Schachburg-Archiv: Benutzerthema „Erstarrter Glanz - zur Wiener Schachschule und ihrer Überwindung“

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Beitrag von Kiffing

[IMG][Hier befand sich ein Link auf die Seite "https://www.wien.gv.at/kultur/buehne/images/ballnacht1-gr.jpg". Der Link wurde vom Benutzer mit dem Titel "https://www.wien.gv.at/kultur/buehne/im ... ht1-gr.jpg" versehen. Aus urheberrechtlichen Gründen ist es möglicherweise erforderlich, diesen Hinweis beizubehalten, da manche Benutzer die Quelle ihrer Zitate von anderen Internetseiten so gekennzeichnet haben. Dieser Hinweis wurde automatisch an Stelle des früheren Links platziert. Falls der Link unangemessen oder ohnehin unerreichbar geworden ist, kann die im Impressum genannte Adresse mit einer Bitte um Entfernung kontaktiert werden.][/IMG]Der Vielvölkerstaat Österreich besitzt eine lange Schachtradition. Schon der Vertreter des aufgeklärten Absolutismus, Kaiser Joseph II., der die Reformen seiner Mutter Maria Theresia fortgeführt hatte, was sich in der Abschaffung der Leibeigenschaft 1781, in seinem Toleranzedikt, zahlreichen Auslassungen von Klöstern und großer Investitionen im Gesundheits- und Sozialwesen niederschlug, hatte das Schachspiel stark gefördert. Der Kaiser war sich dabei nicht zu schade, das Schach aktiv in der k. u. k. Armee zu propagieren. So berichtet ein Augenzeuge aus der Armee, als Kaiser Joseph II. wieder eine Wachparade abgenommen hatte: „[...]Zum öftern erklärte er daher auf der Wachparade: dass er keinen angenehmern Zeitvertreib kenne, als den, welchen das Schachspiel gewähre, und sämmtliche Herrn Officiere würden ihre Zeit ausser Dienst weit angenehmer hinbringen, wenn sie sich des Schachspiels, was gewissermassen für Soldaten bestimmt zu sein schiene, befleissigten. Mit welchem guten Erfolge diese Worte und sein eignes Beispiel begleitet waren, von dessen Wahrheit mich ein alter Husarenofficier, der selbst ein grosser Schachspieler war, versicherte, und den ich leicht nennen könnte, wenn die Bescheidenheit mir solches nicht untersagte, wird der sich leicht überzeugen können, welcher in Wien etwas bekannt ist, und von der leidenschaftlichen Liebe für das Schachspiel, womit ein Caiditz, Lascy, Laudon u.s.w. beseelt waren, gehört hat" (Andrä 1796, 32f) (Karl 2/2016, S. 41). Diese Propagierung des Schachspiels von höchster Stelle aus hatte zur Folge, daß sich vor allem in der Armee der Donaumonarchie das Schach einer großen Popularität erfreute, so daß in Österreich viele Theoretiker und spielstarke Meister wie z. B. Johann Baptist Allgeier und der auf dessen Werk aufbauende umfassend gebildete Wilhelm Matzka Berührungspunkte mit der Armee besaßen bzw. während ihrer aktiven schachlichen Laufbahn gleichzeitig in der Armee dienten. Eine solche Entwicklung war dabei nicht untypisch. Die Epoche der Aufklärung bedeutete für das Schach vor allem zwei große Umbrüche: zum einen wurde das Schach zunehmend von einem Spiel, das mehr oder weniger den Adeligen vorbehalten war, zu einem Volksspiel und dort wiederum vor allem zu einem Spiel des Bildungsbürgertums. Zum anderen, was mit der genannten Entwicklung korrespondierte, wandelte sich Schach von einem Spiel des Ingeniösen, von einem Spiel der Kunst zu einem Spiel der Aufklärung, wo im Mikrokosmos des Schachbretts rationale Gedanken entwickelt und überprüft werden konnten. Damit sei nicht gesagt, daß der künstlerische Charakter des Schachspiels keine Bedeutung mehr hatte. Die Verschiebung der Tendenzen war aber unübersehbar, und die in Österreich besonders starke Einverleibung des Schachspiels durch die Aufklärer hatte Rückwirkungen auf den Schachstil bzw. auf die Art und Herangehensweise, das Schachspiel zu behandeln, mit einem Wort: in den Zeiten Josephs II. wurden die Grundlagen für die spätere Wiener Schachschule gelegt.Wiewohl diese Entwicklung wie vieles in der Geschichte nicht ohne Umbrüche vonstatten ging - so gab es nach Philidor etwa die von Bruns so genannte „Napoleonische Reaktion“, die sich darin zeigte, daß gerade in Frankreich die Nachfolger Philidors, etwa Deschapelles oder La Bourdonnais, von dem Erbe Philidors nichts mehr wissen wollten und als Wegbereiter einer Gegenbewegung geradezu die Schlachterfolge Napoleons auf das Schachspiel reproduzierten, eine Entwicklung, die auch in anderen geistigen und künstlerischen Feldern als Gegenbewegung der Romantik ihren Ausdruck fand - verleugnete insbesondere Österreich nicht das Erbe Philidors. Dafür stand mit Johann Baptist Allgeier ein einflußreicher Schachhistoriker, -theoretiker und spielstarker Meister, der sich in seiner methodischen Auffassung des Schachspiels von Philidor inspirieren ließ und dafür den Beinamen des Österreichischen Philidors verpaßt bekam. Michael Ehn berichtet an dieser Stelle, daß Allgeier im Wiener Schachcafé „Zur Goldenen Krone“ eine zugkräftige Schar an Schachjüngern um sich sammeln konnte, die er in seinem Stil unterrichtete (ebd.). Als beste und bekannteste Schüler Allgeiers in Wien nennt Ehn Israel Henikstein, Anton Witthalm, Graf Johann Somssich, Baron Ladislaus Perenyi und Carl de Santo Vito (ebd. f.), die jeweils auf ihre Art einen Beitrag für das Schachleben in Österreich leisteten. Aber auch Ernst Falkbeer, Carl Hamppe, der als Schöpfer der Wiener Partie gilt, Adolf Schwarz, Adolf Albin und Berthold Englisch sollten als Nachfolger Allgeiers [Hier befand sich ein Link auf die Seite "https://de.chessbase.com/post/der-wiener-kaffeehautreit". Der Link wurde vom Benutzer mit dem Titel "genannt" versehen. Aus urheberrechtlichen Gründen ist es möglicherweise erforderlich, diesen Hinweis beizubehalten, da manche Benutzer die Quelle ihrer Zitate von anderen Internetseiten so gekennzeichnet haben. Dieser Hinweis wurde automatisch an Stelle des früheren Links platziert. Falls der Link unangemessen oder ohnehin unerreichbar geworden ist, kann die im Impressum genannte Adresse mit einer Bitte um Entfernung kontaktiert werden.] werden. Zudem verbreitete Allgeier seine Lehren durch seine auflagenstarken Schachbücher. Seine beiden Bände „Neue theoretisch-praktische Anweisung zum Schachspiel“ können, was ihre Bedeutung für das Aufleben und die Stärkung des Schachlebens in Österreich, aber auch in Deutschland angeht, gar nicht hoch genug gewürdigt werden. Zudem war es vermutlich Allgeier gewesen, der dem Eroberer Napoleon, der 1809 in Schönbrunn unbedingt gegen den legendären Schachtürken spielen wollte, empfindliche Niederlagen hinzufügte und den Empereur zu einem [Hier befand sich ein Link auf die Seite "https://www.schachburg.de/threads/2247-Napoleons-Gordischer-Knoten". Der Link wurde vom Benutzer mit dem Titel "Tobsuchtsanfall" versehen. Aus urheberrechtlichen Gründen ist es möglicherweise erforderlich, diesen Hinweis beizubehalten, da manche Benutzer die Quelle ihrer Zitate von anderen Internetseiten so gekennzeichnet haben. Dieser Hinweis wurde automatisch an Stelle des früheren Links platziert. Falls der Link unangemessen oder ohnehin unerreichbar geworden ist, kann die im Impressum genannte Adresse mit einer Bitte um Entfernung kontaktiert werden.] veranlaßte - inwieweit man dieses Ereignis als böses Omen für Napoleon selbst betrachten möchte, sei der eigenen Phantasie anvertraut. Die fruchtbarste Epoche des österreichischen Schachlebens gab es in den Dekaden bis zur