Beitrag von blunder1
Mark Taimanow (1926-2016), von dem dieser Ausspruch (auch schriftlich) stammt, war ein sehr bekannter sowjetischer/russischer Groβmeister: Er war u.a. zwei Mal Kandidat (1953 und 1971), wurde 1956 sowjetischer Landesmeister, war Mitglied der sowjetischen Nationalmannschaft und genoss auch als Theoretiker einen sehr guten Ruf; die Taimanow-Variante in der Sizilianischen Verteidigung (1.e4 c5 2. Sf3 Sc6 [oder 2...e6] 3.d4 cxd4 4.Sxd4 e6 [oder 4...Sc6]) trägt sogar seinen Namen. Auβerdem war er ein hervorragender Konzertpianist: Mit Ljubow Bruk, seiner ersten Ehefrau, bildete er ein berühmtes Duo; einige ihrer Aufnahmen wurden sogar in die sehr prestigereiche Sammlung von Philips und Steinway&Sons Great Pianists of the 20th Century aufgenommen.Schach war in der Sowjetunion Staatsangelegenheit und keine Anstrengung – sowohl organisatorisch, als auch finanziell – wurde gescheut, um das sowjetische Schach zu fördern; Erfolge im Schach sollten die Überlegenheit der sozialistischen Gesellschaftsordnung “beweisen”. Ab 1948 waren nicht nur alle Weltmeister, sondern auch sämtliche Herausforderer sowjetische Spieler gewesen, die WM-Wettkämpfe waren allesamt in Moskau ausgetragen worden.Topspieler genossen groβe Privilegien: Ruhm, hervorragende Trainingsmöglichkeiten, einen – für sowjetische Verhältnisse – hohen Lebensstandard mit einem regelmäβigen Einkommen und sie durften zu Turnieren in den Westen reisen, ein für den Rest der sowjetischen Gesellschaft unerreichbarer Traum.Allerdings unterlagen sie einer strikten staatlichen Kontrolle: zu Delegationen, die in den Westen reisten, gehörten in der Regel KGB-Mitarbeiter, und die Spieler hatten sich zu “benehmen”.Sobald ein Spieler den sowjetischen Behörden unangenehm aufgefallen war, wurden Sanktionen verhängt; besonders beliebt war das Streichen von Reisen zu Turnieren in den Westen.Taimanow führte bis 1971 das Leben eines sowjetischen Musterbürgers, doch dann...Mit dem “Wettkampf des Jahrhunderts” UdSSR gegen den Rest der Welt, der im Frühjahr 1970 in Belgrad ausgetragen wurde, war ein Spieler, der sich stärker als je zuvor präsentierte, aus der Versenkung wieder aufgetaucht, welcher eine riesige Gefahr für die sowjetische Schachhegemonie darstellte: der US-Amerikaner Robert James “Bobby” Fischer.Mit seinem souveränen Sieg beim Interzonenturnier von Palma de Mallorca im Herbst 1970 hatte sich Fischer für die Kandidaten-Wettkämpfe qualifiziert (erst nach den Kandidaten 2011 ist wieder das Kandidatenturnier eingeführt worden); auch Taimanow war die Qualifikation gelungen und die Auslosung ergab, dass er im Viertelfinale auf Fischer traf.In Anbetracht der Tatsache, dass die Schachweltmeisterschaft einen solchen Stellenwert in der Sowjetunion einnahm und – mitten im Kalten Krieg – ausgerechnet ein Amerikaner eine derartige Gefahr darstellte, wurden alle Register gezogen, um sowjetische Spieler so gut wie möglich vorzubereiten.Meine Hauptquelle ist das Buch Russians vs Fischer, das 1994 nach Zusammenbruch der Sowjetunion erschien; es enthält Zeugenaussagen und zeitgenössische Dokumente bzw. Protokolle.Der “Patriarch” höchstpersönlich, wie Mikhail Botwinnik (der erste sowjetische Schachweltmeister, der, mit 2 kurzen Unterbrechungen, von 1948 bis 1963 den Titel trug) respektvoll genannt wurde, erteilte Taimanow eine Reihe von Ratschlägen.Botwinnik sollte 1970 einen Wettkampf gegen Fischer in den Niederlanden austragen, der letztendlich an den Forderungen des Amerikaners scheiterte, welcher menschlich – gelinde ausgedrückt – schwierig war.Botwinnik hatte sich, wie immer, akribisch auf diesen Wettkampf vorbereitet, Fischers Partien genau studiert und eine eindrucksvolle Akte über ihn zusammengestellt, in der er Fischers Stil beschreibt. Diese Erkenntnisse teilte er Taimanow mit; auβerdem gab er ihm zahlreiche Tipps, u.a was die Wahl der Sekundanten anging.Zusätzlich durchlief Taimanow ein ausgeklügeltes Trainingsprogramm.So gerüstet flog die sowjetische Delegation um Taimanow nach Vancouver (Kanada), wo der Wettkampf im Frühjahr 1971 stattfand. Er war auf 10 Partien angesetzt, Sieger wurde der Spieler, der zuerst 5,5 Punkte ezielte.Er endete mit einem Paukenschlag: Fischer gewann 6:0, ohne ein einziges Remis.Das Match war viel umkämpfter, als es das Ergebnis aussagt; Fischer selber betonte danach, dass der “normale” Punktestand – gemäβ des Spielverlaufs - nach 6 Partien 3,5:2,5 zu seinen Gunsten hätte stehen sollen.Die Gründe für Taimanows vernichtende Niederlage:- Fischer war einfach zu stark und machte kaum Fehler.
- Taimanow verlor 2 Partien aufgrund grober Böcke in elementaren Remisstellungen (Partien 2 und 5).
- Der Altersunterschied: Fischer war 28 Jahre alt, Taimanow bereits 45.
- Ihm wurde sein Titel “Verdienter Meister des Sports” aberkannt.
- Er wurde aus der sowjetischen Nationalmannschaft geworfen, mit einschneidenden finanziellen Konsequenzen.
- Fast zwei Jahre lang durfte er nicht an Turnieren im Ausland teilnehmen.
- Er durfte keine Artikel (er war auch ein bekannter Schachjournalist) mehr veröffentlichen.
- Selbst Auftritte als Konzertpianist wurden ihm untersagt.