Schachburg-Archiv: Benutzerthema „Das Schachturnier in Heidelberg 1467“

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Beitrag von Kiffing

[IMG][Hier befand sich ein Link auf die Seite "https://i.imgur.com/EostxiN.jpg". Der Link wurde vom Benutzer mit dem Titel "https://i.imgur.com/EostxiN.jpg" versehen. Aus urheberrechtlichen Gründen ist es möglicherweise erforderlich, diesen Hinweis beizubehalten, da manche Benutzer die Quelle ihrer Zitate von anderen Internetseiten so gekennzeichnet haben. Dieser Hinweis wurde automatisch an Stelle des früheren Links platziert. Falls der Link unangemessen oder ohnehin unerreichbar geworden ist, kann die im Impressum genannte Adresse mit einer Bitte um Entfernung kontaktiert werden.][/IMG]Es mag überraschend anmuten, daß 1467 in Heidelberg ein Schachturnier veranstaltet wurde, ist, was das Schachspiel angeht, aus deutschen Landen in dieser Zeit doch kaum etwas bekannt. Nach der großen Spielreform, die ungefähr in dieser Zeit anfing, hatten sich doch - Capablancas [Hier befand sich ein Link auf die Seite "https://www.schachburg.de/threads/2062-Zwischenstopp-in-New-York-Capablanca-im-Interview-während-seiner-Reise-nach-Moskau". Der Link wurde vom Benutzer mit dem Titel "Klimathese" versehen. Aus urheberrechtlichen Gründen ist es möglicherweise erforderlich, diesen Hinweis beizubehalten, da manche Benutzer die Quelle ihrer Zitate von anderen Internetseiten so gekennzeichnet haben. Dieser Hinweis wurde automatisch an Stelle des früheren Links platziert. Falls der Link unangemessen oder ohnehin unerreichbar geworden ist, kann die im Impressum genannte Adresse mit einer Bitte um Entfernung kontaktiert werden.] zum Trotz - Schachzirkel in Italien und auf der Iberischen Halbinsel hervorgetan, wo die besten Schachspieler, vom Adel unterstützt, ein einträgliches Einkommen hatten und auch literarisch tätig wurden. Es sind diese Regionen, aus denen kurz nach dem hier beschriebenen Ereignis die ersten bekannten Schachspieler erwuchsen, es sind Namen wie Lucena, Damiano, Ruy Lopez, Polerio, Il Puttino und Paolo Boi, die nach der großen Spielreform zu Pionieren des modernen Schachs wurden.Das Schachturnier in Heidelberg 1467 war dagegen eher eine Art Volksturnier, und es ist ein Jammer, daß auf diesem Turnier trotz des Schachturniers in Nürnberg 1477 keine Tradition begründet wurde. Die politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse ließen dies einfach nicht zu. Der Historiker und Schachhistoriker Joachim Petzold hat die Einladung zu diesem Turnier im Nördlinger Stadtarchiv gefunden. In dem Einladungsschreiben hieß es:[QUOTE]Den ehrsamen, weisen, unsern besondern und guten Freunden: dem Bürgermeister, Rat und Gemeinde zu Nördlingen entbieten wir, die Gesellschaft des Schachzabelspiels zu Heidelberg, unsern freundlichen, willigen Dienst und alles Gute zuvor. Wir tun Euch zu wissen, daß wir von dem durchlauchtigen hochgeborenen Fürsten und Herrn: Friedrich, Pfalzgrafen bei Rhein, Herzog in Bayern, des heiligen römischen Reiches Erztruchseß und Kurfürst, unserm gnädigen, lieben Herrn, erworben haben eine Gesellschaft und ein Schachzabelspiel vorzunehmen (dieser Name ist auch aus anderen süddeutschen Städten wie Frankfurt, Nürnberg, Regensburg belegt; anderwärts: Schachzabel, Schachzagel, Schachtafel) und darin mit seinen Gnaden (dem Fürsten) mit Euch und andern guten Freunden und Gesellen zu üben. Und von denselben seinen fürstlichen Gnaden haben wir erlangt, daß seine Gnade zum voraus ein Kleinod oder 22 Gulden Wert dazu geben; auch das sie denen, die also zu dem Schachzabelspiel kommen und um das Kleinod ziehen werden, Futter und Mahle die Zeit über, die das Spiel währen wird, geben und auch allen denselben in seiner Gnaden Land und Gebieten seiner Gnaden sicheres Geleit in einem besonderen Brief zuschicken will. Demnach bitten wir Euch mit freundlichem Ernst, Ihr wollet auch denjenigen in Eurer Stadt, sie seien edel oder unedel, die Schachzabelspiel und gute Gesellschaft pflegen und üben wollen, solches offenbaren und auch Euren Nachbarn bei Euch herum zu wissen tun, daß sie sich her gegen Heidelberg verfügen, auf den nächsten St. Matthäustag (21. September) hier zu sein, um auf den andern Tag eins zu werden, wie es mit dem Ziehen gehalten werden soll. Wie dann die Gesellen, die ziehen wollen, sich miteinander vereinen, sämtliche oder der größere Teil, das soll also geschehen und auf denselben Tag anfangen. Und zu den Kleinoden, die unser gnädiger Herr zum voraus geben wird, soll von einem jeglichen Zieher ein Gulden eingelegt werden oder mehr, wie sich des die Gesellen oder der größere Teil miteinander vertragen. Und was man also eingelegt, soll man zu Gaben machen, so daß möglichst viele Gaben daraus werden mögen, auf das nicht allein die Meister, sondern auch die Mittelmäßigen und andere Gewinner auch zu Gewinnen und Gaben kommen mögen. Und wollet zu solchem Abenteuer und Spiel nicht ausbleiben, auf das Ihr unserm gnädigen Herrn [der offensichtlich selbst mitspielen wollte! - J. P.] Euern guten Willen dazu beweiset. Das wollen wir zur Beweisung guter Gesellschaft freundlich und williglich unter unseren Diethers von Wilar, Marschalls usw., Hansen von Bubenhofen und Konrads von Lamersheim, Insiegeln von unser aller wegen auf Montag nach Assumptionis Mariae (d. h. nach dem 15. August) anno domini 1467.[/QUOTE] Joachim Petzold, Schach - Eine Kulturgeschichte, Edition Leipzig 1986, S. 144ff.Das Fehlen einer auf das Schachturnier in Heidelberg 1467 fußenden Tradition erklärt Petzold sich mit den deutschen Besonderheiten, weil sowohl die Bauern insbesondere nach der blutigen Niederschlagung der Bauernaufstände, aber auch die Bürger in den Städten zunehmend ihre Freiheit verloren, auf den deutschen Landen Stillstand herrschte, die Reformation unter Martin Luther „zu einem Bereicherungs- und Herrschaftsinstrument der Partikulargewalten verkam“ (Ebd. S. 157) und der [Hier befand sich ein Link auf die Seite "https://www.schachburg.de/threads/2140-O-Du-lieber-Augustin-Schach-im-30jährigen-Krieg". Der Link wurde vom Benutzer mit dem Titel "Dreißigjährige Krieg" versehen. Aus urheberrechtlichen Gründen ist es möglicherweise erforderlich, diesen Hinweis beizubehalten, da manche Benutzer die Quelle ihrer Zitate von anderen Internetseiten so gekennzeichnet haben. Dieser Hinweis wurde automatisch an Stelle des früheren Links platziert. Falls der Link unangemessen oder ohnehin unerreichbar geworden ist, kann die im Impressum genannte Adresse mit einer Bitte um Entfernung kontaktiert werden.] der Bevölkerung schließlich den Rest gegeben habe. Der deutsche Flickenteppich verlor über Jahrhunderte den Anschluß an Europa, was sich auch in der Kultur widerspiegelte, in der das Schachspiel stets Teil und Gradmesser gewesen ist.

Beitrag von Qf3

Wenn jemand schreibt, dass[QUOTE]...., die Reformation unter Martin Luther „zu einem Bereicherungs- und Herrschaftsinstrument der Partikulargewalten verkam“ (Ebd. S. 157) [/QUOTE],dann macht das neugierig.Ist sowieso mal ganz angenehm, ein Schachbuch im Fließtext lesen zu können.Und etwas über Schach in Bezug auf weiter zurückliegende Geschichte & Kultur zu lesen, ist ja auch interessant.Ich packe das Buch mal auf meine erweiterte (Kauf-) Liste.

Beitrag von Kiffing

Das ist auf jeden Fall eine gute Wahl, denn in dem Buch erfährst Du massiv die Zusammenhänge zwischen historischer Kulturgeschichte und dem darin verwobenen Schach. Martin Luther hat nachweislich mit den ihm nahestehenden Fürsten paktiert, die ihn vor den katholischen Garden geschützt haben, so daß seine Reformation nach der Niederschlagung der Bauernaufstände weniger einen plebejischen als vielmehr einen staatstragenden Charakter bekam und vom Preußentum später vereinnahmt wurde. Die englische Reformation war dagegen wesentlich stärker am einfachen Volk ausgerichtet, dafür aber fiel das Schachspiel als "überflüssiger Tand des Adels" der Verachtung anheim, es kam sogar zu einer Verbrennung von Schachutensilien. Bereits 150 Jahre vor der Französischen Revolution kam es unter Oliver Cromwell zu einer republikanischen Revolutionsregierung, wo die Köpfe der Könige rollten - seitdem ist England gegenüber revolutionären Bestrebungen ziemlich gefeit, und die glorious revolution von 1688 mit repräsentativer Demokratie der Besitzenden und konstitutioneller Monarchie war der gesellschaftlich akzeptierte und anerkannte Kompromiß. Nach dem Schachhistoriker Dr. Edmund Bruns haben allerdings der englische Puritanismus und der englische Pragmatismus die Entwicklung des Schachspiels lange Zeit verhindert, weil es verpönt gewesen sei, seine Zeit so "unnütz" zu "verschwenden". Schachspieler hätten sich daher eher im Dunkeln getroffen, wo sie beim Ausüben ihrer Spiele nicht gesehen wurden. ;)

Beitrag von Qf3

Ich habe das Buch vor kurzem in der Uni-Bibliothek gefunden und mittlerweile gelesen. Ein wirklich großartiges Buch. Ich kann Kiffings Lese-Empfehlung absolut weitergeben. Ich habe allerdings eine andere Ausgabe gelesen. Das von mir gelesene Buch erchien bei einem anderen Verlag (Kohlhammer) und wurde ein Jahr später (1987) herausgebracht. Der Titel war ähnlich, aber wurde leicht abgeändert in: "Das königliche Spiel. Die Kulturgeschichte des Schach". Ich bin mir nicht sicher, gehe aber davon aus, dass es sich um das gleiche Buch handelt, ich aber die westdeutsche Variante in den Händen hielt (Erscheinungsdatum war vor der Vereinigung zwischen BRD & DDR).Das Heidelberger Turnier wird gleichermaßen erwähnt. Beachtenswert ist allerdings, dass sämtliche kritischen Anmerkungen zu Martin Luthers Reformationen gestrichen wurden. Das ist schade, da aufgrund Luthers Stellung zu den Bauernkriegen und zu seinen Äußerungen gegenüber den Juden durchaus Kritik an Luther und seinen Reformationen (bzw. was daraus wurde) angebracht wäre.

Beitrag von Kiffing

Zensur einmal andersherum. Ich selbst versuche deswegen, wenn möglich an die Originalausgabe zu gelangen. Dann kann man vor unliebsamen Überraschungen sicher sein. Ich werde z. B. niemals die Chuzpe vergessen, daß die deutsche Ausgabe von Huxleys "brave new world" auf einmal in Berlin stattfindet und der Übersetzer sich auch ansonsten wie z. B. in den Namensgebungen der Charaktere Freiheiten herausnahm, die ihm als Übersetzer nicht zustanden. Dabei ist die Sache doch ganz einfach: wenn der Autor die Handlung in London stattfinden läßt, dann spielt die Handlung in London. :rolleyes2: