Schachburg-Archiv: Benutzerthema „Tarrasch macht wieder auf sich aufmerksam - zum Kaiserjubiläumsturnier 1898 in Wien“

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Beitrag von Kiffing

[IMG][Hier befand sich ein Link auf die Seite "https://i.imgur.com/nwiAt4Z.jpg". Der Link wurde vom Benutzer mit dem Titel "https://i.imgur.com/nwiAt4Z.jpg" versehen. Aus urheberrechtlichen Gründen ist es möglicherweise erforderlich, diesen Hinweis beizubehalten, da manche Benutzer die Quelle ihrer Zitate von anderen Internetseiten so gekennzeichnet haben. Dieser Hinweis wurde automatisch an Stelle des früheren Links platziert. Falls der Link unangemessen oder ohnehin unerreichbar geworden ist, kann die im Impressum genannte Adresse mit einer Bitte um Entfernung kontaktiert werden.][/IMG]1898 wurde in Wien ein Internationales Schachturnier aus dem Boden gestampft, das in seiner Größe alles dagewesene übertreffen sollte und auch bis heute noch als das größte Schachturnier aller Zeiten gilt. 20 Teilnehmer sowie der Umstand, daß dieses Turnier doppelrundig ausgetragen wurde, sorgten für diesen Rekord. Anlaß für diesen Rahmen der Superlative war das 50jährige Thronjubiläum von Kaiser Franz Josef I. Das Turnier erhielt den schmückenden Beinamen Kaiser-Jubiläumsturnier; um das Turnier zu ermöglichen, sorgte Rothschild, der bereits als Mäzen anderer Schachturniere in Wien in Erscheinung getreten war, für die nötigen Finanzen.Das Turnier fiel in eine schachhistorisch günstige Epoche. Vor vier Jahren hatte der junge Deutsche Emanuel Lasker den großen Steinitz bei der Schach-WM in den USA entthront und damit die eherne Schachhierarchie durcheinandergewirbelt. Tatsächlich konnten sich viele Schachfreunde gar nicht mehr an eine Zeit erinnern, wo Wilhelm Steinitz, der auch vor der ersten Schach-WM 1886 die Zweikämpfe gegen prominente Herausforderer dominierte, nicht als der anerkannt stärkste Schachspieler der Welt galt; nicht wenige waren bereits in die generationenübergreifende Ära Steinitz hineingeboren worden. Da Emanuel Lasker sich in der Schachwelt trotz seines Sieges über den, wie sein Rivale Tarrasch später pejorativ bemerken sollte, „alternden Steinitz“, noch nicht fest etabliert hatte, gab es 1894 mit Steinitz, Lasker, Tarrasch und Tschigorin vier mögliche Kandidaten für den Schachthron, die 1895 um den Sieger des Turniers von Hastings, Harry N. Pillsbury, ergänzt wurden, was schachhistorisch den Beginn der Pentarchie bedeutete. In der Folge jagte ein Superturnier das nächste, denn die Schachbegeisterung war durch diese bislang unbekannte Fülle an kongenialen Ausnahmegestalten weltweit sprunghaft angestiegen, auch wenn es den Veranstaltern kaum gelang, die genannten Fünf allesamt zur Teilnahme zu überreden. 1895/96 hatte sich Emanuel Lasker in St. Petersburg vor Pillsbury und Steinitz den Turniersieg gesichert, der auch in Nürnberg 1896 vor Maroczy, Pillsbury und Tarrasch triumphieren konnte. Danach war, nur ein Jahr nach dem Sensationssieg des nur 22jährigen Pillsbury im englischen Hastings, mit [Hier befand sich ein Link auf die Seite "https://www.schachburg.de/threads/1892-Rudolf-Charousek-ein-Komet-in-der-Schachgeschichte". Der Link wurde vom Benutzer mit dem Titel "Rudolf Charousek" versehen. Aus urheberrechtlichen Gründen ist es möglicherweise erforderlich, diesen Hinweis beizubehalten, da manche Benutzer die Quelle ihrer Zitate von anderen Internetseiten so gekennzeichnet haben. Dieser Hinweis wurde automatisch an Stelle des früheren Links platziert. Falls der Link unangemessen oder ohnehin unerreichbar geworden ist, kann die im Impressum genannte Adresse mit einer Bitte um Entfernung kontaktiert werden.] ein weiterer junger Spieler wie ein Komet in die Schachwelt eingeschlagen. Charousek, der noch einmal ein knappes Jahr jünger war als Pillsbury, sicherte sich in Budapest 1896 zusammen mit Tschigorin und vor Pillsbury den Turniersieg, und Emanuel Lasker, der dem jungen Ungarn bereits in Nürnberg unterlag, sah in ihm bereits seinen zukünftigen Gegner eines Weltmeisterschaftskampfes (vgl. Schicksalsmomente der Schachgeschichte, Ehn/Kaster, Humboldt-Verlag 2014, S. 126). Charousek gewann daraufhin das Turnier in Berlin 1897 und wurde selbstverständlich nach Wien eingeladen, wo er als Spieler der k. u. k. Monarchie um den Turniersieg kämpfen sollte. Das