Schachburg-Archiv: Benutzerthema „Mysteriöse Turmzüge“

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Beitrag von Kiffing

Die „mysteriösen Turmzüge“ sind als terminus technicus von Aaron Nimzowitsch eingeführt und theoretisch entwickelt worden. Waren sie früher eine Rarität, so gehören sie heute zum positionellen Rüstzeug eines jeden ambitionierten Schachspielers.Bei den mysteriösen Turmzügen handelt es sich um Turmzüge, in denen die Türme nicht wie üblich auf offene und halboffene Linien entwickelt werden, sondern auf eine geschlossene Linie, in der berechtigten Hoffnung, daß diese sich später öffnet. Nimzowitsch taufte diese Turmzüge mysteriös, weil diese auf dem ersten Blick tatsächlich mysteriös anmuten, und der Sinn hinter diesen Zügen meistens nicht sofort zu erkennen ist. Es steckt also durchaus eine gewisse Tiefe hinter solchen Zügen.Es folgen drei Partiebeispiele:[FEN=6]r3k2r/ppqbbp2/2n1pn1p/6p1/8/2P2NN1/PPBBQPPP/R3R1K1 w - - 0 1[/FEN]In der Partie Bronstein gegen Petrosjan, Moskau 1967, spielte Weiß 1. Tac1, um 1. ...g4 mit 2. Sd4 aktiv zu parieren.[FEN=7]3r4/p4k2/1p1b1p2/2pP1P1p/2P5/6B1/P4K1P/3R4 w - - 0 1[/FEN]In der Partie Tschernin gegen Alterman, Beersheba 1992, gewann Weiß mit 1. Th1![FEN=8]r2qr1k1/pb1n1pbp/1p1ppnp1/8/1PPP4/P1N2N2/1B3PPP/R2QRBK1 w - - 0 1[/FEN]In der Partie Sadler gegen Kortschnoi, Arnheim 1999, kam Weiß mit 1. Tb1! in Vorteil. Sadler: „Mir war bewußt, daß Schwarz bald ...d5 spielen würde, aber nach c5 ...bxc5 und dxc5 konnte ich keinen Weg finden, Schwarz daran zu hindern ...e5 durchzusetzen. Daher begann ich, die andere Schlagmöglichkeit nach ...d5, c5 bxc5 zu untersuchen, nämlich bxc5.“ (Geheimnisse der Schachintuition von Alexander Beljawski und Adrian Michaltschischin, GAMBIT-Verlag, S. 111)

Beitrag von zugzwang

Die Partiestellung Chernin-Alterman hat mich gerade interessiert.Bei chessgames.com habe ich zu den Daten aber nur folgende Partie gefunden:[Event "Beersheba"][Site "Beersheba"][Date "1992.??.??"][EventDate "?"][Round "3"][Result "0-1"][White "Alexander Chernin"][Black "Boris Alterman"][ECO "D85"][WhiteElo "2605"][BlackElo "2580"]1.d4 Nf6 2.Nf3 g6 3.c4 Bg7 4.Nc3 d5 5.cxd5 Nxd5 6.e4 Nxc37.bxc3 c5 8.Rb1 O-O 9.Be2 Nc6 10.d5 Ne5 11.Nxe5 Bxe5 12.Qd2 b613.f4 Bg7 14.O-O e6 15.dxe6 Bxe6 16.f5 Bc8 17.Qxd8 Rxd8 18.Bg5f6 19.Bc4+ Kh8 20.Bh4 Bb7 21.Rbe1 Rd2 22.Rf2 Rad8 23.Bd5 Rxf224.Kxf2 Bxd5 25.Rd1 Kg8 26.Rxd5 Rxd5 27.exd5 b5 28.Ke3 Kf729.Ke4 Ke7 30.Bg3 Kd7 31.h4 gxf5+ 32.Kxf5 a5 33.Ke4 f5+34.Kxf5 Bxc3 35.Bf2 c4 36.Bb6 a4 37.Ke4 b4 38.Ba5 a3 39.g4 b30-1:ratlos:Kennt jemand die Partie aus der die von Kiffing angegebene Stellung stammt?Oder ist es eine Variante? Wo wird die Stellung analysiert?:verlegen::grübel:

Beitrag von hako

[QUOTE=zugzwang;19608] Wo wird die Stellung analysiert?:verlegen::grübel:[/QUOTE]Hier natürlich. :schulszene: :)In der ersten Stellung ist der Turmzug recht klar. Wäre Schwarz am Zug und würde 1. .. g4 spielen, würde 2.Nd4 wegen der Fesslung auf der c-Linie eine Figur verlieren. (2. .. Nxd4 3.cxd4 Qxc2) :hmm:Außerdem bietet sich nach 1.Rac1 wirklich 2.Nd4 auch ohne 1. .. g4 an. Schlägt Schwarz den Springer, hat Weiß die c-Linie.1.Rh1!! in der zweiten Stellung finde ich einfach genial. :lach:Plötzlich hat Schwarz kaum noch Bewegungsfreiheit!1. .. Bxg3?! 2.hxg3 Rh8 beschert Schwarz das schlechtere Turmendspiel, da es ihn Mühe bereiten wird, sein Sorgenkind h5 zu decken und gleichzeitig den gedeckten Freibauern d6 im Auge zu behalten.Schlägt er jedoch nicht, ist sein Turm gefesselt. Der Befreiungszug 1. .. Ke7?! :grübel: forciert ebenfalls ein schlechteres Turmendspiel: 2.Re1+! Kf7 (2. .. Kd7 3.Bxd6 Kxd6 4.Re6+) 3.Bxd6 Rxd6 4.Re6! Rd7/Rd8 mit aktiver Stellung. Schwarz ist also ziemlich bewegungsunfähig durch einen einfachen Turmzug. Eine mögliche Fortsetzung könnte 1. .. Kg7 2.Ke2 Re8+ 3.Kd2 Bxg3 4.hxg3 Kh6 5.Re1 Rf8 sein, wo ich die Stellung += einschätzen würde. Weiß steht einfach aktiver.In der letzten Stellung finde ich 1.Rb1!? doch ein wenig mysteriös, aber die Idee dahinter ist sehr interessant. :denknach: Die Variante, die genannt wird (1. .. d5 2.c5 bxc5 3.bxc5), funktioniert nämlich auch ohne den Turm auf der b-Linie. Jedoch ist dann die lange Diagonale, auf der der schwarzfeldrige Läuer b2 steht, geschlossen. Der Läufer braucht also ein neues Feld; f4 sticht ins Auge. :)Durch den ersten Zug 1.Rb1 ist Schwarz gezwungen, vor oder nach 4.Bc1 ein Tempo aufzuwenden, um den Läufer b7 zu schützen. Darüber hinaus kontrolliert Weiß im Moment die b-Linie. Die beste Fortsetzung sollte sein 3. .. Qc8 4.Bc1 Ba6 5.Bf4 Bxf1 6.Rxf1 Rb8 mit Ausgleich. :v: