Schachburg-Archiv: Benutzerthema „Praktische Chancen in einer Schachpartie“

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Beitrag von Kiffing

Aus der Partie Kotschijew vs. Smyslow, 1977, wie würdet ihr hier mit Schwarz spielen? Bitte mehrere Züge und Varianten eingeben. Die Aufgabe ist schwer, aber eine gute Anschauung, wieviel Arbeit man in eine Schachpartie stecken muß:[FEN=1]3r1rk1/pp2qbb1/6pp/2pnPp1P/PnNp1P2/BP1P1NQ1/2P2RBK/R7 b - - 0 0[/FEN]

Beitrag von Kampfkeks

Uff, das sieht kompliziert aus... eine erste vorsichtige Beurteilung:- Schwarz steht sehr beengt da, was an den Bauern f4 und e5 liegt. Insbesondere hat der Lg5 keine Luft. Und Weiß droht sogar, die e-Linie mit einem Turm zu besetzen.- Aktuell droht Schwarz hxg6.Auf der anderen Seite hat Weiß auch Möglichkeiten: - Nach gxh5 könnte man (irgendwann) einen Turm auf g8 postieren. - Und die Bauernproblematik könnte man - zumindest vorerst - mit Le6 kontern. Natürlich nicht sofort.- e3 sieht nach einem starken Feld für einen Springer aus.

Beitrag von Kiffing

Es ist richtig, daß Schwarz sehr beengt steht. Gerade in solchen Situationen ist ein starkes Gegenspiel erforderlich, da, wenn es auf demselben Weg so weitergeht, man einfach erdrückt wird (wenn der Gegner keinen Fehler macht). Die richtige Idee hast Du leider noch nicht gefunden, auch wenn Du hier schon sehr gute Gesichtspunkte aufgeführt hast.

Beitrag von BlubbDieBohne

1. ...Sxf4 sieht nach meinem Geschmack aus. Ohne das durchzuspielen komme ich auf keinen forcierten Abschluss und noch nichtmal zu einem eindeutigen Urteil, aber in der Turnierpartie würde ich es sofort auspacken, die Stellung schreit ja geradezu danach... 2. Dxf4 g53. Dd2 (3. Dxf5 geht nicht wegen Lxc4 , Dg4/Dh3 scheitern am simplen Le6, auf Dg3 folgt erst f4 und dann wie gehabt Le6)3... g4I) 4. Se1 g3+ (König die Grundreihe nehmen)5. Kxg3 Lxc46. bxc4 Lxe5+7.Kh3 Dg7 droht Matt auf g4 und g3, daher vermutlich erzwungen8. Tf48...Dg5 9.Lc1 Dxh5+ wäre die Angriffsfortsetzung. Habe Probleme da jetzt so tief präzise weiter zu rechnen. Nach Th4 Dg6 droht erstmal Matt auf g3, die Deckung mit Df2 scheitert an Dg4+ mit nachfolgendem Abzugssschach und Damenrückgewinnung. Nach Tf4 hat man im Zweifel ne Stellungswiederholung angeboten bekommen. Was anderes sehe ich so erstmal nicht. Da man im Zweifel auch immer die Qualität auf f4 nehmen kann und erst nachher auf h5 reinschlägt und somit noch nen scheinbar spielbaren Ausstieg aus dem Opferangriff hat, sollte die Variante kein Problem für Schwarz sein. Also erstmal bis zum 8. Zug spielen und dann nochmal die Stellung berechnen.II) 4. e6 mit der Idee Se5 "scheitert" vermutlich einfach an 4...Lxh55. Se5 Lxe56. Sxe5 g3+ nebst Dg7+ und Figurenrückgewinn, da Te1 (mit der Idee e7) wegen Zwischenmatts bzw. Zwischenschach je nachdem wo der König hinläuft nicht funktionieren wird.Nach der Abwicklung hat Schwarz wohl eine akzeptable Stellung. Den Bauern auf e6 kann man nehmen, aber Bauern b4 (Nach Schlagen des Springers) und b7 hängen ebenfalls. Schwarz müsste, wenn ich mich nicht verzählt habe, noch einen Mehrbauern haben, aber hat (wenn man den b4 nimmt) 4 Bauerninseln gegen die eine von Weiß, Weiß kriegt zumindest kurzfristig die e-Linie. Sieht nach Chancen für beide Seiten aus, diese Abwicklung hat Weiß vermutlich lieber als den Se1-Kram.Stellt sich die Frage, was bei der Ablehnung des Opfers passiert...2.e6 ist vermutlich die offensichtlichste Alternative für Weiß2...Bxe6 (3.Dxf4 Lxc4 4. dxc4(bxc4)? De3! 5.Dxe3 dxe3 mit Doppelangriff. Deckt man mit 5. Dg3, folgt f4 (nebst ggf. g5), auf 5. Kg3 folgt g5. Man gewinnt jeweils recht offensichtlich die Qualität. Nimmt Weiß nicht auf c4, hat man halt die Figur zurück nebst Mehrbauern)Wenn Weiß jetzt im 3. Zug immer noch nicht nimmt, spielt man Scd5 bzw. alternativ Sxg2 und freut sich über die/den Bauern.Fazit: Sieht selbst nach bissel längerem drauf schauen spielbar aus für Schwarz. Auch wenn es nicht unbedingt Vorteile verspricht (wobei man den Kram noch genauer durchrechnen kann/muss, wenn es denn aufs Brett kommt... Soweit im Voraus ist so eine Berechnung doch eher ungenau sobald die Alternativen ins Spiel kommen).Aber sieht lustig aus. Und wenn es lustig aussieht und halbwegs spielbar scheint, dann wirds auch gespielt.