Komitee in Wien hatte alles dafür getan, möglichst die gesamte Elite der Schachwelt für eine Teilnahme zu gewinnen. Der Preisfond war üppig, und auf den Sieger entfielen 6000 Kronen, was damals eine Menge Geld war, während dem Zweitplazierten immerhin noch 4400 Kronen zugute kamen. Darüberhinaus winkten den Spielern neben dem festlichen Rahmen Teilnahmen an Banketten, die Aufmerksamkeit in einem schachbegeisterten Land, und mit zwei Stunden für 40 Züge und eine weitere Stunde für jeweils 15 Züge sollten sie auch über ausreichend Bedenkzeit für ihre Partien verfügen.Am Ende hatte es das Komitee geschafft, die gewünschten Spieler für das Turnier zu gewinnen. Es gab aber Ausnahmen, denn mit Emanuel Lasker und Rudolf Charousek fehlten zwei Spieler aus dem Kreise der Besten aus unterschiedlichen Gründen. Der Weltmeister hatte seine Absage mit der hohen Spieleranzahl begründet, für ihn liege das [URL="http://www.chessgames.com/perl/chess.pl?tid=79312"]Limit des Erträglichen[/URL] bei sechzehn Teilnehmern. Es ist aber durchaus nicht unwahrscheinlich, daß dieser Grund nur vorgeschoben war, denn wie später Aljechin und Capablanca sollten sich Lasker und Tarrasch über eine sehr lange Zeit bei Turnieren gegenseitig boykottieren. Nürnberg 1896 war so das letzte Turnier bis St. Petersburg 1914 gewesen, an denen die beiden Rivalen auf und neben dem Schachbrett ein Turnier gemeinsam bestritten hatten. Das Schachgenie Rudolf Charousek hingegen machte gesundheitliche Gründe (ebd.) geltend. Er hatte sich in diesem Jahr mit dem bösartigen Tuberkulose-Virus infiziert, dem er in nicht einmal zwei Jahren erliegen sollte. Das bedeutete gleichzeitig das jähe Ende einer so hoffnungsvoll gestarteten Karriere; der aus bettelarmen Hause stammende Charousek galt als Schachgenie, dessen Partien von den Schachfreunden wegen ihres Ideenreichtums geliebt wurden. Er wäre ein würdiger Repräsentant einer schöpferisch ausgerichteten Schachschule geworden, die von Spielern wie Tschigorin, Aljechin, Keres, Bronstein, Geller, Kasparov und Topalov bis heute geprägt wird.Harry Nelson Pillsbury hatte mit ähnlichen Problemen wie Rudolf Charousek zu kämpfen. Gegen ihn habe sich das Schicksal in Form der Syphilis verschworen, die er sich beim Turnier in St. Petersburg 1895/96 zugezogen habe. Bei diesem Turnier, in dem ausschließlich die Pentarchie geladen war und nach der Absage Tarraschs mit nun vier Teilnehmern in sechs Durchgängen absolviert wurde, hatte Pillsbury nach der ersten Halbzeit mit 6,5/9 Punkten mit einem Punkt vor Lasker in Führung gelegen und schien unaufhaltsam seinem zweiten großen Turniersieg in Serie zuzueilen, brach aber zu Beginn der zweiten Turnierhälfte völlig ein. Garri Kasparov hatte die Geschehnisse in St. Petersburg so beschrieben:[QUOTE]Nach der ersten Hälfte des Turniers wurde eine 5tägige Pause eingelegt. Die Teilnehmer trafen sich am Silvesterabend zu einem Bankett, und wie einige Jahre zuvor bereits Tarrasch erfahren durfte, kannte die Gastfreundschaft der russischen Veranstalter keine Grenzen, Tschigorin erschien an diesem Abend übrigens nicht. Als leitender Direktor der Petersburger Schachvereinigung war er mit verwaltungstechnischen Aufgaben hinsichtlich des Turniers beschäftigt. [...(Es folgt eine Analyse der Partie Pillsbury gegen Lasker nach den Halbzeitfestivitäten)]Hier ereignete sich tatsächlich ein menschliches Drama von schachhistorischer Bedeutung. An diesem Tag entschied sich die Schachgöttin Caissa für Lasker, und wie wir heute wissen, traf sie die richtige Wahl. Ihre harte Entscheidung sollte jedoch das Schicksal beider Spieler nachhaltig beeinflussen. Pillsbury ereilte nach dieser Niederlage ein wahres Fiasko, denn er verlor die folgenden fünf (!) Partien. Damit rückte für ihn selbst der zweite Platz außer Reichweite. Einige Schachexperten sind zudem davon überzeugt, dass bereits zu diesem Zeitpunkt die ersten Anzeichen jener Krankheit auftraten, an der Pillsbury zehn Jahre später sterben sollte. Der amerikanische Schachspieler hatte angeblich am Vorabend dieser schicksalhaften Partie gegen Lasker die niederschmetternde Diagnose erhalten und stand deshalb verständlicherweise unter Schock. Er klagte immer wieder über quälende Kopfschmerzen, Schlaflosigkeit und Angstzustände, weshalb einige Partien sogar verschoben werden mußten. [...]Niemand