Schachburg-Archiv: Benutzerthema „Gedanken zum "Eselsohr" h3“

schachburg.de

Beitrag von Kiffing

Während Paul Morphy offene Strukturen bevorzugte und über das Zentrum die Entscheidung suchte, war Wilhelm Steinitz ein Meister der geschlossenen Formationen. Im Zentrum wählte er einen defensiven Aufbau, für den die Bauern auf c3 und e4, wie in der vorliegenden Partie, charakteristisch waren, um später Flügelangriffe zu starten. Was uns hier hinteressiert, ist allerdings die Stellung vor dem 7. Zug:[FEN=1]r1bqk2r/1pp1bppp/p1np1n2/4p3/B3P3/2PP1N2/PP3PPP/RNBQK2R w KQkq - 0 7[/FEN] Hier wählte Wilhelm Steinitz den Zug 7. h3, der allerdings tiefer war als es die "Unscheinbarkeit" dieses "Eselsohr" vermuten läßt. Richard Reti fand den Zug gar ganz fabelhaft, und er begründet auch diese Sichtweise:[QUOTE]Dieser Zug, der, wenn ihn schwächere Spieler machen, sich meist als Tempoverlust und Schwächung herausstellt, ist hier ganz ausgezeichnet. Die Idee ist nicht etwa, Lc8-g4 zu verhindern - dies ist die Absicht, die schwächere Spieler meist haben, wenn sie h2-h3 ziehen - sondern, falls Schwarz rochiert hat und Befreiung durch f7-f5 droht, dies mit g2-g4 sofort verhindern zu können, wobei g2-g4 gleichzeitig der Beginn des beabsichtigten Angriffes am Königsflügel ist[/QUOTE]Richard Reti, Die Meister des Schachbretts, Edition Olms, Zürich 1983, S. 77Dieses "Eselsohr" ist also somit ein wesentlich tieferer Verteidigungszug als die reine Prophylaxe gegen ...Lg4, und er antizipiert schon langfristig einen Flügelangriff. Was mit diesen Worten gemeint ist, sehen wir im Verlauf der Partie. Wir staunen ob der Geduld und Hartnäckigkeit des ersten offiziellen Weltmeisters der Schachgeschichte, die ihn stets ausgezeichnet hatte. Ohne diese Geduld und Hartnäckigkeit hätte er auch nie seine bahnbrechenden und revolutionären Theorien entwickeln können. Als weiteres Thema dieser Partie dienen die schwachen Punkte f6 und h6, die in Folge des Flügelangriffs von Steinitz entstanden, und die Steinitz gekonnt auszubeuten vermochte. So war auch die abschließende Kombination nicht mehr schwer zu finden.[Event "Steinitz-Blackburne"][Site "London ENG"][Date "1876.02.17"][EventDate "1876.02.17"][Round "1"][Result "1-0"][White "Wilhelm Steinitz"][Black "Joseph Henry Blackburne"][ECO "C77"][WhiteElo "?"][BlackElo "?"][PlyCount "67"]1.e4 e5 2.Nf3 Nc6 3.Bb5 a6 4.Ba4 Nf6 5.d3 d6 6.c3 Be7 7.h3 O-O8.Qe2 Ne8 9.g4 b5 10.Bc2 Bb7 11.Nbd2 Qd7 12.Nf1 Nd8 13.Ne3 Ne614.Nf5 g6 15.Nxe7+ Qxe7 16.Be3 N8g7 17.O-O-O c5 18.d4 exd419.cxd4 c4 20.d5 Nc7 21.Qd2 a5 22.Bd4 f6 23.Qh6 b4 24.g5 f525.Bf6 Qf7 26.exf5 gxf5 27.g6 Qxg6 28.Bxg7 Qxh6+ 29.Bxh6 Rf630.Rhg1+ Rg6 31.Bxf5 Kf7 32.Bxg6+ hxg6 33.Ng5+ Kg8 34.Rge1 1-0

Beitrag von Zapp Brannigan

[quote]Im Zentrum wählte er einen defensiven Aufbau, für den die Bauern auf c3 und e4, wie in der vorliegenden Partie, charakteristisch waren, um später Flügelangriffe zu starten.[/quote]Defensiv ist wohl die falsche wortwahl, so könntest nie ein eröffnungsbuch zu dieser variante verkaufen :PIch denke der ausdruck "solide" ist besser. Das zentrum wird nicht besetzt, sondern nur abgesichert. Ob man später einen flügelangriff startet steht noch in den sternen, das kommt auf die schwarze aufstellung drauf an. oft spielt man ja selber auch d3-d4, aber halt im genau richtigen moment (resp. im falschen moment für schwarz). der ganze aufbau ist sehr ähnlich zum italener mit d3, da wird sogar oft das manöver Nbd2-f1-g3/e3 VOR rochade gespielt.Der zug h3 in diesem spanier ist meiner meinung nach nicht nur, um g4 spielen zu können bei schwarzer rochade, sondern auch um Be3 vorzubereiten ohne Ng4 fürchten zu müssen. Auch gegen Bg4 ist es ein wenig gerichtet, nicht weil dieser zug gefährlich ist (was ja dank d2-d3 anstelle von d2-d4 nichts droht) sondern weil der schwarze mühe hat, ein gutes feld für den säufer zu finden...eine regel zum eselsohn h3 (mit vielen ausnahmen) kann man so vormulieren: h3 "darf" man nur spielen, wenn man (a) selber noch nicht rochiert hatoder(b) der gegner bereits rochiert hatgefährlich ist h3 immer, wenn man selber rochiert hat aber der gegnern noch nicht, weil dann ein gegnerisches g5-g4 die eigene königsstellung zerstört.Der zug h3 kommt nicht nur im spanier vor, auch in den folgenden varianten wird er gerne oft gespielt:1.e4 c5 2.Nf3 d6 3.c3 Nf6 4.h3!? (vorbereitung von d4 ohne Bg4 fürchten zu müssen)1.e4 c5 2.Nf3 d6 3.Bc4 Nf6 4.Qe2 Nc6 5.h3!? (wie oben)1.d4 Nf6 2.c4 g6 3.Nc3 Bg7 4.e4 d6 5.Nf3 0-0 6.h3 (verhindert Ng4, durch späteres g4 kann man f5 verhindern/abschwächen)1. e4 d6 2. d4 Nf6 3. Nc3 g6 4. Nf3 Bg7 5. h3 (verhindert Ng4, ermöglicht das spielen von 6.Be3 und 7.e5)