Schachburg-Archiv: Benutzerthema „Die sieben Todsünden im Schach nach Rowson“

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Beitrag von Kiffing

Die sieben Todsünden des Schachspielers sind eine von GM Jonathan Rowson aus Schottland entwickelte Idee aus seinem gleichnamigen Lehrbuch, grundlegende Fehler bei der Herangehensweise an eine Turnierpartie zu überwinden. Vorbild für diese Idee stellt die christliche Ethik dar, welche als die sieben Todsünden im Menschen Eitelkeit, Habgier/Geiz, Streben nach Luxus und Genuß/Wollust, Völlerei, Zorn/Rachsucht, Neid und Faulheit ausmacht. Bei Rowson sind die sieben Todsünden des Schachspielers Denken (!), Blinzeln, Wollen, Materialismus, Egoismus, Perfektionismus und Fahrigkeit. Wie in der christlichen Folie stellt Rowson den sieben Todsünden die stattdessen anzustrebenden sieben Haupttugenden (oder sieben himmlische Tugenden) als Gegenideal entgegen. Während dies im Christentum Demut, Milde, Keuschheit, Geduld, Mäßigung, Wohlwollen und Fleiß sind, sind dies bei Rowson auf das Schachspiel übertragen Intuition, Sensibilität, einen Zustand herbeiführen, in dem man zur rechten Zeit am rechten Ort ist und das rechte tut, Pluralismus, Prophylaxe, Selbstvertrauen und Konzentration. Hier nochmal eine Gegenüberstellung:Christentum:Eitelkeit vs. Demut; Habgier/Geiz vs. Milde; Streben nach Luxus und Genuß/Wollust vs. Keuschheit; Völlerei vs. Mäßigung; Zorn/Rachsucht vs. Geduld; Neid vs. Wohlwollen und Faulheit vs. FleißSchachspiel:Denken vs. Intuition; Blinzeln vs. Sensibilität; Wollen vs. einen Zustand herbeiführen, in dem man zur rechten Zeit am rechten Ort ist und das rechte tut; Materialismus vs. Pluralismus; Egoismus vs. Prophylaxe; Perfektionismus vs. Selbstvertrauen und Fahrigkeit vs. Konzentration.Natürlich wird es dem nicht Rowson-geschulten Leser schwerfallen, nachzuvollziehen, was der schottische GM mit Begriffen wie Denken oder Blinzeln meint, deshalb hier eine etwas ausführlichere Erläuterung von Johannes Fischer für die Schachzeitschrift Karl: [url]http://www.karlonline.org/kol02.htm[/url][QUOTE]1. Denken: Schematisches Denken, mangelndes Vertrauen in die eigene Intuition und zu starres Befolgen von "Regeln". Gegenmittel: Intuition2. Blinzeln: Nichtbeachten kritischer Momente, mangelndes Gespür für den Trend in der Partie. Gegenmittel: Sensibilität3. Wollen: Auf ein bestimmtes Ergebnis fixiert sein, Achtlosigkeit, auf bestimmte Erwartungen fixiert sein. Gegenmittel: Einen Zustand herbeiführen, in dem man zur rechten Zeit am rechten Ort ist und das rechte tut.4. Materialismus: Fehleinschätzungen, mangelndes Gefühl für Dynamik, Übersehen, Gegenmittel: Pluralismus5. Egoismus: "Vergessen des Gegners", Angst und mangelnder Pragmatismus. Gegenmittel: Prophylaxe6. Perfektionismus: Zu viel wollen, bestimmte starre Vorstellungen über die Stellung haben, inadäquates Imitieren bestimmter Muster. Gegenmittel: Selbstvertrauen7. Fahrigkeit: Den Faden verlieren, sich treiben lassen, Gegenmittel: Konzentration. [/QUOTE]Das in der Schachwelt bekannte Werk Rowsons erschien im englischsprachigen Raum bereits 2000, wurde aber erst 2003 in Deutschland veröffentlicht, was natürlich ein schon spürbares Hinterherhinken deutscher Schachverlage ist, da das Werk nicht ein beliebig austauschbares mittelmäßiges Schachbuch ist, sondern in der Schachliteratur einen zentralen Platz einnimmt. Rowsons Todsünden werden in Schachdiskussionen immer wieder zitiert. Was haltet ihr von dem Versuch Rowsons, das Denken des Schachspielers zu systematisieren und ihm einen Weg aufzuzeigen, grundlegende Fehler bei der Herangehensweise an eine Schachpartie zu überwinden? Mir persönlich gefällt an Rowsons Systematik, daß dieser in seiner Analyse an die Wurzel der Probleme geht. Dies hilft einem als Schachspieler dabei, in der Folge deutlich weniger Spielfehler zu produzieren als wenn einem nur gesagt wird, an welchen Punkten man in einer Schachpartie nun falsch gespielt hat. Auf diese Weise macht man vielleicht den Fehler in derselben Stellung nicht mehr, aber dafür einen ähnlichen Fehler in einer ähnlichen Stellung.Trivia:Jörg Seidel sah in seinem Metachess nicht zuletzt durch Rowsons Schachbuch einen grundlegenden [Hier befand sich ein Link auf die Seite "https://www.schachburg.de/threads/1801-Neuer-Antagonismus-in-der-Schachwelt-der-Schachspieler-als-Gleiter-mit-dem-Strom". Der Link wurde vom Benutzer mit dem Titel "Paradigmenwechsel" versehen. Aus urheberrechtlichen Gründen ist es möglicherweise erforderlich, diesen Hinweis beizubehalten, da manche Benutzer die Quelle ihrer Zitate von anderen Internetseiten so gekennzeichnet haben. Dieser Hinweis wurde automatisch an Stelle des früheren Links platziert. Falls der Link unangemessen oder ohnehin unerreichbar geworden ist, kann die im Impressum genannte Adresse mit einer Bitte um Entfernung kontaktiert werden.] im Schach kommen.

Beitrag von Kampfkeks

Ich halte das für gute Ratschläge. Andererseits sind es auch sehr abstrakte Empfehlungen, die er gibt. Tipps wie "vertraue deiner Intuition" helfen mir beim Spielen nicht wirklich weiter. Natürlich wird er im Buch höchstwahrscheinlich konkreter werden und entsprechende Beispiele bringen. Interessante, neue Impulse gibt es dann bestimmt.Sehr gut finde ich die "Sünde", den Gegner zu vergessen (Nr. 5). Ich kann gar nicht sagen, wie oft ich selbst nur meine eigene Stellung, meine eigenen Drohungen gesehen habe.. und nicht das drohende Matt des Gegners....Ansonsten... finde ich Punkt 1 zwar richtig, aber ich hätte eine andere Bezeichnung gewählt. "Denken" kann doch keine Sünde sein! Punkt 2 und 4 sind sehr ähnlich.

Beitrag von Kiffing

[QUOTE=Kampfkeks;24120]Ansonsten... finde ich Punkt 1 zwar richtig, aber ich hätte eine andere Bezeichnung gewählt. "Denken" kann doch keine Sünde sein! [/QUOTE]Ich denke, Rowson wollte mit diesem Begriff provozieren und damit zum Nachdenken anregen. Und ich denke auch, daß Schachfreunde, die noch nicht solange dabei sind, von dieser Idee noch nicht profitieren können. Denn die schachliche Intuition, die Rowson als Gegenideal zum Denken setzt, ist die Summe der eigenen schachlichen Erfahrungen und kann somit erst nach einer etwas längeren Erfahrung mit dem Schachspiel genutzt werden. Verfügt man aber erst einmal über die nötige intuitive Vorstellungskraft, die eher unbewußt als bewußt funktioniert, dann entsteht eine Situation, die Seidel in seinem MetaChess als Gleiten mit dem Strom bezeichnet. Und, um im Bild zu bleiben, ist man damit schneller als etwa durch eigene bewußte Anstrengung, allegorisiert durchs eigene Laufen.

Beitrag von hako

Ich finde die Ratschläge auch etwas abstrakt, aber sie regen doch sehr zum "Nachdenken" an. Sicherlich kann es nicht schaden, diese Tipps im HInterkopf zu haben oder sie sich vor/während einer Partie zu vergegenwärtigen. :)Aber auch hier gilt der Lieblingsspruch der Parmazeuten: Die Dosis mach das Gift. ;)Rowsons Gegengifte sind nämlich ebenfalls Gifte.