Mirza tatsächlich einen Computer zu Hilfe genommen hatte. Dieser Vorfall ereignete sich am 21. April, am letzten Tag des Cork Chess Congress in Irland. Zu diesem Zeitpunkt lagen Mirza und sein Gegner mit 3 aus 4 mit einem Punkt Rückstand auf den Führenden und ihren größten Konkurrenten vorne in der Tabelle. Die Ergebnisse des Spielers, den man in flagranti erwischt hatte, wurden annulliert und er wurde vom Turnier ausgeschlossen. Genau wie Mirza, der überreagiert hatte. Zuerst hatte er über den oberen Rand der Toilettenkabine geschaut und versucht, seinem Gegner das Computer-Tablet zu entreißen, danach hatte er die Tür aufgebrochen. “Was hätte ich tun sollen?”, meinte der am Boden zerstörte Spieler später. “Was soll man tun, wenn man bestohlen wird?” Dennoch – da ein Minderjähriger in den Fall verwickelt war und Mirza aggressives Verhalten an den Tag gelegt hat, wird die ICU den Fall genauestens untersuchen – [url]http://icu.ie/articles/display.php?id=377[/url] [/QUOTE]Aus einem [URL="http://www.schachfeld.de/f16/open-deizisau-17832/index8.html#post292743"]Schnellschachturnier[/URL] in Dortmund:[QUOTE] Am Samstag dem 11.Mai 2013 fand in Dortmund ein Schnellschachturnier statt [URL="http://fs98-schach.de/whh13/whh13_endstand.html"]13. WHH-Turnier[/URL]Das für unser Thema interessanteste ereignete sich bereits 20 Minuten vor Beginn des Turniers. Als der Name „JK“ auf der Leinwand als angemeldeter Spieler bemerkt wurde, kam es zu einem spontanen Boykottaufruf einer Handvoll Teilnehmer. Unter Wortführung von IM Ilya Schneider und mit Solidarität des Vorjahressiegers IM Mikhail Zaitsev drohte die Gruppe dem Turnierleiter dem Turnier fernzubleiben falls Kotainy ebenfalls spielen sollte. Man wolle nicht im selben Turnier mit einem Betrüger spielen, wurde als Begründung genannt. Wie sollte der überrumpelte Turnierleiter, dem von den kursierenden Vorwürfen bisher noch nichts zu Ohren gekommen war, reagieren? In diesem Fall gab es keine Möglichkeit es beiden Parteien rechtzumachen. Letztendlich entschied er sich aus pragmatischen Gründen dafür, die Gruppe statt den Einzelnen mitspielen zu lassen, ohne damit eine Bewertung über die Richtigkeit der Anschuldigungen abgeben zu wollen. Als kurze Zeit später JK in Begleitung seines Bruders Gregors den Spielsaal betrat, kam es zu hitzigen Diskussionen. Natürlich wollten die beiden Brüder diese Entscheidung nicht einfach hinnehmen. Doch obwohl Bruder Gregor laut Aussage des Turnierleiters sogar damit drohte, Gewalt anzuwenden (betont sei: Gewalt nicht gegen Personen sondern gegen Sachen) blieb es letztlich bei der Entscheidung und die beiden Brüder zogen grimmig ab.Ich höre schon wieder: „Alles Gerüchte! Wo sind die Beweise?“ Bei dem Turnier gab es 92 Teilnehmer und natürlich einige Leute die für die Durchführung des Turniers verantwortlich waren. Um die hitzige Diskussion herum bildete sich eine Menschentraube. Damit sollte es genug Zeugen geben die Gesagtes bestätigen können. [/QUOTE]Aus einem [URL="http://www.chessbase.de/Home/TabId/176/PostId/4009862/ivanov-wieder-unter-verdacht-180513.aspx"]bulgarischen Schachturnier[/URL]:[QUOTE] Deshalb beschlossen die Teilnehmer der bulgarischen Meisterschaft aktiv zu werden und veröffentlichten folgendes Statement:“Wir sind zutiefst überzeugt, dass die Person Borislav Ivanov während seiner Partien elektronische Hilfsmittel benutzt.Wir erklären, dass wir an keinem Turnier teilnehmen werden, in dem er spielen könnte, es sei denn, es gibt spezielle Vorkehrungen, die den Gebrauch elektronischer Hilfsmittel im Spielsaal unterbinden.”Dieser Brief wurde von fast allen Teilnehmern der Meisterschaft unterzeichnet. [/QUOTE] Es ist nicht mehr das Gehirndoping, von dem viele früher Gefahren witterten, im Prinzip glauben heute nicht mehr allzu viele daran, daß man mit Medikamenten seine Leistungen auf dem Schachbrett signifikant steigern kann und daß all dies Kosten und Aufwand rechtfertigt, zumal heute gesichert ist, daß gerade solche vermeintlich leistungssteigernde Substanzen oft geradezu nach hinten losgehen können. Schon 1979 zeigte sich dies bei Helmut Pfleger, der gegen einen vorher eingeweihten Gegner einen [URL="http://www.heise.de/tp/blogs/3/149217"]Selbstversuch[/URL] mit Beta-Blockern unternahm. Nein, die Quellen, wie man sich wirklich sichere Vorteile gegen andere Spieler verschaffen kann, liegen heute in den zunehmend miniaturisierten elektronischen Geräten, die so unauffällig am Körper getragen werden können, daß niemand sie bemerken kann. Das e-Doping wird zunehmend aktuell, und was wir derzeit erleben, ist nur der Anfang einer Entwicklung, und in welche Bahnen diese Entwicklung verlaufen wird, wird viel davon abhängen, wie Spieler und Verantwortliche auf dieses Problem reagieren werden.Die Artikelüberschrift sowie das Bild deuten es an, die Vorgänge in der Schachwelt erinnern an das heute gerne im abstrakten Sinne verwendete Phänomen einer Hexenjagd, wofür es durchaus einige Symptome gibt. So gab es in der Geschichte u. a. drei sehr bekannte Beispiele, die in diese Richtung gingen, nämlich die Zeit der Hexenverfolgungen in der frühen Neuzeit, die Judenverfolgung im Dritten Reich und in den von ihm eroberten Gebieten sowie die Jagd auf „Volksfeinde“ unter Stalin im Zuge der Großen Säuberung. In allen Fällen wurden Ängste im Volk vor den Feindbildern geschürt, das Volk begann es zu glauben, witterte hinter jedem Baum einen Feind und ging nun selbst gegen diese Feindbilder vor. Ein Klima des gegenseitigen Mißtrauens, der Angst, der Denunziationen, der Selbstjustiz und der Gewalt entwickelte sich und steigerte sich vielerorts zu Massenpsychosen, Manien, Hysterien und Bluträuschen. In allen Fällen zeigte sich, daß hinter denjenigen, die diese Eskalationen schürten und in immer schlimmere Bahnen lenkten, sich ganz handfeste persönliche Interessen verbargen. Im historischen Roman: „Die Kinderhexe“ von Roman Rausch wird das anhand des Würzburger Hexenkommissars Doktor Dürr zu Zeiten des Dreißigjährigen Krieges, der selbst in diese Mühlen hineingeriet und von dort an zum Umdenken gekommen ist, z. B. sehr gut geschildert:[QUOTE]Dürrs Augen huschten über das Papier.„Fuchs, Gerhard. Ich erinnere mich an diesen Fall. Ein bis dato unbescholtener Weinhändler, der auf Anschuldigung eines konkurrierenden Geschäftsmanns festgenommen, befragt und zum Tode mit dem Schwert verurteilt wurde. Auffällig war, daß die Zeugen nicht den Dreck unter den Fingernägeln wert waren und das Verfahren mehr Lücken aufwies, als Löcher im Strumpf eines alten Marktweibs sind. Doch entscheidend ist das hier.“Er kramte in den Unterlagen und zog schließlich eine Liste hervor: „Das ist die Bestandsaufnahme des Fuchs´schen Besitzes. Nach dieser Liste hätten zum Zeitpunkt der Feststellung zwanzig Fuder besten Weins vom Stein, sechs Ochsenkarren und zwölf Rösser der bischöflichen Kasse zum Bestreiten der Gerichtskosten überstellt werden müssen. Tatsächlich tauchen in der endgültigen Liste aber nur zehn Fuder, zwei Ochsenkarren und sechs Pferde auf.“ Er zeigte auf eine entsprechende Liste mit gleicher Überschrift. „Ebenso fehlen vom sichergestellten Barvermögen des Weinhändlers rund zweitausend Gulden, das Silber- und Goldbesteck und einiges an Schmuck.“„Und wo ist das alles geblieben?“, fragte Kathi.Dürr zeigte auf die Unterschrift am Ende der Liste.Sie las den Namen: Doktor Faltermaier.„Das wird dem Bischof die Augen öffnen. Obwohl: Der Bischof ist an Geist und Seele genauso verfault wie seine Helfer. Das kaiserliche Reichskammergericht in Speyer dürfte sich dennoch für folgende Unterlagen interessieren.“Er kramte Papiere mit Siegeln hervor. „Das sind von mir in Auftrag gegebene Rechtsgutachten, die auf Anweisung des Bischofs zurückgezogen wurden. Sie alle hätten ausgereicht, um die Verfahren einzustellen und die Beschuldigten freizulassen. Stattdessen endeten die Angeklagten unter dem Schwert oder auf dem Scheiterhaufen. Ihr Vermögen wurde ebenso eingezogen wie das der anderen auch. Wer dagegen Einspruch erhob, mußte es ebenfalls mit dem Leben bezahlen.“Kathi mochte es immer noch nicht glauben. Was war nur aus dieser Stadt, ihrem Bischof und den Hexenkommissaren, ihren Doktoren und Professoren geworden, wenn nicht einmal die Obrigkeit an das Treiben von Hexen und Zauberern glaubte, sondern nur noch Raffsucht und Mord regierten? Wenn all die Ermahnungen und Unterweisungen der Pfarrer, Eltern und Lehrer im Glauben an die Errettung sich als billige Lüge herausstellten? Gab es dann überhaupt so etwas wie eine Hexe oder einen Zauberer?[/QUOTE]Roman Rausch, Die Kinderhexe, Rowohlt Taschenbuch Verlag, 2011, S. 287f.Aus diesen Ereignissen aus der frühen Neuzeit können wir also folgendes mitnehmen:1. hinter jedem Hexenwahn stecken auch materielle Interessen2. Jeder Hexenwahn verschafft Denunzianten die günstige Gelegenheit, Konkurrenten oder sonst unliebsame Personen aus dem Wege zu räumen3. Jeder Hexenwahn wird nicht nur von der Obrigkeit dem Volke aufgezwungen, sondern vom Volk auch gefordert, so daß sich Obrigkeit und Volk gegenseitig bei der Steigerung des Wahns ergänzenDas Klima derzeit in der Schachwelt ist tatsächlich so beschaffen, daß diese Hysterie derzeit geschickt von Schachspielern ausgenutzt werden kann, um einem persönlich unliebsame Personen oder Konkurrenten des e-Dopings zu beschuldigen. Ergänzung: Die Gefahr besteht auch darin, daß Schachspieler ihre Gegner, gegen die sie verloren haben, leicht als Betrüger beschuldigen können, denn einem Betrüger aufgesessen zu sein, verträgt sich mit ihrem Selbstwertgefühl leichter als sich selbst und anderen einzugestehen, daß der andere tatsächlich der bessere Spieler gewesen ist. Schachspieler waren im Erfinden von Ausreden bei verlorenen Spielen schon immer sehr erfinderisch, und hier bietet sich bei bei diesem Klima eine neue willkommene Gelegenheit. Ergänzung Ende. Das Kainsmal des Betrügers wirkt lebenslang und wie schon Plutarch richtig erkannte: „Audacter calumniare, semper aliquid haeret“ (Verleumde nur frech – etwas bleibt immer hängen). Doch bleiben wir fair. Die Motive, gegen Schachbetrüger vorzugehen, können ehrenwert und durchaus im Interesse des Schachsports und seiner Spieler sein. Betrüger haben nichts mit Hexen zu tun, und so ist das Opfer-Täter-Verhältnis ein ganz anderes als in der frühen Neuzeit, wo es in puncto Hexenwahn noch eindeutig war. Mir scheint es hier sogar so zu sein, als daß sich Spieler von der „Obrigkeit“ (hier: die Schach-Offiziellen) im Stich gelassen fühlen, weil viele, von denen sie sicher sind, daß es sich um systematisch agierende Betrüger mittels e-Doping handelt, noch „frei herumlaufen“ bzw. vom DSB und den Turnierveranstaltern nicht gesperrt werden oder nicht gesperrt werden können.Der Fall Bindrich hat gezeigt, daß es in diesem Fall noch rechtliche Schwierigkeiten gibt. Der Rechtsstaat basiert nun einmal auf seinen Satzungen, und diese sind in diesem neuartigen Fall des e-Dopings teilweise hoffnungslos veraltet, weil sie in Zeiten verfaßt worden sind, wo das Problem des e-Dopings als neuartiges Phänomen noch nicht richtig erkannt werden konnte. Diese rechtlichen Lücken können durchaus von bestimmten Spielerpersönlichkeiten ausgenutzt werden, was bedeutet, daß ihnen zur Zeit kein Offizieller etwas anhaben kann, manch ein Spieler reagiert daraufhin ohnmächtig und nimmt sein Schicksal in die eigene Hand. Das ist keine Entschuldigung für so ein Vorgehen, aber eine Erklärung.Ein weiteres Problem stellt sich dar, wie man diesen Betrügern die Zuhilfenahme elektronischer Mittel beweisen kann. Eine bessere Beweisführung scheint derzeit nur möglich durch eine Einschränkung der persönlichen Freiheitsrechte durch Leibesvisitationen, generelles Handyverbot, Kameras in Spielsaal und Toiletten, Verbot von Zuschauern im Spielsaal, generelles Kommunikationsverbot von Spielern während ihrer Partien und vieles mehr. Was hier durchaus im Einzelfall hilfreich sein kann, wird in anderen Richtungen hin schaden. Eine Ausbalancierung von Freiheit und Sicherheit ist zurzeit noch sehr schwierig wie auch die gesamte Situation. Doch ist es gerade die Freiheit, die bei solchen Ereignissen als erstes stirbt.

Beitrag von Kiffing

Eine weitere Momentaufnahme, mit noch mehr Vorfällen auf den Schachplätzen weltweit als die meinigen: [url]http://www.chessvibes.com/reports/dont-panic-on-the-recent-developments-around-cheating[/url]Mir scheint, die Seuche hat gerade erst begonnen...