Schachburg-Archiv: Benutzerthema „Null Toleranz bei Verspätungen“

schachburg.de

Beitrag von Kiffing

Die FIDE hat bekanntlich vor einem Jahr eine Maßnahme ergriffen, die tief in das Leben als Schachspieler eingreift. Die Karenzzeit wurde nämlich geändert. Statt, daß es wie früher automatisch eine Stunde Karenzzeit gab, bis man kampflos verlor, so ist die Karenzzeit automatisch völlig aufgehoben. Und nur durch einen entsprechenden Beschluß kann eine Karenzzeit eingeführt werden. Die Folge davon ist, daß in etlichen Bezirken, Verbänden und Landesverbänden die Karenzzeit drastisch reduziert wurde, meist auf eine halbe Stunde. Die drakonische Badener Regelung stellt hierbei einen Sonderfall dar. Auf gehobener Ebene werden die meisten Turniere mittlerweile ohne jede Karenzzeit gespielt. Falko Bindrich, Teilnehmer der DEM dieses Jahres, wird wissen, was ich meine.Über Sinn und Zweck dieser Regelung soll hier diskutiert werden. Ich selber lehne diese Nulltoleranzregel vehement ab. Denn bevor man eine Reform beschließt, sollte eine sorgfältige Kostennutzenanalyse gemacht werden. Und die fällt doch stark gegen diese Regel aus. Während ich den Nutzen hier nicht erkennen kann, weil Schach eine der wenigen Sportarten ist, wo ein dauerndes Verweilen eines Spielers am Brett nicht erforderlich ist, so daß die Partie auch beginnen kann, wenn einer oder beide Spieler noch fehlen, sind die Kosten dieser Regelung gravierend. Denn durch die Regel kommt es zu einem deutlichen Mehr an kampflos entschiedenen Partien, was weder gut für die Spieler noch für die Zuschauer und noch für das Schach selbst ist. In meiner letzten Saison in der 2. Bezirksliga habe ich es zweimal erlebt, daß Partien kampflos entschieden wurden, weil zwei Spieler zwischen einer halben Stunde bis zur ganzen Verspätung eintrudelten. Einmal traf es den Gegner, einmal uns. Zudem wird die übliche Lockerheit vor dem Match abgeschafft. Statt gemütlich zum Spielort zu gehen, mit der Gewißheit im Rücken, daß es keinen Weltzusammenbruch darstellt, mal einige Minuten zu spät zu kommen, werden die Spieler, gerade bei Spielen mit Nulltoleranzwertung, gezwungen, sich deutlich früher als für gewöhnlich zum Spielort aufzumachen, weil sie einen Puffer einplanen müssen. Am Spielort angekommen, muß nun für längere Zeit unnötig gewartet werden. Das bedeutet, daß diese Reform gegen die Interessen der Spieler verstößt.Schach war schon immer ein Spiel mit Freigeistcharakter, wo urige und kauzige Typen mitspielten. Gerade dieses für Schach wie ich finde attraktive Klientel wird durch diesen üblen Disziplinierungsversuch abgeschreckt, Schach verliert dadurch an Attraktivität und Rückzüge vom Schach sowie geminderte Zugewinne von Außen können die Folge sein. Was mag das auch für eine Wirkung in den Medien haben, wenn bei einem wichtigen Ereignis, bspw. bei einem Duell um die WM-Krone ein Spieler eine Minute zu spät kommt, kampflos verliert und aus Frustration das WM-Finale abbricht? Das wäre wahrlich ein Super-Gau. Freuen können sich nur die Konservativen, die schon immer einen typischen Ordnungs- und Pünktlichkeitsfetischismus gehabt haben. Aber ob das gut ist, wage ich zu bezweifeln. Wie denkt ihr darüber?

Beitrag von zugzwang

Ähnlich denke ich darüber.Die Regel paßt allgemein nicht auf viele Situationen im Amateur- und Profischach.Sie ist eigentlich überflüssig und könnte im (Semi)Profibereich durch andere Vereinbarungen und ggf. Geldstrafen ersetzt werden.Im Amateurbereich ärgern mich weniger Verspätungen als kampflose Partien an sich.Wenn ein Gegner gar nicht erscheint, dann sollte er anders als nur mit Partieverlust bestraft werden.Das Reuegeld fand und finde ich gut. Es sollte aber an den vergeblich wartenden Spieler als Ersatz für seine Fahrtkosten, vergeudete Zeit ausgeschüttet werden.Bei Verspätungen käme auch in Betracht, daß der später Eintreffende dem Wartenden ein Getränk oder einen Snack spendieren müßte. Das würde ich aber nicht in die Fide-regeln reinquetschen, sondern jedem Veranstalter überlassen, wie er vorgeht.

Beitrag von MagnusFTW

Ich weiß nicht genau was ich darüber denken soll, gibt für beide Seiten gute Argumente.Pünktlichkeit ist eine Tugend finde ich andererseits ist es natürlich auch blöd, im Mannschaftskampf zB wegen einem Stau und ein paar Minuten Verspätung gleich kampflos zu verlieren ...

