Schachburg-Archiv: Benutzerthema „Als die Zeit keine Rolle spielte“

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Beitrag von Kiffing

Ich möchte in diesem Thread die Spielbedingungen des ersten öffentlichkeitswirksamen Schachduells zum Ausdruck bringen und als Kontrastpunkt die versuchte Reform von FIDE-Präsident Kirsan Iljumschinow entgegensetzen, die Bedenkzeit signifikant zu verkürzen, um Schach dem Zeitgeist anzupassen und „massentauglicher“ zu machen. Dazu später.1834 fuhr der Franzose Louis-Charles Mahe de La Bourdonnais nach London, um dort den Iren Alexander McDonnell, der als stärkster Spieler Großbritanniens galt, zu einem Wettkampf herauszufordern. In Frankreich fand La Bourdonnais nämlich keine ernsthaften Gegner mehr, die für ihn eine Herausforderung darstellten. La Bourdonnais konnte McDonnell klar bezwingen und galt fortan als stärkster Spieler der Welt. Das Match wird heute als Vorläufer der späteren offiziellen Schach-Weltmeisterschaften angesehen.Zu den Spielbedingungen fand ich es vor allem bemerkenswert, daß Zeit offenbar keine Rolle spielte. So gab es 88 Matches (La Bourdonnais gewann 44 Spiele, verlor 30 und spielte 14 Mal Remis) und es wurde ohne Schachuhr gespielt. Das Match zog sich über die Dauer von fünf Monaten hin, und zwar von Juni bis Oktober 1834. Es war noch die Vorindustrialisierung, und die Erfindung der Stechuhr lag noch in der Zukunft.Wie anders gestaltete sich doch zur Jahrtausendwende auf einmal die Politik der FIDE, die mit immer kürzeren Bedenkzeitmodellen das Schach dem Zeitgeist anpassen und das Schach publikumswirksamer machen wollte. Auch diese Reformen von Iljumschinow waren damals umstritten und sorgten in weiten Teilen der Schachwelt für anhaltendes Entsetzen. Ein unvergleichliches Zeitdokument in der damaligen Zeit leistete das kulturelle Schachmagazin Karl, das sich mit einer Streitschrift gegen den Beschleunigungskurs der FIDE wandte: [url]http://www.karlonline.org/alt201_1.htm[/url]Ich erinnere mich, daß ich selbst diesen so wichtigen Gedanken, der hier von Ernst Strouhal verfochten wurde, schon damals mitgetragen habe. Schach ist kein Fußball, und wer sich für Schach interessiert, der will ja gerade diese schachspezifischen Tugenden wie Tiefe und Kontemplation mitnehmen, die er auch für eine gute Schachpartie braucht. Wer also die Bedenkzeit von Schach sosehr verkürzt wie die FIDE das unter Iljumschinow tun wollte, der gewinnt keine neuen Interessierten dazu, sondern verliert nur die alten Anhänger des Königlichen Spiels. Heute gilt auch diese Reform von Iljumschinow als gescheitert, und längst haben sich die Bedenkzeiten bei den Schachturnieren wieder den Bedürfnissen der Spieler angepaßt. Wer es etwas schneller haben will, für den gibt es ja Schnell- Blitz oder gar Bulletschach. Als Erinnerung an den spektakulären Wettkampf der beiden Schachkämpfer möchte ich euch die wohl berühmteste Partie der beiden mitgeben, als La Bourdonnais mit Schwarz gegen McDonnell mit einer unwiderstehlichen Bauernlawine gewann. Diese Partie dokumentierte spektakulär, wie wichtig weit vorgerückte verbundene Freibauern sind, so daß für sie manchmal kein Opfer zu schade ist.[Event "Wettkampf London 1834"][Site "MyTown"][Date "????.??.??"][Round "?"][White "McDonnell"][Black "La Bourdonnais"][Result "0-1"][PlyCount "74"][TimeControl "1200"]{767MB, Fritz8.ctg, MYCOMPUTER} 1. e4 c5 2. Nf3 Nc6 3. d4 cxd4 4. Nxd4 e5 5.Nxc6 bxc6 6. Bc4 Nf6 7. Bg5 Be7 8. Qe2 d5 9. Bxf6 Bxf6 10. Bb3 O-O 11. O-O a512. exd5 cxd5 13. Rd1 d4 14. c4 Qb6 15. Bc2 Bb7 16. Nd2 Rae8 17. Ne4 Bd8 18. c5Qc6 19. f3 Be7 20. Rac1 f5 21. Qc4+ Kh8 22. Ba4 Qh6 23. Bxe8 fxe4 24. c6 exf325. Rc2 Qe3+ 26. Kh1 Bc8 27. Bd7 f2 28. Rf1 d3 29. Rc3 Bxd7 30. cxd7 e4 31. Qc8Bd8 32. Qc4 Qe1 33. Rc1 d2 34. Qc5 Rg8 35. Rd1 e3 36. Qc3 Qxd1 37. Rxd1 e2 *