kann erahnen, wie lange Pillsbury noch mit diesem tragischen Tag in St. Petersburg haderte, wie oft er noch an die verpassten Chancen dachte. Pillsbury konnte sich von diesem Schlag nie mehr erholen. Er, der kometenhaft in die Weltspitze aufgestiegen war, stürzte nun in nur wenigen Jahren aus dem Schacholymp ab, während Lasker unaufhaltsam zu neuen Gipfeln voranschritt. [/QUOTE]Garri Kasparov, Meine großen Vorkämpfer, Band 1, Edition Olms 2006, S. 142-146Diese Darstellung Kasparovs wird allerdings von Scott Thomson [URL="http://www.chessgames.com/perl/chesscollection?cid=1012638"]bestritten[/URL] (in diesem Zusammenhang möchte ich bemerken, daß die Angaben Kasparovs sich nach Erscheinen seiner Vorkämpferserie sich nicht immer als valide herausgestellt haben). Der Schachjournalist, der für die bekannte Schachseite Chessgames arbeitet, die heute für Turnierpartien aus allen Epochen konkurrenzlos die erste Adresse ist, begründet, warum diese Annahme trotz eines augenfälligen Unwohlseins Pillsburys in der zweiten Turnierhälfte für ihn nicht überzeugend ist:[QUOTE]Many explanations have been offered for Pillsburys collapse. It has been said that he caught syphilis from a St. Petersburg prostitute, which caused his poor performance in the second half; it has even been suggested that he received the diagnosis of the disease on the day of his dramatic fourth-cycle encounter with Lasker. (OMGP I, p. 135.) These stories dont seem credible to me. If Pillsbury was infected with syphilis in St. Petersburg, he probably would not have suffered any serious symptoms there. It is also unlikely that he would have been diagnosed as having the disease immediately after catching it; no blood test for syphilis existed in 1895-96. On the other hand, there is no question that Pillsbury was unwell during the second half of the tournament; many of his games had to be postponed. has uncovered an article from the Brooklyn Eagle in January 1896 saying that Pillsbury was still suffering from "influenza" that had afflicted him during the second half of the tournament. The symptoms of second-stage syphilis are apparently not that different from severe flu; if Pillsbury had caught syphilis before the St. Petersburg tournament, the second stage might have manifested itself during the tournament. Alternatively, of course, he could have just caught the flu. [/QUOTE]Milan Vidmar hatte diese Zeit als „ein gewaltiges Ringen um die Weltmeisterschaft“ beschrieben und auch die in dieser Zeit laufenden Turniere in diesem Zusammenhang betrachtet. Durch Laskers Sieg in St. Petersburg und Nürnberg habe dieser sich nun „mit sehr überzeugender Kraft“ „vor die Schachwelt mit gutem Recht als der legale neue Schachkaiser“ (Milan Vidmar, Goldene Schachzeiten, Gruyter&Co, Berlin 1961, S. 17) dargestellt, was insbesondere für Tarrasch ein ernster Warnschuß gewesen war, dem nun die Argumente ausgingen, Laskers Sieg gegen Steinitz als bloßes Produkt Steinitzscher Alterserscheinungen abzutun. Unter diesen Hintergrund kann seine Teilnahme beim Wiener Kaiserjubiläumsturnier gewertet werden, um der Schachwelt gegenüber zu demonstrieren, daß er, der „Turnierweltmeister“, nach wie vor der würdigste Kandidat für die Weltmeisterschaft sei.Tatsächlich konnte Tarrasch in Wien durch seinen Sieg mit 27,5/36 Punkten im [Hier befand sich ein Link auf die Seite "https://en.wikipedia.org/wiki/Vienna_1898_chess_tournament". Der Link wurde vom Benutzer mit dem Titel "Gesamtklassement" versehen. Aus urheberrechtlichen Gründen ist es möglicherweise erforderlich, diesen Hinweis beizubehalten, da manche Benutzer die Quelle ihrer Zitate von anderen Internetseiten so gekennzeichnet haben. Dieser Hinweis wurde automatisch an Stelle des früheren Links platziert. Falls der Link unangemessen oder ohnehin unerreichbar geworden ist, kann die im Impressum genannte Adresse mit einer Bitte um Entfernung kontaktiert werden.], wonach er in einem Stickkampf den punktgleichen Pillsbury mit 2,5-1,5 Punkten auf den zweiten Platz verwies, viel an Reputation zurückerobern, der nach Wien 1898 nach Kasparov „wieder als der heißeste Anwärter auf den Weltmeistertitel“ (Kasparov, S. 151) galt. Übrigens spricht das ebenfalls starke Abschneiden Pillsburys bei dieser alle Kräfte beanspruchenden Marathonveranstaltung, der zwar nach seinem fulminanten