Schachburg-Archiv: Benutzerthema „Wie bearbeite ich ein Taktikbuch?“

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Beitrag von Kiffing

Die allermeisten Spieler werden sich in ihrer Karriere mit Taktikbüchern beschäftigen. Doch noch nicht jeder ist darin ein alter Hase. Da es bei den allermeisten Dingen so ist, daß es einen allerbesten Weg gibt, soll hier darüber diskutiert werden, wie man für sich selbst den größten Nutzen daraus zieht, so ein Taktikbuch zu bearbeiten. Gerne stelle ich dabei meine ganz persönlichen Erfahrungen und Schlüsse, die ich daraus gezogen habe, zur Verfügung. Doch würde ich mich freuen, wenn ihr selbst aus eurem ganz persönlichen Fundus zu diesem Thema berichtet. Als allererstes ein paar Essentials: es erspart wirklich viel Frustration, wenn man darauf achtgibt, nicht versehentlich schon in die nächste Lösung geguckt zu haben. Dann kann man sich das Bearbeiten der nächsten Aufgabe nämlich sparen und verschenkt eine Aufgabe. Ich weiß, daß es schwierig ist, so eng beieinander wie die Lösungen liegen. Aber mit Achtsamkeit ist das drin. Ebenso wichtig ist es, das Brett richtig aufzubauen. Das klingt trivial, aber ist wichtig, weil es überhaupt die Schlüsselbedingung für das Bearbeiten einer Aufgabe ist. Denn schön kann es wahrlich nicht sein, sich intensiv mit einer Aufgabe zu beschäftigen, dann entnervt aufzugeben und auf die Lösung zu schauen, nur um dann festzustellen, daß man die Aufgabe bloß nicht lösen konnte, weil man das Brett falsch aufgebaut hat...Wenn diese Vorbedingungen stimmen, dann können wir endlich zum wesentlichen Teil des Threadthemas springen. Eine wesentliche Frage ist z. B., wieviel Zeit soll ich mir selbst für eine Aufgabe nehmen? Ich selbst handhabe das bei mir immer so, daß ich mich wirklich lange in eine Aufgabe hineindenke, wenn ich sie nicht sofort lösen kann. Manchmal passiert es auch, daß ich überhaupt nicht draufkomme. Wenn ich irgendwann merke, meine Konzentration ist erschöpft, dann mache ich was anderes, und wenn ich mich später, wieder frisch im Geiste, an die Aufgabe wage, dann ist es mir schon oft vorgekommen, daß ich die Aufgabe auf einmal ziemlich schnell lösen konnte. Das Unterbewußtsein denkt halt mit. Ich bin sowieso der Ansicht, daß ein gewisser Kontrastpunkt zur Reizüberflutung des Informationszeitalters sehr nützlich für die eigene Persönlichkeitsentwicklung sein kann (und für schachliches Denken im Besonderen). Wir sind ständig von Reizen überflutet, und es fällt uns schwer, einmal abzuschalten und zur Ruhe zu kommen, wo man zu sich selbst, zu den Quellen seiner natürlichen Kraft, zu seinem Ursprung finden kann. Damit will ich gar nichts dagegen sagen, sich dem Zeitgeist in dieser Hinsicht auch einmal anzupassen. Und in der Tat bietet diese Reizüberflutung auch viele Möglichkeiten, schon alleine aus psychologischer Hinsicht, daß wir, weil damit geschult, Informationen viel schneller verarbeiten können als die Menschen aus früheren Generationen und in der Breite wesentlich mehr wissen (was aber zu Lasten der Tiefe gehen kann). Aber ein Kontrastpunkt tut dabei Not, um beide Ebenen sinnvoll auszubalanzieren und uns der Gegensätzlichkeiten bewußt zu werden. Es ist ja eine uralte chinesische Philosophie, daß ein Ganzes seine Kraft in Vollendung erst durch die Verbindung von Yin und Yang entfalten kann. Kein Tag ist ohne Nacht denkbar, keine Liebe ohne Haß, und von daher auch keine Hektik ohne Muße. Oder wie will man die Hektik ohne Muße aushalten, oder wie will man ein glückliches und erfülltes Leben führen