Beitrag von hako

Tolle Partie, Kiffing :top:Schach dem Zeitgeist anzupassen durch Verkürzung der Bedenkzeit ist eine merkwürdige Methode. Ich beobachte zwar, dass die Jugend in meinem Verein gerne blitzt und es kaum Partien mit mehr als 5 Minuten gibt, aber ich glaube nicht, dass eine Verkürzung das Interesse steigert. Schach ist ein Denksport ist stellt somit keinen Ausgleich zur Schule für die meisten dar. Auch ich komme manchmal aus der Schule und hab deutlich mehr Lust auf Bewegung als auf ein Schachbrett. Und was soll jetzt die Verkürzung der Bedenkzeit bringen? Wenn man auf etwas keine Lust hat, macht man es nicht freiwillig, egal wie schnell das geht. Welche "neuen" Bedenkzeiten wurden eigentlich vorgeschlagen?Dass es überhaupt Bedenkzeit gibt, halte ich für sinnvoll. Wie du eben gesagt hast, 5 Monate, das geht einfach nicht. Aber zu wenig Bedenkzeit nimmt auch den Spielspaß, man muss also die Mitte treffen und ich finde mit 2h/40Züge + 1h/Rest ist vollkommen in Ordnung. Kürzere Bedenkzeiten finde ich zwischendurch zwar auch ganz nett, nehmen wir die Wuppertaler Stadtmeisterschaften (1,5h/30Züge + 0,5h/Rest), liegt aber vielleicht auch daran, dass ich sowieso nicht 3 Stunden Bedenkzeit brauche, leider. Aber die Mannschaftskämpfe finde ich am optimalsten.

Beitrag von ToBeFree

Mit der aktuellen 2-Stunden-Regelung hat die FIDE meiner Meinung nach die perfekte Regelung gefunden. ;)Ich könnte mir auch nicht vorstellen, wie damals eine Partie über mehrere Monate zu spielen. Schon Fernschachpartien sind mir zu langsam. Die Zeiteinteilung bei den Wuppertaler Stadtmeisterschaften wäre mir allerdings zu kurz. Weniger als 2 Stunden für die ersten 40 Züge einer Langzeitpartie reichen für mich nicht aus.^^

Beitrag von Kiffing

Man hat auch damals nicht eine Partie über mehrere Monate hinweg gespielt. Ich schrieb ja von 88 Partien, die dieses Duell zwischen La Bourdonnais und McDonnell dauerte. ;)

Beitrag von hako

Achso, ich dachte 5 Monate für eine Partie

Beitrag von ToBeFree

[QUOTE]Zu den Spielbedingungen fand ich es vor allem bemerkenswert, daß Zeit offenbar keine Rolle spielte. So gab es 88 Matches (La Bourdonnais gewann 44 Spiele, verlor 30 und spielte 14 Mal Remis) und es wurde ohne Schachuhr gespielt. Das Match zog sich über die Dauer von fünf Monaten hin[...][/QUOTE]Es gibt zumindest enigermaßen gute Gründe dafür, warum ich es falsch verstanden hatte. :D

Beitrag von Kiffing

Na ja, meinte Match hier im Zusammenhang von Finale. Aber gut, war mißverständlich formuliert. :ratlos:

Beitrag von hako

Ist ja kein Problem.Es ist, wie ich finde, dennoch ein guter Grund, dass heutzutage mit Bedenkzeit gespielt wird. Heute muss man planen und organisieren und solche extrem groben Turniere sind somit wohl nicht mehr zu bewältigen. Außerdem, wenn man ohne Bedenkzeit spielt, dann kann man theoretisch doch währenddessen nach Hause gehen und mal eben den PC anschmeißen. Fair Play ist leider nicht selbstverständlich.