Beitrag von Maschendrahtzaun

Ich finde, die Nulltoleranzregelung ist eine ganz schöne Frechheit.Natürlich sollte man sich bemühen, rechtzeitig zu Partiebeginn an seinem Brett zu erscheinen, dass ist ja auch im Interesse des betreffenden Spielers selbst.Doch gerade in dünn besiedelten Regionen kann es gut vorkommen, dass es bei der Anreise zu Mannschaftskämpfen zu unerwarteten Verzögerungen kommt, und dann wegen ein paar Minuten eine Partie verloren zu geben ist meiner Meinung nach absolut unnötig.In der Liga, in der ich Spiele, wurde die Nulltoleranzregelung nicht umgesetzt, und soweit ich weiß, ist das auch bei vielen Opens nicht der Fall.Jedenfalls lasse ich mir von solchen Möchtegernblockwarten nicht vorschreiben, wann ich am Brett zu erscheinen habe. Fertig.

Beitrag von hako

Ich bin der Meinung, dass eine Wartezeit beim Mannscahftskämpfen sehr wichtig ist. Man muss ja nur im Stau stehen und man kommt zu spät.Ich finde aber auch, dass eine Stunde Karenzzeit zu viel des guten ist. Eine halbe Stunde fände ich für sinnvoller bei Turnieren mit 2 Stunden Bedenkzeit. Ich wäre für eine allgemeine Regelung, dass ein Spieler spätestens seinen ersten Zug machen muss, nachdem 1/4 seiner Benkzeit verstrichen ist. Da wir uns beim ersten Zug befinden, halte ich eine solche Regelung für unproblematisch.

Beitrag von Kiffing

Anläßlich der Schach-Olympiade in Tromsö hat Chess24 dem Thema noch einmal einen Artikel gewidmet. Denn aufgrund der Tatsache, daß zahlreiche Spieler bei Olympia, insbesondere an den hinteren Brettern, genullt wurden, weil sie angesichts des Chaos, den Eingangskontrollen und der Schwierigkeiten, von ihrem Hotel aus den Spielort und da das eigene Brett zu finden, bei dem Gong nicht am Brett saßen, wurde die Problematik dieser Regelung wieder deutlich. Diese Spieler werden dieses Schachfest der Nationen nun mit einem Schockerlebnis verbinden. In dem [Hier befand sich ein Link auf die Seite "https://chess24.com/de/lesen/news/die-null-toleranz-diskussion-bei-der-Schacholympiade". Der Link wurde vom Benutzer mit dem Titel "Chess24-Artikel" versehen. Aus urheberrechtlichen Gründen ist es möglicherweise erforderlich, diesen Hinweis beizubehalten, da manche Benutzer die Quelle ihrer Zitate von anderen Internetseiten so gekennzeichnet haben. Dieser Hinweis wurde automatisch an Stelle des früheren Links platziert. Falls der Link unangemessen oder ohnehin unerreichbar geworden ist, kann die im Impressum genannte Adresse mit einer Bitte um Entfernung kontaktiert werden.] kommen Spieler und andere mit dem Schach Involvierte zu Wort. Michael Adams sagt z. B. klipp und klar:[QUOTE]Die Null-Toleranz-Regel ist eine furchtbare Regel. Sie sollte hier nicht angewandt werden und Organisatoren sollten nicht darauf bestehen. Es gibt keinen Grund. Wenn so viele Leute mitspielen, ist es schwierig, dass alle gleichzeitig erscheinen. [/QUOTE]Die Unverhältnismäßigkeit dieser Regelung, die vielleicht für dievrse Sportarten ihre Berechtigung haben kann, im Schach aber nicht gebraucht wird, wurde also einmal wieder der ganzen Welt vor Augen geführt. Das kommt eben dabei heraus, wenn man die Interessen der Spieler den Interessen von Funktionären und Sponsoren gegenüberstellt und diese einem rigiden Disziplinierungsprogramm unterstellt. Um den norwegischen Kultkommentator Hans Olav Lahmun zu zitieren:[QUOTE]Ich habe der immer weiteren Verkürzung der Bedenkzeit sehr kritisch gegenübergestanden, aber dieser Trend scheint im Moment glücklicherweise gestoppt zu sein. Inzwischen sorge ich mich mehr darum, daß Partien kampflos verloren gehen, wenn ein Spieler versehentlich eine Minute zu spät kommt[/QUOTE]Schach 8, 2014, S. 64Eine künstlich erzeugte Seuche im Schach. Mehr ist zu dieser Regel auch nicht zu sagen. :top:

Beitrag von Babylonia

Auf dem Turnier, was ich 2015 mitgespielt habe, haben wir eine Karenzzeit von 30 Minuten. Das bedeutet, wenn nur ein Spieler zu Rundenbeginn anwesend ist, drückt dieser auf die Schachuhr entweder als Weiß oder Schwarz. Dann läuft die Zeit. Wenn die 30 Minuten abgelaufen sind und der Gegner immer noch nicht erschienen ist, meldet sich der wartende Spieler beim Schiedsrichter oder Turnierleiter und teilt ihm das mit. 30 Minuten finde ich eine faire Lösung. Es kann sich ja auch einmal ein öffentliches Verkehrsmittel verspäten. Oder ein Stau bilden. Ich gehe ganz auf Nummer sicher und sehe zu, dass ich 30-45 Minuten vor Rundenbeginn im Turniersaal bin. Babylonia