Beitrag von Kiffing

[QUOTE=BlubbdieBohne] 1. ...Sxf4 sieht nach meinem Geschmack aus. Ohne das durchzuspielen komme ich auf keinen forcierten Abschluss und noch nichtmal zu einem eindeutigen Urteil, aber in der Turnierpartie würde ich es sofort auspacken, die Stellung schreit ja geradezu danach...[/QUOTE]Das spricht für Deine Intuition und auch Deine Bewertung, mit der Du die Sachlage auf den Punkt gebracht hast. Denn der taktische Schlag 23. ...Sxf4! ist tatsächlich keine eindimensionale Kombination, die sofort zum Gewinn führt, sondern einfach eine gute praktische Chance, wie Schwarz den Druck in schwieriger Stellung von sich abschütteln und der Partie ein neues Gesicht geben kann. Wie viele Schachspieler gehen an solchen praktischen Möglichkeiten achtlos vorüber? Doch hat man solch eine praktische Chance erstmal gefunden und sich getraut, sie auch zu spielen, dann ist die Arbeit noch lange nicht vorbei, andere Aufgaben warten. Der mit Schwarz spielende Smyslow hat z. B. 23. ...Sxf4! gespielt, aber die Partie trotzdem noch verloren. Du hast sehr gut herausgearbeitet, was bei Annahme des Opfers passiert. Schwarz hat nun viel zu viele Ideen gegen den weißen König, und es wird sehr unangenehm und schwer, die Stellung zu halten. Aber Weiß war noch auf der Höhe und reagierte geistesgegenwärtig:[QUOTE]Weiß entschied sich für 24. hg!? [24. hxg6!?] Objektiv gesehen ist dies kaum die richtige Fortsetzung. Sie zeitigt jedoch eine andere Wirkung – eine psychologische. Wie der weitere Verlauf des Kampfes zeigt, hatte Schwarz ihr offenbar zu wenig Beachtung geschenkt (obwohl auch der Zug 24. hxg!? eine ganze Reihe weitverzweigter Varianten einleitet). Es cheint, daß sich hier bei Smyslow infolge fortwährender Belastungen unverhofft Ermüdungserscheinungen einstellten[ Nach 24. ...S:g6 [24. ...Sxg6] 25. Te1 f4 26. Dg4 war es Weiß auf Kosten des Bauern gelungen, mit der Aktivierung seiner Kräfte in der e-Linie erneut gewisse Drohungen strategischer Natur zu schaffen. Diese Drohungen konnte nur das Manöver 26. ...Sxd5 liquidieren, das darauf abzielt, den Springer sehr wirkungsvoll auf e3 einzunisten. Interessant ist, daß Smyslow diesen Zug sah, ihn aber wegen 27. S:d4 verwarf. Eine Variantenberechnung macht indes deutlich, daß Schwarz nach 27. ...Se3! 28. S:e3 fe 29. T:e3 T:d4 30. D:d4 cd 31. L:e7 de oder 28. T:e3 fe 29. T:f7 (29. Sf5 L:e5+) 29. ...T:f7 klar im Vorteil ist. Schwarz hatte offensichtlich den Faden verloren, richtete sich „aus allgemeinen Erwägungen“ auf eine passive Verteidigung ein und strebte mit 26. ...De6? Vereinfachungen an. Dies wiederum gab Weiß die Möglichkeit, die „im Feuer des Kampfes“ geborene neue strategische Drohung eines Angriffs im Zentrum zur Geltung zu bringen [/QUOTE]Alexei Suetin, Schachstrategie für Fortgeschrittene, Sportverlag Berlin [Ost], 1983, S. 30f.Alexei Suetin war ein Schachlehrer der Extraklasse und Autor von erstklassigen Lehrbüchern. Er war in den 70er und 80er Jahren quasi das, was Mark Dworetzki heute ist.

Beitrag von Kiffing

Was bietet sich hier für Schwarz für eine Gelegenheit?[FEN=6]3r3k/5qp1/3R1n1p/p1p2p2/6r1/PP2Pb2/3Q1PPP/B3RBK1 b - - 0 27[/FEN]

Beitrag von Kampfkeks

[SPOILER][LEFT]1...Txg2+2.Lxg22.Kh1? ist matt: Tg1+ Kxg1 Dg6+ Lg2 Dxg2#2...Dg6Droht mit Matt auf g2 im nächsten Zug.Auch nach längerem Hingucken sehe ich nichts, wie Weiß sich da rauswinden könnte:g2 kann er nicht decken und die Linie Dg6-g2 kann er nicht unterbrechen, jedenfalls nicht im nächsten Zug.Bleibt nur noch Txd8+ Kh7 aber das zögert´s nur hinaus.[/LEFT][/SPOILER]

Beitrag von Kiffing

Super gelöst! :top:Es gehört viel Mut dazu, sich während einer Kombination eine ganze Figur mit Schach schlagen zu lassen. Aber wenn die konkrete Berechnung einem sagt, das geht, dann sollte man das tun. :)