Schachburg-Archiv: Benutzerthema „Noch im Endspiel den König mattgesetzt“

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Beitrag von Kiffing

Nikolai Grigoriev schien Aljechin zu liegen, denn gegen denselben Gegner hatte Aljechin beim Allrussischen Championturnier 1920 bereits [URL="http://www.schachburg.de/threads/1022-Alexander-Aljechin-zwischen-Kriegskommunismus-und-B%C3%BCrgerkrieg"]in schönstem Stile gewonnen[/URL]. Diese Partie stand dieser Partie in nichts nach. Mit einem Bauernopfer für Linienöffnung, womit Aljechin gleichzeitig den gegnerischen König in der Brettmitte festhalten konnte, hatte Aljechin wieder die Bedingungen für sein geliebtes Angriffsspiel geschaffen. Der Versuch Grigorievs, durch einen Damentausch dem Gegner viel von seiner Angriffssenergie zu nehmen, scheiterte, denn die Intensität von Aljechins Angriffsspiel nahm damit nicht etwa ab, sondern setzte Grigoriev weiter zu. George Thomas [URL="http://schach-und-kultur.de/?p=4155"]bemerkte[/URL] einmal über Aljechin:[QUOTE]Gegen Aljechin weiss man nicht, was einen erwartet. Gegen Capablanca weiss man, was zu erwarten ist; allerdings kannst Du Dich nicht darauf vorbereiten![/QUOTE]Und auch nach dem Damentausch warteten auf Grigoriev zahlreiche unliebsame Überraschungen.Und auch ein weiteres Bonmot, diesmal von Lasker (ebd.), traf auf diese Partie zu:[QUOTE]Aljechin ist in den Kombinationen gewachsen. Er ist verliebt in sie. Wenn der König des Gegners nicht in Gefahr ist, spielt er ohne jegliche Begeisterung.[/QUOTE]Denn das in diesem Endspiel so stark reduzierte Material hielt Aljechin nicht davon ab, den gegenrischen König in einem Mattangriff zu versenken. Es wird Zeit, Aljechins Gegner zu würdigen, der nun wirklich nicht als bloßes Fallobst für Aljechin erscheinen sollte. Nikolai Grigoriev hatte für die Entwicklung der Sowjetischen Schachschule ungeheure Verdienste. 1938 starb er aber in den Folterkammern des NKWDs eines schrecklichen Todes, wie Wikipedia [URL="http://en.wikipedia.org/wiki/Nikolai_Grigoriev"]nüchtern beschreib[/URL]t:[QUOTE] In early October 1937, Grigoriev returned from a trip to the Far East and Siberia, where he gave lectures and played. The NKVD militia on the train arrested him. Grigoriev was frail; he lost consciousness immediately after the use of force, and his throat began to constantly bleed. After an interrogation, the interrogators had to wash down the room. An unexpected illness then confined him to bed. Severe complications required immediate surgery. The patient was severely weakened and died of lung cancer [/QUOTE]Zwischen 1936 und 1938 sind die meisten Menschen in Stalins Riesenreich nicht eines natürlichen Todes gestorben. Diese Zeit nennt man in den Geschichtsbüchern Großer Terror oder Große Säuberung.[Event "Moskauer Lokalturnier 1920"][Site "MyTown"][Date "????.??.??"][Round "?"][White "Alexander Aljechin"][Black "Nikolai Grigoriev"][Result "1-0"][PlyCount "71"][TimeControl "2400"]{767MB, Fritz8.ctg, MYCOMPUTER} 1. e4 e5 2. Nf3 Nc6 3. Bb5 Nd4 4. Nxd4 exd4 5.O-O c6 6. Bc4 Ne7 7. d3 d5 8. Bb3 dxe4 9. dxe4 Ng6 10. c3 Bc5 11. Qh5 Qe7 12.Bg5 Qxe4 13. Nd2 Qg4 14. Rae1+ Kf8 15. Qxg4 Bxg4 16. cxd4 Be7 17. f4 Bf5 18.Bxe7+ Nxe7 19. Rf3 Rd8 20. Rfe3 Rd7 21. Nc4 Be6 22. Ne5 Rxd4 23. Nxf7 Kxf7 24.Rxe6 Nd5 25. Re7+ Kf6 26. R1e6+ Kf5 27. Bc2+ Kxf4 28. Rxg7 Rf8 29. Rxh7 Ne3 30.Rh3 Nf5 31. Rf3+ Kg5 32. Re5 Rf4 33. Kf2 Rf6 34. h4+ Kg4 35. Rxf4+ Kxf4 36.Re4# 1-0

Beitrag von Kiffing

Nikolai Grigoriev und Alexander Aljechin kannten sich jedenfalls in dieser Zeit schon lange und verstanden sich gut. In wärmster Verbundenheit drückt sich Aljechin in seinem Büchlein Das Schachleben in Sowjet-Russland von 1921 über Grigoriev aus und schildert dessen Verdienste für das Schach in dieser schweren Zeit in den schillerndsten Farben:[QUOTE]N. Grigorief [...] ist zweifellos eine der erfreulichsten Gestalten an dem gegenwärtig so "heruntergekommenen" Schachfirmament. Ein Spieler von vielseitigen Kenntnissen (welche besonders in Bauernendspielen zur Geltung kamen, da er darüber nicht nur eine eigene Theorie ausgearbeitet, sondern auch eine ganze Monographie geschrieben hat), auch an praktischer Stärke beinahe die Meisterschaftsregionen streifend, ist er vor allem ein unermüdlicher und fanatischer Propagator der Schachkunst und, trotz seines jugendlichen Alters von 26 Jahren war er in den schweren Jahren 1917-1919 faktisch der einzige Mann, dessen Energie es bewirkt hatte, daß das Schachflämmchen in den Herzen der Moskauer Schachfreunde trotz aller tragischen Ereignisse der Außenwelt nicht erlosch. Gegenwärtig bekleidet er die Stelle des Vorsitzenden des Moskauer Schachklubs, wobei er gleichzeitig auch die Schachsektion der Allgemeinausbildung ("Wseobutsch") leitet. Die Kumulierung dieser beiden Ämter des durch die Wahl seiner Spielkollegen sowie des durch die Bestimmung der Sowjetleute übertragenen Wirkungskreises, ermöglicht den Moskauer Schachfreunden ihre interne Unabhängigkeit zu bewahren, ohne die "geschäftliche" Berührung mit der Regierungsmacht zu verlieren, da sie sonst unter der ständigen Drohung stehen würden, auf die Straße in jedem Augenblicke hinausgeworfen zu werden[/QUOTE]Ein so unrühmliches Ende hat dieser leidenschaftliche Pionier der Sowjetischen Schachschule nicht verdient (hat niemand verdient). Aber genau das ist ja eine "Spezialität" des Stalin-Regimes gewesen, die auch unter massenmordenden Terrorregimes ohne Beispiel ist: Die massenhafte Vernichtung auch der besten, fähigsten und loyalsten eigenen (!) Leute.

Beitrag von zugzwang

[QUOTE=Kiffing;17614]Nikolai Grigoriev...[/QUOTE]Wenn es sich nicht um einen Namensvetter handelt, was ich nicht glaube, dann hat Grigoriev mit seinen Endspielstudien die schachliche Unsterblichkeit erlangt.Wichtige Lehrbeispiele mit großer praktischer Relevanz und daher in (fast?!) jedem Endpiellehrbuch zu finden, tragen als Verfasser den Namen Grigoriev.Beispiel:[Event "Studie"][White "Grigoriev"][Black "?"][Result "*"][FEN "1r6/R3K1k1/4P3/8/8/8/8/8 w - - 0 1"]Wie gewinnt Weiß am Zug?Diese Studie gehört zu den grundlegenden Werkzeugen im Turmendspiel.

Beitrag von Kiffing

Hier ist noch ein großer sowjetischer Komponist, der Stalins Terror nicht überlebte: [URL="http://de.wikipedia.org/wiki/Sergei_Michailowitsch_Kaminer"]Sergei Kaminer[/URL].Zu dem gibt es eine rührende Geschichte. 1937 spielte Botwinnik in Leningrad seinen Wettkampf gegen Grigori Löwenfisch, der schließlich Unentschieden endete. Es war mitten in der Großen Säuberung, und Kaminer ahnte, daß er bald sterben würde. Da trat er an seinen ehemaligen Jugendfreund Botwinnik heran und gab ihm seine Aufzeichnung seiner Schach-Studien mit den Worten: "Hier im Heft sind all meine Studien, einige noch nicht bis zum Ende ausgearbeitet. Nehmen Sie sie. Ich fürchte, sie werden mir verloren gehen."Und in der Tat. Nicht sehr viel später wurde Kaminer weggesäubert. Die Studien aber bewahrte Botwinnik gut auf, und sie konnten später als Material für ein Schachbuch wiederverwendet werden.

Beitrag von Kampfkeks

[QUOTE=zugzwang;17642]Wie gewinnt Weiß am Zug?Diese Studie gehört zu den grundlegenden Werkzeugen im Turmendspiel.[/QUOTE]Mehr eine Idee, als eine konkrete Lösung:[SPOILER]Vermutlich muß Weiß den Turm auf die f-Linie bringen, um den schwarzen König fernzuhalten. In diesem Fall könnte Schwarz die Umwandlung wahrscheinlich (?) nur durch die Opferung seines Turms verhindern (was natürlich auch verliert). [/SPOILER]