können und seine Ziele erreichen, wenn man nur ausruht? Wie schon angesprochen, ergeht es jedem Schachspieler bei der Bearbeitung eines Taktikbuchs so, daß irgendwann einmal seine Konzentration nachläßt. Hier empfehle ich, eine schöpferische Pause einzulegen bzw. sich jetzt mit etwas anderem zu beschäftigen. Der Vorteil dieser Methode ist klar: wenn man die Aufgaben bei nachlassender Konzentration bearbeitet, bleibt nicht mehr so viel hängen, man zieht aus dem Bearbeiten der Aufgaben also nicht mehr den größten Nutzen. Überhaupt sollten wir wieder mehr auf unseren Körper und unsere Signale hören. Es ist ja ein Makel der gegebenen postmodernen Epoche, daß wir das Gefühl zu unserer Natur und unserer Seele weitestgehend verloren haben. Wir machen da weiter, wo wir nicht mehr können und wundern uns dann, wenn wir krank werden.Ein Merksatz der buddhistische Philosophie geht in die Richtung: wenn Du ruhst, ruhe, wenn Du ißt, esse, und wenn Du arbeitest, arbeite. Die Idee dieser Philosophie ist die, daß man die Sache, mit der man sich gerade bschäftigt, mit Bedacht tun sollte. Man könnte auch Achtsamkeit dazu sagen. Es bringt nämlich gar nichts, sich gedanklich mit einer anderen Sache zu beschäftigen anstatt mit der Sache, die man gerade macht. Konzentration ist hier der Schlüsselbegriff, um die gerade bearbeitete Sache so tief wie möglich zu durchdringen und zu meistern. Von daher ist ein respektvoller Umgang auch mit den gegebenen Taktikaufgaben geboten, so daß ich empfehle, möglichst das Brett aufzubauen (es sei denn, die Aufgaben sind wirklich leicht), um sich wirklich intensiv mit einer Aufgabe befassen zu können. Taktik am Computer mag ich persönlich nicht, weil es zur Oberflächlichkeit verführt. Ich habe lieber ein handfestes Brett vor Augen.Kornel hat mal von einer Anweisung seines Trainers für Taktikaufgaben berichtet. Er sagte, sein Trainer habe ihm grundsätzlich verboten, auf die Lösungen zu schauen. Der Sinn dieser Methode ist klar, der Trainer will genau wie ich, daß wir aus unseren Aufgaben das Optimum herausholen und nebenbei unser Denken als Schachspieler schulen, dessen Tugenden Geduld und Nachhaltigkeit sind. Mir scheint es aber, daß der Trainer dabei ein wenig über das Ziel hinausgeschossen ist, weil manchmal ist es einfach so, daß man alleine nicht mehr auf die Lösung kommt, selbst wenn man wirklich alles versucht hat. An diesem Punkt halte ich es dann für vertretbar zu den Lösungen zu schauen, um von dieser Aufgabe trotzdem noch etwas zu lernen und sich wieder mit anderen Aufgaben beschäftigen zu können, die man (hoffentlich) wieder lösen kann. Wie denkt ihr darüber?

Beitrag von zugzwang

Mit der Wahl eines bestimmten Taktikbuchs habe ich schon einmal eine Vorauswahl getroffen, weil Taktikbuch und t a k t i k b u c h inhaltlich recht verschieden sein können.Lehrbuch: Vorstellung von taktischen Motiven mit Erläuterungen, teilweise Tests am Ende eines Kapitels bzw. Buchs ggf. AbschlußtestErlernen von Techniken, Kennenlernen von Motiven, PraxistestsKlassiker: Neistadt "Schachpraktikum", Igney "Erfolgreich kombinieren"Bearbeitungsweise: systematisch hintereinander, nach Möglichkeit in einem Zug ohne längere Unterbrechungen in mehreren Tagen oder wenigen Wochen,Wiederholungs-, Auffrischungskur empfohlenLesebuch mit Trainingseffekten: teilweise Kurt Richters Taktikbücher, Dr. Pflegers Schachrätsel, Golz/Keres Schönheit der Kombination, Pötzsch "Spaß am Kombinieren",Trautmann "Eine Reise über das Schachbrett"Vorteil: bunte Vielfalt, kein Thema als Hinweis bereits genannt.Nachteil: Der Text muß häufig gelesen werden, um den Einstieg zu finden (Wer am Zug oder welcher Zug geschah zuletzt?), dadurch aber wieder Hinweiseffekt Lesemethode: Nach Lust und Laune, Spaß und Zeit, konzentriert oder in Bahn und Bus, angestrengt oder lockerAlmanach, Enzyklopädie: zumeist nach Kombinationsmotiven geordnetKlassiker: Mittelspielenzys von Chess Informant, Polgar Middlegame, Hans Müller "Lerne Kombinieren" - nur knapp 500 StellungenVorteile: guter Praxiseffekt, weil häufig nur 1.? +- oder 1. ... ? -+ angegeben, gutes Einprägen der Motive durch thematische AnordnungNachteile: "Gewicht", thematische Anordnung verwässert den PraxiseffektTrainingsbücher: unsystemetische Anordnung mit allen Spielphasen, teilweise nur mit 1. ? oder 1...? angegeben (=russische Schule: Zug und Abspiel muß gefunden werden und das erreichbare Ziel muß selbst ermittelt, gewußt oder gefühlt werden)Trainingsbücher mit System oder Hilfestellung: Anordnung nach Schwierigkeitsgrad, Angabe des mutmaßlichen Schwierigkeitsgrads evtl. Stappenaufbau einer Kombination, gesonderter Hinweistext mit Tipp zur Lösung.z. B. Kuligowski Testbuch der Schachtaktik I, II,diverse Bücher von Maxim Blokh, Nunn Chess Puzzle Book (klein, aber oho), Ray Cheng "Practical Chess Exercises" (600 Aufgaben einschl. Strategie), Emms 1001 Schachaufgaben, Teschner "Sie sind am Zug" (300+x Aufgaben)Spezialtrainingsbücher:Bücher mit taktischem Oberthema (z.B. Beyer Testbuchreihe: Mittelspiel, Königsangriff, Endspieltaktik, Karsten Chess Puzzle Book-Reihe, taktische Lösungen in mittelspielen bestimmter Eröffnungen) oder spezieller Zielrichtung und Leistungsanforderungen im oberen bzw. obersten Schwierigkeitsgrad (Hort/Jansa "Der beste Zug", Volokitin "Perfektionieren Sie ihr Schach", Dvoretsky "Universität der Schachanalyse" = kein Taktik-, sondern ein Mittelspielarbeitsbuch für Schachdoktoranden oder besser Schachprofessoren.Meine eigene Lesart oder Bearbeitungsweise hängt also davon ab, was mir das Buch an Rahmen anbietet.Manche Bücher sind somit eher Lesebücher mit dem Ziel Motive und Ideen Aufzufrischen bzw. dem Test des schnellen Wiedererkennens.Andere wären Arbeits-/Trainingsbücher für allgemeine und spezielle taktische Schach-Fitness.Als richtiges Arbeitsbuch habe ich ein Buch schon lange nicht mehr benutzt.Dazu würde gehören:1. Zeitvorgabe für die Bewältigung der Aufgaben,2. Notation der im Kopf gefundenen Varianten,3. Fehleranalyse anhand der "Musterlösungen", Beschreibung der ermittelten Fehlerquellen4. selbständiger Fehlercheck der "Musterlösungen"5. heutzutage möglich: enginemäßiger Fehlercheck der eigenen und der Musterlösungen6. Visualisierung als Vorübung: Stellung aus dem Buch ca. 1 min anschauen, danach auf dem Brett aufbauen, vom Brett auslösen (aber bitte überprüfen, ob sie wirklich so stimmt).Punkt 6 entfällt heutzutage vollends -zu faul und bequem geworden, Zeitvorgaben werden auch nicht getroffen.Ansonsten:Stellungen, die ich nicht lösen konnte, werden zunächst zurückgestellt und anderntags neu versucht, falsch gelöste Stellungen erhalten ein Merkzeichen, über den Fehler wird (zu kurz) nachgedacht, nicht "verstandene" Lösungen werden "enginegecheckt" und überprüft ebenso wie immer noch für richtig erachtete eigene Lösungen, besonders lehrreiche oder interessante Stellungen erhalten ein Merkzeichen und werden in Themendatendanken einsortiert.Die Bücherstapel werdenab und zu verkleinert und wieder ins Regal einsortiert:hmpf:,dafür darf eine alte oder neue Schachzeitschrift wieder hinzukommen.:lach: