Schachburg-Archiv: Benutzerthema „Götterdämmerung“

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Beitrag von Kiffing

Am 12.4.1945 kamen in der zunehmend von den Allierten eingekesselten und durch unzählige Bombenangriffe zerstörten Reichshauptstadt Berlin noch einmal etliche NS-Größen zusammen, um mit dem Konzert der Berliner Philharmoniker, die, passend zur weltpolitischen Situation, das Stück "Götterdämmerung" von Hitlers Lieblingskomponisten Richard Wagner spielten, einen letzten erbaulichen Abend zu verleben. Sie hatten Tränen in den Augen und teilweise Zyankali in den Taschen, um sich nach dem Konzert von der Weltbühne zu verabschieden. Ob ihnen, wie es die Legende besagt, vor dem Eingang zum Konzertsaal Hitlerjungen das Gift gereicht haben, sei dahingestellt.[video=youtube;6qHs5osP7JM][Hier befand sich ein Link auf die Seite "https://www.youtube.com/watch?v=6qHs5osP7JM". Der Link wurde vom Benutzer mit dem Titel "https://www.youtube.com/watch?v=6qHs5osP7JM" versehen. Aus urheberrechtlichen Gründen ist es möglicherweise erforderlich, diesen Hinweis beizubehalten, da manche Benutzer die Quelle ihrer Zitate von anderen Internetseiten so gekennzeichnet haben. Dieser Hinweis wurde automatisch an Stelle des früheren Links platziert. Falls der Link unangemessen oder ohnehin unerreichbar geworden ist, kann die im Impressum genannte Adresse mit einer Bitte um Entfernung kontaktiert werden.][/video] Etwas weniger folgenschwer geht es freilich im Falle des Magnus Carlsens zu, der, schon seit längerem in einer Krise steckend, nach dem erneuten Enttäuschen in seiner Heimat beim Norway Chess in Stavanger 2017, wo er nur auf 4/9 Punkte kam, in der Weltrangliste seinen Vorsprung auf den Rest des Feldes fast vollständig eingebüßt hat. Somit könnte Carlsen erstmals seit Juli 2011 den Platz an der Sonne verlieren, was die uns vertraute Situation eines Norwegers, der auf Platz 1 der Weltrangliste wie ein Adler seine Kreise zieht, erschüttert. Als Magnus Carlsen im Mai 2014 nach seinem souveränen Sieg beim Gashimov-Memorial in Schamkir (Aserbaidschan) auf seine höchste und gleichzeitig historische Punktzahl von 2882 kam, schien es angesichts seines gleichzeitig epischen Vorsprungs auf den Rest der Schachwelt undenkbar, daß ihm in den nächsten Jahren irgendjemand den Platz an der Sonne streitig macht. Die Fragen, die damals für die Schachwelt interessanter waren, drehten sich eher um Superlative, ob Magnus Carlsen die magische 2900er oder gar die noch magischere 3000er Elomarke würde erreichen können.Heute hat Magnus Carlsen in einer Weltrangliste, die erstmals sechs Vertreter über 2800 aufweist, mit 2822,3 Punkten nur noch einen Vorsprung von 10,8 Punkten gegenüber dem Weltranglistenzweiten. Wladimir Kramnik kommt auf 2811,5 Punkte, dahinter Wesley So mit 2809,8 Punkten, Levon Aronjan mit 2808,5 Punkten, Fabiano Caruana mit 2806,5 Punkten und Shakhriyar Mamedyarov mit 2800,00 Punkten. Carlsens Problem ist also nicht nur sein nur noch geringer Vorsprung auf den Nächstgelegenen, sondern auch die Masse an gefährlichen Verfolgern, was den Druck auf ihn erhöht, sich in den kommenden Turnieren keine Blöße mehr zu geben. Glaubt ihr, daß Magnus Carlsen bald seine Weltranglistenführung abgibt, und wenn ja, an wen? Ich persönlich schätze Levon Aronjan für den gefährlichsten Verfolger, der nicht nur eine besondere Persönlichkeit ist, sondern auch für sein tiefes Schachverständnis und seine originelle Spielführung bekannt ist.

Beitrag von Kampfkeks

Zu dem Norway Chess Turnier habe ich kürzlich einen Artikel bei Spiegel-Online gelesen, wonach das Turnier mehr oder weniger für Carlsen geschaffen wurde, quasi als "sein" Turnier.Wenn das tatsächlich stimmt, dann steht die Person Carlsen natürlich in ganz besonderer Weise im Fokus und der Druck dürfte nochmal um einiges höher liegen, als bei anderen Turnieren. Möglicherweise erklärt das, warum er das Turnier noch nie gewonnen hat. Und mit jedem verpaßten Sieg wird der Druck wahrscheinlich weiter steigen.

Beitrag von Birliban

[QUOTE=Kiffing;27820]Am 12.4.1945 kamen in der zunehmend von den Allierten eingekesselten und durch unzählige Bombenangriffe zerstörten Reichshauptstadt Berlin noch einmal etliche NS-Größen zusammen, um mit dem Konzert der Berliner Philharmoniker, die, passend zur weltpolitischen Situation, das Stück "Götterdämmerung" von Hitlers Lieblingskomponisten Richard Wagner spielten, einen letzten erbaulichen Abend zu verleben. Sie hatten Tränen in den Augen und teilweise Zyankali in den Taschen, um sich nach dem Konzert von der Weltbühne zu verabschieden. Ob ihnen, wie es die Legende besagt, vor dem Eingang zum Konzertsaal Hitlerjungen das Gift gereicht haben, sei dahingestellt.Etwas weniger folgenschwer geht es freilich im Falle des Magnus Carlsens zu, der, schon seit längerem in einer Krise steckend, nach dem erneuten Enttäuschen in seiner Heimat beim Norway Chess in Stavanger 2017 ...[/QUOTE]Dann hoffe ich mal, daß es für Magnus Carlsen auch künftig weniger folgenschwer zu geht. Wäre auch schade, wenn am Eingang/Ausgang eines Spielsaals ein paar enttäuschte Carlsenfans stünden und Carlsen beim Betreten oder Verlassen des Spielsaales eine Zyankalikapsel darreichten, die der Weltmeister gefasst und wissentlich einsteckt, um alsbald von der Weltbühne zu verschwinden. :wein:Weltmeister werden ist nicht schwer, Weltmeister sein dagegen sehr - so könnte man nachfolgenden Spiegel-Online-Artikel "Der Fluch der großen Titel" auch überschreiben.[url]http://www.spiegel.de/sport/sonst/schach-weltmeister-magnus-carlsen-der-fluch-der-grossen-titel-a-1152625.html[/url]Carlsen ist nicht der erste Weltmeister (und wird auch nicht der letzte sein), der, nach Erreichen des Titels, in ein tiefes Loch fällt. Bei Anand war es so, bei Kramnik. Auch bei Petrosjan, Spasski und Tal. Bei Letzteren habe ich es selber nicht bewusst mitbekommen. Aber bei Anand und Kramnik. Als Weltmeister waren sie teilweise nur noch Schatten ihrer selbst. Der Weltmeistertitel schien bei ihnen wie eine schleichende und fortschreitende Krankheit zu wirken: Ein Siechtum der eigenen Schachqualitäten und ein Stillstand in der eigenen Schachentwicklung. Ihre Persönlichkeiten schienen regelrecht zu zerfallen, weil sie nur noch zu Verwaltern ihrer Weltmeistertitel mutierten. Genesen von dieser seltsamen Krankheit waren sie erst, als sie den Weltmeistertitel wieder verloren. Es schien wie ein Jungbrunnen für beide zu sein. Endlich begannen sie wieder kreatives Schach zu spielen. Aber das mussten sie langsam und allmählich erst wieder lernen. Kramnik sprach sogar mal davon, als er seinen Titel an Anand verlor, daß es wie eine Bürde war, die, mit Verlust des Weltmeistertitels, von ihm abfiel. Es schien wie eine Neugeburt - als freier Mensch zu sein.Trotz seiner Krise, halte ich Carlsen zugute, daß er ein spielender Weltmeister ist. Sich also nicht in seinem Elfenbeinturm verschanzt, wie seine Vorgänger, um ein oder zwei mal im Jahr in der Turnierarena aufzutauchen, um hernach gleich wieder im Elfenbeinturm zu verschwinden.Und trotz der Krise - Angela Merkel würde sagen: "Wir schaffen das!" Nicht wahr, Magnus, wir schaffen das! :v:

Beitrag von Kiffing

Im Gegensatz zu den Deutschen damals kann Magnus Carlsen immerhin noch mit Berechtigung kämpfen. ;)Was die typische Weltmeisterkrise angeht, so hat Garri Kasparov mit der "Stalaktierungsphase" einen schönen Begriff geprägt. Er selbst hat sich von dieser Stalaktierung, d. h. Rostansetzung, aber auch nicht frei gemacht und dies auch für seine Niederlage gegen Wladimir Kramnik im Milleniumsjahr verantwortlich gemacht. Menschen sind eben keine Roboter, sie können sich selbst zur höchsten Motivation hochpuschen, aber sind auch nicht frei von Schwierigkeiten dabei. Menschen sind ihrer Natur nach nicht perfekt, nicht einmal die Größten ihrer Zunft. Übrigens rechne ich es Magnus Carlsen hoch an, daß er ähnlich wie Anatoli Karpov auch nach seinem ersten Weltmeistertitel ein spielender Weltmeister ist, dessen Aktivität danach um keinen Deut nachgelassen hat. Seine momentane schon etwas länger andauernde Krise ist kein Zusammenbruch, und ich gehe auch davon aus, daß für Carlsen ein Schachturnier an sich Motivation genug ist. Wahrscheinlich hat seine Motivation nur um Kleinigkeiten nachgelassen, aber auf diesem Niveau machen Nuancen eben den Unterschied aus. Interessant dabei ist nur, daß ich die potentiellen Nachfolger alle nicht auf der Rechnung hatte. Ich hatte eher vermutet, daß Wei Yi Magnus Carlsen als erstes in der Weltrangliste einholt.