Auftreten in Hastings 1895 kein Turnier mehr allein für sich entscheiden konnte, gegen die Annahme Kasparovs, Pillsbury sei seit St. Petersburg 1895/96 mit dem Syphiliserreger infiziert worden, der ihn fortan zunehmend, bis hin zum Tod zehneinhalb Jahre später, beeinträchtigen sollte. Wikipedia hatte mit [Hier befand sich ein Link auf die Seite "https://de.wikipedia.org/wiki/Harry_Nelson_Pillsbury". Der Link wurde vom Benutzer mit dem Titel "Quellenverweis" versehen. Aus urheberrechtlichen Gründen ist es möglicherweise erforderlich, diesen Hinweis beizubehalten, da manche Benutzer die Quelle ihrer Zitate von anderen Internetseiten so gekennzeichnet haben. Dieser Hinweis wurde automatisch an Stelle des früheren Links platziert. Falls der Link unangemessen oder ohnehin unerreichbar geworden ist, kann die im Impressum genannte Adresse mit einer Bitte um Entfernung kontaktiert werden.] auf Kasparov dessen Darstellungen übernommen, allerdings nicht als wahr vorausgesetzt, sondern als „Gerüchte“ im Raum stehen lassen. Tatsächlich hatte Pillsbury auch nach Hastings 1895 immer wieder durch geteilte Turniersiege wie München 1900 oder starke zweite Plätze wie London 1899 auf sich aufmerksam gemacht und nahezu bei jedem starkbesetzten internationalen Turnier um die Spitze gerungen, womit er, aber auch durch seine legendären Blindsimultanveranstaltungen, Energieleistungen gezeigt hatte, die nicht unbedingt in das Kräftepotential von Moribunden passen. Was von ihm als besonderes Element bleibt und womit er die Schachentwicklung angekurbelt hatte, sind seine zahlreichen [Hier befand sich ein Link auf die Seite "https://www.schachburg.de/threads/1406-Angriffsverfahren-in-geschlossenen-Strukturen-(Vorbild-Pillsbury)?highlight=Pillsbury". Der Link wurde vom Benutzer mit dem Titel "Angriffsverfahren" versehen. Aus urheberrechtlichen Gründen ist es möglicherweise erforderlich, diesen Hinweis beizubehalten, da manche Benutzer die Quelle ihrer Zitate von anderen Internetseiten so gekennzeichnet haben. Dieser Hinweis wurde automatisch an Stelle des früheren Links platziert. Falls der Link unangemessen oder ohnehin unerreichbar geworden ist, kann die im Impressum genannte Adresse mit einer Bitte um Entfernung kontaktiert werden.] in zuvor eher als positionell behandelten geschlossenen Strukturen. Während die Schachwelt nach dem Triumph Tarraschs im Ringen um die Weltmeisterschaft nun greifbare Resultate erwartete, kam es diesbezüglich aber nur zu retardierenden Momenten. Lasker nahm Tarraschs Sieg in Wien 1898 zur Kenntnis und antwortete mit seinen legendären Titelgewinnen in London 1899 und Paris 1900, bis er mit dem Schach bis Cambridge Springs 1904 pausierte, um sich anderen geistigen Beschäftigungen zuzuwenden. Aber auch Tarrasch nahm eine vierjährige Auszeit und fand sich danach in Monte Carlo 1902 auf dem 5. Platz und mit 3,5 Punkten Abstand hinter dem Turniersieger Geza Maroczy wieder. Der Weltmeister selbst geruhte erst elf Jahre nach seiner Pflichtrevanche gegen Steinitz, seinen WM-Titel aufs Spiel zu setzen, und schlug Frank Marshall vernichtend mit 8:0 bei 7 Remisen. Als es ein Jahr später endlich zum Kampf zwischen Lasker und Tarrasch in Düsseldorf und München kam, hatte Siegbert Tarrasch längst seine Ausnahmestellung, für die paradigmatisch sein inoffizieller Titel des Turnierweltmeisters stand, eingebüßt. Er war nur noch einer von vielen starken Spielern hinter Lasker und verlor auch dementsprechend klar mit 3:8. Seine Herausforderung an Lasker Jahre zuvor hatte er mit dem Hinweis zurückgezogen, er habe sich beim Eislaufen am Fuß schwer verletzt, was bei Zeitgenossen Zweifel erweckte, da man Schach nicht mit den Füßen, sondern mit dem Kopf spielt. Siegbert Tarrasch hatte das wissenschaftliche Erbe des Revolutionärs Wilhelm Steinitz aufgegriffen, verfeinert, um das Element der Mobilität bereichert und in Deutschland unters Volk gebracht. Nicht nur Lasker, sondern auch Tarrasch, den bereits Michail Tschigorin als „weit gefährlicheren Gegner“ als Steinitz (Isaac Lipnitzky, Fragen der modernen Schachtheorie, Quality-Chess 2008, S. 77) eingeschätzt hatte, bedeutete schachlich im Vergleich zu Steinitz eine evolutionäre Weiterentwicklung. Der österreichische Schachhistoriker Jacques Hannak faßte diese Weiterentwicklung Tarraschs, der nach den Worten Bruns´ nicht nur praeceptor germaniae, sondern auch praeceptor mundi gewesen war, wie folgt zusammen:[QUOTE]Er leitete den dunklen, gefährlichen Strom der Steinitzschen Schachphilosophie in sorgfältig gebaute Dämme, machte aus dem Wildwasser der Steinitzschen Gedanken eine mustergültige Flußregulierung und gab der Welt einen „gebändigten“, „geläuterten“ Steinitz, einen lehrbaren Steinitz, ein Schachspiel, in dem alles so klappte wie im deutschen Exerzierreglement. So erwarb sich Tarrasch das Verdienst, Steinitz popularisiert, Steinitz für die großen Massen faßbar gemacht, als jahrzehntelanger Lehrer, Bücherschreiber, Partieglossator, Vortragender und praktischer Spieler dem modernen Schach zum Durchbruch verholfen, die Schachmechanik mit unvergleichlicher Klarheit und Anschaulichkeit zu einem Lehrgegenstand gemacht zu haben und Gründer und Führer jener Schule gewesen zu sein, die dem Schach die größten Meister aller Zeiten und eine Hochblüte wie nie zuvor beschert hat.[/QUOTE]Zit. nach Dr. Edmund Bruns, Das Schachspiel als Phänomen der Kulturgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts, LIT-Verlag 2003, S. 45In diesem Lob steckt auch Tadel, denn dieser Dogmatismus, womöglich auf ewig mit dem Namen Tarrasch verbunden, machte Tarrasch anfällig für abrupte Veränderungen auf dem Schachbrett, also für Veränderung, die sich seinem sorgsam einkalkulierten Zugriff entzogen. In dieser Hinsicht ist es interessant, daß für einen später ähnlich kalkulierenden Menschen, nämlich für Michail Botwinnik, sowohl Tal als auch Petrosjan, also zwei Spieler, die in ihren ausgeprägten Extrema gewissermaßen als Antithese zueinander fungierten, schwer zu spielen waren (vgl. Treppner/Pfleger, Brett vorm Kopf, Leben und Züge der Schachweltmeister, Beck´sche Reihe, München 1994, S. 154), war deren verbindendes Element doch eine jeweils ausgeprägte schachliche Auffassung, die sich mit den hergebrachten klassisch gelehrten Regeln biß und damit für Botwinnik schwer zu fassen war. Genau dies hatte Lasker bei Tarrasch erkannt und darauf sein Erfolgsrezept gegen ihn für die Schach-WM 1908 aufgebaut. Emanuel Lasker hatte während des Umzugs der Weltmeisterschaft von Düsseldorf nach München, die er zu diesem Zeitpunkt mit 3:1 führte, seinen Generalplan veröffentlicht und damit übrigens en passant den [URL="http://www.karlonline.org/111_2.htm"]Standpunkt[/URL] Dr. Robert Hübners erschüttert, der beweisen wollte, daß das psychologische Element in Laskers Stil eine unzulässige Zuschreibung gewesen sei und Laskers psychologischer Stil, mit dem dieser immerhin den Gegner mit seinen eigenen Stärken und Schwächen, Vorlieben und Abneigungen, in seine eigenen zugtechnischen Überlegungen eingeführt hatte, in den Bereich der Legendenbildung gehöre. Laskers Zwischenbilanz nach den Spielen in Düsseldorf lautet wie folgt:[QUOTE]Wie zwei Heere vorerst Fühlung miteinander nehmen, um hier die Stärke, dort die Schwäche des Feindes tastend zu erkunden, und sich dann erst der Schlachtenplan wuchtig enthüllt, so erkunden die Matchgegner ihre psychologischen Stärken und Schwächen, bevor sie zielbewusst ihre nachhaltigen Attacken einsetzen. Beinahe unbewusst, vielleicht sogar ungewollt, macht jeder der Spieler sich von der Stärke des anderen ein plastisches Bild. Diese Vorarbeit ist notwendig, denn der Begriff der Spielstärke ist ein recht kompliziertes Ding. Wie sich einer im Glück und Unglück verhält, wie in einfachen und verzwickten Verhältnissen, wie in Bedrängnis oder in bequemen Lagen, wie, wenn die Hoffnung rege wird und wie, wenn sie weicht - alles dies macht die Spielstärke aus. Sie ist nicht bloß ein messbares Ding wie etwa die Temperatur, sondern aus mehreren Dingen zusammengesetzt. Und daher bedarf [es der] Erkundung der psychologischen Stärkeverhältnisse einer Reihe von Partien, in denen die Gegner sich in den verschiedensten Lagen gegenüberstehen. [...] [/QUOTE]Kasparov, S. 180 Diese psychologische Spielweise Laskers macht für Edmund Bruns den Kern dessen aus, warum sich Lasker auch gegen Tarrasch als überlegen erweisen sollte:[QUOTE]Lasker proklamierte nicht nur den einen besten Zug in einer Stellung und dem Schachbrett, sondern machte die Stärke eines Zuges von dem Spielstil des Gegners abhängig. Er praktizierte einen relativen Schachtil. Der Gegner spielte bei Tarraschs Betrachtung des Schachs keine Rolle, für Lasker hingegen war der Gegner das Entscheidende. Emanuel Lasker war der erste Schachspieler, der die sich entwickelnde Psychologie systematisch auf das Schachspiel übertrug.[/QUOTE]Bruns, S. 51 So stößt auch Milan Vidmar damit, daß er Laskers Beitrag in der Schachgeschichte als höher einstuft als die seines älteren Rivalen, in dasselbe Horn; für ihn ist es vor allem das Ingeniöse, aus sich selbst heraus Schaffende, nicht Erlernbare, was Lasker von Tarrasch abhebt:[QUOTE]Da war vor allem der alte E. Lasker, der Mann, der unglaubliche Turniererfolge durch lange Jahrzehnte gesammelt hat, der unglaubliche Spieler, bei dem man nie wußte, woran man eigentlich ist. Man konnte z. B. von seinem großen Rivalen, S. Tarrasch, sehr viel lernen, weil er ein ganzes System der Mittelspielführung aufgebaut hat. Von Lasker konnte man nie etwas lernen. Der Grund ist sehr einfach: man kann Einfälle nicht lernen und erlernen, und Laskers Spiel war so voll von Einfällen, so voll von waghalsigen Unternehmungen, denen man es ansah, daß sie mit der eigenen überlegenen Kraft rechnen, daß noch bis heute kaum irgend jemand seine großen Partien übertroffen hat. [/QUOTE]Vidmar, S. 1-3 Bezogen auf die Entwicklungen im Weltschach nach Tarraschs „Donnerschlag“ (Vidmar, S. 18) in Wien 1898 sprach ich bereits von retardierenden Momenten. Denn in der Tat setzte nach dem Sturm in der Zeit der Pentarchie eine langanhaltende Flaute ein, was viele Ursachen hatte. Die beiden jeweils so hoffnungsvoll in die Schachwelt als Kometen einschlagenden jungen Genies Pillsbury und Charousek wurden früh durch Siphylis und Tuberkulose gefällt, Lasker und Tarrasch, der, was man nie vergessen darf, trotz seiner großen Spielstärke ein lupenreiner Amateur gewesen war, setzten jeweils lange Jahre mit dem Schach aus, und daß sowohl von Steinitz als auch von Tschigorin in dieser Zeit nicht mehr viel kam, ist bekannt. So hatte Emanuel Lasker vor allem in der Zeit, als er sich durch eigene internationale Erfolge fest in der Weltspitze etabliert hatte, im Prinzip keine wirklichen Gegner mehr, und als er nach 1907 endlich begann, seinen Titel zu verteidigen, gab es niemanden mehr, vor dem er sich, Schlechters Unentschieden zum Trotz, wirklich fürchten mußte. Laskers Titelgewinn gegen Steinitz begann in einer schachlichen Hochzeit und endete in einer weiteren Hochzeit, die dem Weltschach neue Impulse gab, als mit Rubinstein und Capablanca Lasker endlich würdige Gegner zuwuchsen, die eigene Ansprüche erheben konnten, und die Schachwelt mit neuen Theoretikern wie Nimzowitsch und Reti bereichert wurde, die nach der Etablierung der Steinitzschen Lehren nach neuen Wegen suchten, das Schach weiterzuentwickeln, und welche die Hypermoderne Schachschule begründeten. 1. Schönheitspreis:[Event "Vienna"][Site "Vienna AUT"][Date "1898.06.06"][EventDate "1898.??.??"][Round "4"][Result "0-1"][White "Alexander Halprin"][Black "Harry Nelson Pillsbury"][ECO "D04"][WhiteElo "?"][BlackElo "?"][PlyCount "76"]1. d4 d5 2. Nf3 Nf6 3. e3 c5 4. b3 cxd4 5. exd4 Nc6 6. c4 Bg47. Be2 e6 8. O-O dxc4 9. bxc4 Rc8 10. Bb2 Be7 11. Nbd2 O-O12. Qb3 Qc7 13. Rac1 Rfd8 14. Qe3 Bd6 15. g3 Qa5 16. Bd3 Qh517. Ng5 e5 18. d5 Nd4 19. h4 h6 20. Nge4 Nxe4 21. Nxe4 Nf3+22. Kg2 Bb8 23. Rh1 f5 24. Nc3 e4 25. Be2 Re8 26. Nb5 f427. Qa3 e3 28. d6 Ne5 29. Bxe5 f3+ 30. Kh2 Rxe5 31. Bd3 Bd732. fxe3 Qg4 33. Bf1 Rh5 34. Rc2 Rxb5 35.Rd2 Re5 36.Qb2 Rxe337.Qxb7 Bc6 38.Qb2 f2 0-12. Schönheitspreis:[Event "Vienna"][Site "Vienna AUT"][Date "1898.07.02"][EventDate "1898.??.??"][Round "22"][Result "1-0"][White "Paul Lipke"][Black "David Janowski"][ECO "C67"][WhiteElo "?"][BlackElo "?"][PlyCount "63"]1.e4 e5 2.Nf3 Nc6 3.Bb5 Nf6 4.O-O Nxe4 5.Re1 Nd6 6.Nxe5 Be77.Bd3 O-O 8.Nc3 Nxe5 9.Rxe5 f5 10.Nd5 Bf6 11.Re1 b6 12.Be2 c613.Nxf6+ Qxf6 14.d4 f4 15.Bd3 Nf7 16.Re4 g5 17.h4 h6 18.hxg5hxg5 19.Qh5 Rd8 20.Bxf4 gxf4 21.Rae1 Qh6 22.Qg4+ Qg5 23.Qf3 d524.Rxf4 Nh6 25.Re5 Qg7 26.Qh5 Bf5 27.Bxf5 Rf8 28.Rg4 Nxg429.Be6+ Rf7 30.Rg5 Kf8 31.Rxg7 Rxg7 32.Qh8+ 1-03. Schönheitspreis:[Event "Vienna"][Site "Vienna AUT"][Date "1898.07.16"][EventDate "1898.??.??"][Round "32"][Result "1-0"][White "Georg Marco"][Black "Amos Burn"][ECO "C14"][WhiteElo "?"][BlackElo "?"][PlyCount "55"]1.e4 e6 2.d4 d5 3.Nc3 Nf6 4.Bg5 Be7 5.e5 Nfd7 6.Bxe7 Qxe77.Nb5 Qd8 8.c3 a6 9.Na3 c5 10.f4 Nc6 11.Nf3 b5 12.Nc2 c413.Be2 O-O 14.O-O Nb6 15.Qd2 a5 16.Ne3 Ra7 17.Rae1 f6 18.Bd1Bd7 19.Bc2 Be8 20.exf6 gxf6 21.Ng4 Qc8 22.f5 exf5 23.Bxf5 Qd824.Qh6 Rg7 25.Ng5 Bg6 26.Ne6 Qe7 27.Nxf8 Qxf8 28.Nxf6+ 1-0

Beitrag von blunder1

Ein weiterer sehr guter Beitrag, der weit über das Turnier Wien 1898 hinausgeht.Dennoch erlaube ich mir, ein paar Gedanken hinzuzufügen:[QUOTE=Kiffing;25822][...]was schachhistorisch den Beginn der Pentarchie bedeutete.[/QUOTE]Die damalige Schachwelt sah es so, doch glaube ich, dass es alleine schon vom Alter her besonders für Steinitz (*1836), aber auch für Tschigorin (*1850) von Jahr zu Jahr schwieriger, ja unmöglich wurde, gegen Lasker (*1868) zu bestehen, s. der WM-Rückkampf Lasker-Steinitz, Moskau 1896/97, der +10, =5, -2 für Lasker endete oder das -7-Gesamtergebnis, das Tschigorin gegen den Weltmeister erzielte. Dazu kommt Laskers Spielstärke; Jeff Sonas (Chessmetrics) glaubt, dass eine beträchtliche Menge statistischer Daten vorliegt, um Lasker für den dominantesten Spieler der Schachgeschichte zu halten: [url]http://en.chessbase.com/post/the-gr[/url]... [QUOTE=Kiffing;25822]In der Folge jagte ein Superturnier das nächste,[...][/QUOTE]Für damalige Verhältnisse hatte es einen deutlichen Zuwachs an Spitzenturnieren gegeben (Hastings 1895 war das erste Turnier, bei dem seit London 1883 die gesamte damalige Weltelite antrat), für heutige gab es nur wenige Topereignisse und die besten Profispieler tingelten oft durchs Land, um mit Simultanvorstellungen und Vorträgen ihren Lebensunterhalt zu verdienen.[QUOTE=Kiffing;25822]Es ist aber durchaus nicht unwahrscheinlich, daß dieser Grund nur vorgeschoben war, denn wie später Aljechin und Capablanca sollten sich Lasker und Tarrasch über eine sehr lange Zeit bei Turnieren gegenseitig boykottieren.[/QUOTE]Das 8. Kapitel (The Battle Lasker vs. Tarrasch) in Emanuel Lasker Volume 1 (2018), das von GM Tischbierek verfasst worden ist, beschreibt sehr gut die lange Rivalität.Ich weiβ bis heute nicht, ob man in dem Fall Lasker-Tarrasch wirklich von einem gegenseitigen Boykott reden kann (Ausweichen? Angst? Andere Gründe?).Was ich mit Sicherheit weiβ: Zur Rivalität Capablanca-Aljechin habe ich meinen Standpunkt bereits in meinem Thema War Aljechin ein dominanter Weltmeister? dargelegt. Dabei handelte es sich in meinen Augen nicht um einen gegenseitigen Boykott, sondern Aljechin wich Capablanca nach dem WM-Wettkampf 1927 - auch in Turnieren - 9 Jahre lang aus, während der Kubaner vor allem auf einen zweiten Wettkampf drängte.Hervorragend finde ich deine ausgewogene und detaillierte Beschreibung der gesundheitlichen Probleme Charouseks und Pillsburys, die zwei sehr vielversprechende Karrieren frühzeitig beendeten.[QUOTE=Kiffing;25822]In diesem Lob steckt auch Tadel, denn dieser Dogmatismus, womöglich auf ewig mit dem Namen Tarrasch verbunden,[...][/QUOTE]Ich glaube, dass Du in deinem Thema Wer war dogmatischer? Steinitz oder Tarrasch? die Sache gut auf den Punkt bringst: Als Lehrer klang Tarrasch oft dogmatisch, als Spieler war er flexibler. Allerdings hatte er, wie später Euwe, Tendenz, Schach formalisierend anzugehen (s. mein Thema Modernes Schach ist konkret...), während Lasker moderner, konkreter an Schach heranging und sich nicht in ein formalisierendes, einschränkendes Korsett zwängen lieβ; er war seiner Zeit voraus.Bei Botwinnik (*1911) muss man auch seinem Alter Rechnung tragen, als er gegen Tal 1960 und gegen Petrosjan 1963 verlor; er hatte seinen Zenit überschritten.Allerdings stimme ich Dir grundsätzlich zu, dass Botwinnik gegen Spieler wie Tal oder Petrosjan, die ein Schach spielten, das nicht Botwinniks schachlichem Kredo entsprach, anfälliger war.[QUOTE=Kiffing;25822]Diese psychologische Spielweise Laskers[...][/QUOTE]Wie in meinem o.g. Thema erwähnt, hat seit ca. 15 Jahren eine Neubewertung von Laskers Schach stattgefunden.Was heiβt “psychologisches Spiel”? Wie definiert man es?Mein Standpunkt: Wenn ein universeller Spieler gegen einen einseitigeren, gefürchteten Angriffsspieler möglichst schnell die Damen tauscht oder Karpow schreibt, dass er gegen einen Tal die Stellung lieber ruhig hält, gegen einen Petrosjan dagegen schärferes Spiel bevorzugt, so ist das in meinen Augen keine tiefschürfende Psychologie, sondern gesunde Wettkampftaktik.Aber das ist auch Ermessens-/Definitionssache.

Beitrag von Kiffing

Vielen Dank für die Auseinandersetzung mit dem Thema. Wegen des "psychologischen Stils" von Lasker, so denke ich auch, dass dies Ermessenssache ist. Ich verwende den Begriff auch nicht pejorativ, wie dies Tarrasch und andere getan haben, denn für mich ist es durchaus ein Zeichen von Stärke, nicht nur seine eigene Möglichkeiten auf dem Schachbrett zu erkennen, sondern auch den Gegner mit seinen Eigenheiten, Gewohnheiten, Stärken und Schwächen in seine Überlegungen einzubeziehen, sodass Lasker für jeden Gegner ein eigenes Rezept brauen konnte. Das hat vor ihm niemand in diesen Ausmaßen gekonnt. An anderer Stelle schrieb ich einmal, dass Lasker das Schach weiterentwickelte, indem er die Suche nach dem objektiv besten Zug um den relativ besten Zug erweiterte, da dieser in der Praxis noch größere Erfolgsaussichten beinhaltet. In diesem Sinne war Lasker ganz ein Kind seiner Zeit, in der die Relativitätstheorie das mechanische Weltbild Newtons, auch wenn dies im Zeitalter der Wissenschaft selbst eine enorme Weiterentwicklung bedeutete, in ihren Grundfesten erschütterte. Lasker selbst hatte sich für die Relativitätstheorie begeistert und sich mit seinem Freund Albert Einstein dazu [Hier befand sich ein Link auf die Seite "https://www.schachburg.de/threads/1795-Zur-Freundschaft-Einsteins-und-Laskers-und-zur-quot-Tragik-quot-des-letzteren?highlight=Einstein". Der Link wurde vom Benutzer mit dem Titel "theoretische Dispute" versehen. Aus urheberrechtlichen Gründen ist es möglicherweise erforderlich, diesen Hinweis beizubehalten, da manche Benutzer die Quelle ihrer Zitate von anderen Internetseiten so gekennzeichnet haben. Dieser Hinweis wurde automatisch an Stelle des früheren Links platziert. Falls der Link unangemessen oder ohnehin unerreichbar geworden ist, kann die im Impressum genannte Adresse mit einer Bitte um Entfernung kontaktiert werden.] geliefert. Für Edmund Bruns war Lasker sogar jemand, der aus dem Monolog im Schach einen Dialog herstellte. Insgesamt geht Laskers bewusste Spielen auf die Schwächen seiner Gegner meines Erachtens weit über "gesunde Wettkampftaktik" hinaus. In diesem Sinne sehe ich Lasker als Vorreiter, der es vermocht hatte, die Schachpsychologie für das Schach zu öffnen. Ansonsten gehe ich mit dir konform, dass Lasker einen universellen Stil hatte. Dies wird auch seinem eigenen Anspruch als Universalgelehrter gerecht und bedeutete einen Vorteil gegenüber denjenigen, die sich im Schach zwar bestens auskennen, von der übrigen Welt aber nur wenig wissen. Der Nachteil ist natürlich der, dass dadurch Kapazitäten vom Schach abgezogen werden. So blieb Laskers Eröffnungsbehandlung zeit seines Lebens ein Schwachpunkt in seinem Spiel. Lasker war niemand, der den Gegner direkt am Anfang überrollen konnte. In dieser "Disziplin" war ihm Aljechin haushoch überlegen.

Beitrag von blunder1

Sicher, Lasker ging auf seinen Gegner ein, was er sich bei seinem universellen Stil auch erlauben konnte. Nach meinem Geschmack wird das "psychologische Spiel" manchmal überbewertet (Petrosjan hat sich schon so geäuβert) doch das ist, wie schon gesagt, Ermessenssache.Zu Eröffnungen hatte er in der Tat eine recht gleichgültige Herangehensweise; er verlieβ sich auf seine Stärke im Mittel- und Endspiel. Dies war eine seiner Schwächen (die andere, die wohl häufigste aller Schwächen, war ein Nachlassen in Gewinnstellungen). Er lehnte auch viele damalige theoretische Kenntnisse ab.Dennoch spielte er schon vor dem 1. Weltkrieg gelegentlich Sizilianisch (die Sweschnikow-Variante hieβ sogar ursprünglich Lasker-Pelikan-Variante), was damals selten vorkam, und legte ab den Zwanzigern mehr Wert auf Eröffnungen; dies geschah zwangsläufig, da die Theorie sich rasant weiterentwickelte. In New York 1924 spielte er auf Maroczys 1.e4 sogar ...Sf6.Allerdings hatte er schon in St. Petersburg 1914 gegen Marshall in ihrer ersten Endrundenpartie eine Art Alt-Indisch mit (späteren) deutlichen "Benoni-Zügen" gespielt, was Tarrasch in seinem Turnierbuch als "sezessionistischen" Stil bezeichnet.Wichtig war auch sein Zug 7...Lb6 gegen das Evans-Gambit und die Lasker-Variante des Damengambits. Selbst auf dem Gebiet der Eröffnungstheorie hat Lasker einiges hinterlassen.Aljechin war einer der besten Eröffnungstheoretiker seiner Zeit, doch für den bedeutendsten halte ich Rubinstein; seine Beiträge zur Eröffnungstheorie lassen sich kaum aufzählen: Spanisch, Spanisches Vierspringerspiel, Französisch, Damengambit (mit beiden Farben), Meraner Variante der Halbslawischen Verteidigung, Nimzowitsch-Indisch...

Beitrag von blunder1

Ein Zusatz zu Lasker: Sein Zug 3...Lf5 gegen die Reti-Eröffnung (1.Sf3 d5 2.c4 c6 3.b3) leitet ein System ein, das auch "Lasker-Variante" genannt wird.