Wende zum 20. Jahrhunderts bis zum Ersten Weltkrieg, der das Schachleben in Österreich niederdrückte und zum Hungertod von Carl Schlechter führte. Vor allem aber der Zweite Weltkrieg erwies sich für das österreichische Schachleben als verheerend, denn in der Zwischenkriegszeit konnten mit Rudolf Spielmann, Erich Eliskases, Ernst Grünfeld, Hans Kmoch und Josef Lokvenc noch starke österreichische Spieler und Theoretiker an das reichhaltige Schacherbe ihres Landes anknüpfen, was u. a. dazu führte, daß aus der fünfköpfigen großdeutschen Siegermannschaft der Schacholympiade 1939 in Buenos Aires mit Albert Becker und Erich Eliskases zwei Österreicher zu diesem Sieg beigetragen hatten. In seiner Glanzzeit hatte sich das Schachleben in Österreich zunehmend von den Kaffeehäusern in die Schachvereine verlagert, wo professioneller am Schach gearbeitet werden konnte. Doch behielt das schachliche Kaffeehausleben in Wien seine besondere Bedeutung. So wurde das Wiener Café Central wegen seines reichhaltigen Schachlebens im Volksmund „[Hier befand sich ein Link auf die Seite "https://www.chess.at/geschichte/gesheumo.htm". Der Link wurde vom Benutzer mit dem Titel "Schachhochschule" versehen. Aus urheberrechtlichen Gründen ist es möglicherweise erforderlich, diesen Hinweis beizubehalten, da manche Benutzer die Quelle ihrer Zitate von anderen Internetseiten so gekennzeichnet haben. Dieser Hinweis wurde automatisch an Stelle des früheren Links platziert. Falls der Link unangemessen oder ohnehin unerreichbar geworden ist, kann die im Impressum genannte Adresse mit einer Bitte um Entfernung kontaktiert werden.]“ genannt und kann in seiner schachlichen Bedeutung in eine Reihe mit dem Pariser Café de la Régence und dem Londoner Slaughter´s Coffee House gestellt werden. Der durch seine Schachnovelle bekanntgewordene Wiener Literat Stefan Zweig hat etwa gern im Café Central verkehrt. Der Wiener Schach-Club, der sich 1897 aus den Wiener Konkurrenzvereinen Wiener Schachgesellschaft, dem 1857 gegründeten und ältesten Schachverein Österreichs, und dem Neuen Wiener Schach-Club gebildet hatte, womit die Kräfte gebündelt werden konnten, war mit zeitweise 600 Mitgliedern der größte Schachverein der Welt. Zudem gab es mit Baron Albert von Rothschild, Leopold Trebitsch und Ignaz Kolisch drei finanzkräftige Förderer des Schachsports, die nicht nur das Schachleben im Innern fördern konnten, sondern durch ihre kräftigen Finanzhilfen auch internationale Spitzenturniere ermöglichten, die in der Liste der bedeutendsten Schachturniere in der ersten Reihe stehen und in ihren Hochzeiten regelmäßige Begleiter des internationalen Schachlebens gewesen waren. An dieser Stelle genannt seien Wien 1873, Wien 1882, Graz 1890, Wien 1896, Budapest 1896, Wien 1898 (das vielleicht größte Schachturnier aller Zeiten mit 19 Spielern und doppelrundiger Austragung), Wien 1899/1900, Wien 1903, Wien 1907 und Wien 1908. Aus Österreich kam mit Wilhelm Steinitz zudem der erste „offizielle“ Weltmeister der Schachgeschichte, der inoffiziell zudem seit seinem Londoner Sieg gegen Adolf Anderssen 1866 28 Jahre lang ununterbrochen als stärkster Spieler der Welt galt. Wie schon Philidor, dessen Methodik gerade die Österreicher so dankbar aufgegriffen hatten, war auch Steinitz eine Art Revolutionär der Methodik gewesen, der dem Schach die Wissenschaftlichkeit gab und es damit auf ein gänzlich neues Niveau hievte. Als Prototyp der Wiener Schachschule galt der schon genannte Carl Schlechter, ein Mann, dem Emanuel Lasker folgendes Zeugnis ausstellte, womit dieser dessen Tragik originell auf den Punkt gebracht hatte: „Es ist wahr[...], daß auch der Österreicher die Fähigkeit besitzt, die es ihm erlauben würde, mit guten Erfolgschancen den Kampf aufzunehmen, aber Schlechter besitzt nur die Fähigkeit - weiter nichts. Er ist ein Mensch, der die Natur und das einfache Leben liebt und der so wenig von einem Teufelskerl an sich hat, daß man ihn nicht verlocken könnte, sich etwas zu nehmen, das ein anderer begehrt“ (zit. nach Harold C. Schonberg, Die Großmeister des Schach, Fischer-Verlag 1974, S. 122). Zwar brachte der als Remiskönig geltende Carl Schlechter den seit 1894 amtierenden Weltmeister 1910 an den Rand einer Niederlage, dessen Stil und Persönlichkeit wurden aber als derart langweilig empfunden, daß es ein Kraftakt sondersgleichen gewesen war, überhaupt diese Weltmeisterschaft auf die Beine zu stellen, und die am Ende nur als Zehn-Partien-Miniatur gewährleistet werden konnte. Die Remisfreudigkeit Schlechters war damals in Schachkreisen derart bekannt, daß Thomas Glavinic durch das Beispiel Schlechters zu seinem schachbelletristischen Roman „Carl Haffners Liebe zum Unentschieden“ inspiriert wurde. Die Wiener Schachschule wird assoziativ gern mit der Wiener Klassik verbunden, tatsächlich erinnert diese an ihren Hang zur Etikette und Stilistik stark an das zeremonielle und konventionelle Wiener Hofleben, an dem der Schein mehr zählte als das Sein. Eine mehr mit schachlichen Begriffen operierende Definition der Wiener Schachschule wäre die einer streng positionellen auf Sicherheit basierenden Stoßrichtung, theoretisch durchaus fundiert, aber immer mit einer gewissen Leblosigkeit und einer Scheu vor gewagten und originellen Aktionen verbunden. Siegbert Tarrasch selbst, ein Schüler Steinitzens, der dessen wissenschaftlichen Schachgesetze popularisierte und weiterentwickelte, spielte zwar auch positionell, aber um Längen offensiver als die Vertreter der Wiener Schachschule. Der Praeceptor Germaniae hatte sich zeit seines Lebens an anderen Schachauffassungen gerieben. Bekannt sind seine Rivalitäten gegenüber dem zuweilen antipositionell agierenden Lasker und dem Hypermodernen Nimzowitsch. Aber auch die Wiener Schachschule war Bestandteil seiner scharfzüngigen Kritik, wobei es die Sache interessant macht, daß die durchaus selbstbewußten Wiener sich zu wehren verstanden, so daß es jahrelange Dispute zwischen Tarrasch und den Wienern gab, Michael Ehn berichtet:[QUOTE]Anlässlich des Wettkampfes Tarrasch - Marshall 1905, der mit einem überlegenen Sieg (+8 =8 -1) des Praeceptors Germaniae endete, verfasste Löwy seinen einzigen ausführlichen Artikel für die Wiener Schachzeitung, der es aber in sich hatte. Nicht nur Aaron Nimzowitsch, auch die Corona der Wiener Meister hatte ihre liebe Not mit dem dogmatischen, eitlen und vor Selbstbewusstsein strotzenden Siegbert Tarrasch. Schon früh hatte er der Wiener Schule ihre Tendenz zum blutleeren Remis vorgehalten, was zu jahrelangen geistreichen Schlagabtäuschen führte: „Persönlich ist Dr. Tarrasch ein Weltmann von feinsten Manieren, geistreich, boshaft, witzig, scharfzüngig. ´Ach ich verkehre hier nur mit der Remismonde´, seufzte er jüngst, als die lieben Wiener nach ihrer Gewohnheit sich wieder einmal ausglichen. ´Es ist nicht genug, dass man ein guter Spieler ist, man muss auch gut spielen´, lautet einer seiner Aussprüche.“ (Friedmann 1899, 346)Dabei sprach Tarrasch über Leopold Löwy, den er beim Wiener Turnier 1898 kennengelernt hatte, in den höchsten Tönen: „Im Jahre 1898 fragte mich Dr. Tarrasch, nachdem er mit Löwy analysiert hatte: „Wer ist dieser junge Mann? Seine Urteilsschärfe und analytische Befähigung hat mich überrascht. Fürwahr ein schönes Zeugnis, ausgestellt von einem der tiefsten Schachmeister aller Zeiten.“ (Marco in Wiener Schachzeitung 1907, 12)Und gerade dieser Löwy war es nun, der dem Praeceptor mit hintergründigem Humor zu Leibe rückte. So verwickelte sich Tarrasch im Buch über den Wettkampf in der Stellung nach 1. e4 e5 2. Sf3 Sc6 3. Lb5 a6 4. Lxc6 dxc6 5. Sc3 in Widersprüche. Tarrasch schreibt, dass Weiß entscheidend im Vorteil sei, weil er mit d2-d4 durchbrechen und eine Bauernmehrheit am Königsflügel bilden könne, während die schwarze Bauernmehrheit am Damenflügel entwertet ist. Die offene d-Linie sei belanglos, weil Dame und Turm auf Granit beißen, wenn d2-d3 geschehen ist. Löwys Kommentar: „Ja, aber wenn Weiß durchbrechen und die Bauern seines Königsflügels verwerten will, muss er doch d2-d3 spielen und dann beißen Dame und Turm nicht mehr auf Granit, sondern auf Schlagobers [öster. für Schlagsahne]. Wenn der Anziehende aber die schwarzen Figuren sich am Granit zu Schanden beißen lassen will, muss er den Bauern auf d3 stehen lassen und kann eben nie mit d3-d4 durchbrechen.“ (Löwy 1905, 349)[/QUOTE]Karl, 1/2016, S. 24f.Schachhistorisch folgte auf die von Steinitz eingeleitete und von Tarrasch, Pillsbury und Lasker weiterentwickelte Moderne Schachschule die Hypermoderne Schachschule, die im Kontext zu den avantgardistischen Strömungen weltweit auf allen Ebenen von Kunst, Musik, Architektur und Literatur stand, die mit dem durch den Ersten Weltkrieg delegitimierten Alten brechen wollten und nach neuen Wegen suchten. Sie wandten sich auch im Schach gegen den dem Naturideal verschriebenen Formalismus, der alles kreative und schöpferische Leben zerstöre. Ein Schlüsselzitat von Richard Reti aus dieser Zeit lautete, daß der Mensch mehr sei als nur Natur, Retis Zitat in voller Länge:[QUOTE]“Die neuen Ideen im Schach“, schreibt Richard Reti in seinem Manifest 1922, „haben mit dem Expressionismus manche Ähnlichkeit. Unser Ideal ist nicht mehr das, was man naturgemäße Entwicklung nannte, wir glauben, dass in der Ausführung menschlicher Ideen tiefere Möglichkeiten verborgen liegen als in der Natur.“[/QUOTE]Michael Ehn/Hugo Kastner, Schicksalsmomente der Schachgeschichte, Dramatische Entscheidungen und historische Wendepunkte, Humboldt-Verlag Hannover 2014, S. 129Insofern schreckten die Hypermodernen auch vor einer Art neuen Häßlichkeit - zumindest in den Augen der Zeitgenossen - nicht zurück, wenn sich durch das Brechen gültiger positioneller Konventionen gute und stellungsgerechte Ideen verwirklichen ließen, ein Umstand, den Harold C. Schonberg folgendermaßen auf den Punkt brachte:[QUOTE]Die Eröffnung folgte festen Regeln wie der Aufbau einer klassischen Sonate, Regeln, die dazu dienten Dissonanzen – „häßliche Züge“ – zu vermeiden. Doch plötzlich erschienen die Hypermodernen und wirbelten die Partie mit Dissonanzen durcheinander. Sie predigten eine völlig neue Konzeption, [...] In den so entstehenden geschlossenen Partien manövrierte man auf engem Raum ganz anders als bei der bisher üblichen, offenen Spielweise, und damit taten sich ältere Spieler ebenso schwer wie altmodische Pianisten, die, an Mozart und Chopin gewohnt, verzweifelt versuchten, ihre Fingerbewegungen neu zu koordinieren, um ein Bartok- oder Prokofjew-Konzert in den Griff zu bekommen. Man mußte nicht nur umdenken, sondern sich zugleich automatische, in Fleisch und Blut übergegangene Reaktionen abgewöhnen. Auch das Mittelspiel, das aus den hypermodernen Eröffnungen entstand, sah anders aus als alles, was den konventionellen Spielern geläufig war. Bizarre Stellungen ergaben sich; nichts dergleichen hatte man je zuvor gesehen.[/QUOTE]Schonberg S. 198Auch wenn die Hypermodernen selbst zu Überspitzungen griffen, von denen sie durch ihre Nachfolger wieder befreit werden mußten, so hat doch die schachliche Entwicklung hin zum Konkreten und Stellungsgerechten den Hypermodernen in ihrer Kritik am formalen Klassizismus rechtgegeben, weil sich gezeigt hat, daß das Schach durch seine Beschaffenheit so viele Ausnahmen zuläßt, daß eine zum Klassizismus erstarrte allgemeine Positionslehre in ihrer Oberflächlichkeit und Absolutheit eher von der Wahrheit wegführt. Der Grund dafür ist ein Gedanke, der schwer zu formulieren ist, und den ich am besten von Isaak Lipnitzky dargelegt fand, der in seinem 1956 erschienenem Werk postulierte:[QUOTE]In jeder Schachstellung wird eine bestimmte Reihe an objektiven Gesetzen, Normen und Prinzipien auf versteckte Weise wirksam. Viele davon müssen erst noch ans Tageslicht gebracht und formuliert werden. Eine korrekte Einschätzung der Stellung vorzunehmen und einen Zug einzig auf der Grundlage etablierter, vertrauter Wahrheiten auszuwählen ist nicht immer möglich. Wenn diese uns bereits bekannten Regeln und Prinzipien die wesentlichen, alles überragenden in der Stellung sind, dann kann auf deren Basis eine recht zuverlässige Einschätzung geleistet werden. Doch das Wesen vieler Stellungen beruht auf Regeln und Prinzipien, die, obwohl sie objektiv existieren, sich unserer Beherrschung noch entziehen.[/QUOTE]Isaak Lipnitzky, Fragen der modernen Schachtheorie, Quality-Chess 2008, S. 83Es ist evident, daß gerade die Wiener Schachschule die erheblichste Ausprägung dessen darstellte, wogegen die Hypermoderne Schachschule rebellierte. Wie das Beispiel Tarrasch gezeigt hatte, waren selbst die Jünger Steinitz´ nicht immer mit der Absolutheit der Wiener Schachschule einverstanden. Insofern sollte es nicht verwundern, daß die Österreicher in dieser Gegenbewegung überrepräsentiert waren. Gyula Breyer, bekannt durch seinen originellen antiposionell wirkenden und doch so tiefgründigen Springerrückzug in der Spanischen Partie, dessen Variante bis heute seinen Namen trägt, sowie Ernst Grünfeld, der in den 20er Jahren den Grundstein für die so hypermodern anmutende Grünfeldindische Verteidigung legte und mit der von ihm selbst ausgebrüteten Eröffnung gegen Aljechin 1922 beim Wiener Turnier einen vielbeachteten Sieg kreieren konnte, waren Spieler aus dem Staatsgebiet des 1918 nach der Kriegsniederlage aufgelösten Österreich-Ungarn. Und auch wenn Rudolf Spielmann selbst nicht zu den Hypermodernen gehörte, so kann er durchaus mit gutem Grund in seiner Rolle als Neoromantiker als Teil dieser Gegenbewegung aufgefaßt werden. Insofern gelang es den Österreichern, den Grundstein für eine weltweit beachtete Schachschule zu legen und gleichzeitig ihre notwendige Überwindung in die Wege zu leiten. Oft genug wird die Hypermoderne Schachschule als die letzte schachliche Schule überhaupt definiert, weil heute, im Zeitalter des computerbedingten Objektivismus, die Wahrheit auf dem Schachbrett nur noch konkret herausdestilliert werden könne. Doch ticken zum einen Menschen immer noch anders als Computer, und zum anderen beweist die skandinavische UHCA das genaue [Hier befand sich ein Link auf die Seite "https://www.schachburg.de/threads/2007-Schach-im-Untergrund-Rolf-Martens-und-die-UHCA". Der Link wurde vom Benutzer mit dem Titel "Gegenteil" versehen. Aus urheberrechtlichen Gründen ist es möglicherweise erforderlich, diesen Hinweis beizubehalten, da manche Benutzer die Quelle ihrer Zitate von anderen Internetseiten so gekennzeichnet haben. Dieser Hinweis wurde automatisch an Stelle des früheren Links platziert. Falls der Link unangemessen oder ohnehin unerreichbar geworden ist, kann die im Impressum genannte Adresse mit einer Bitte um Entfernung kontaktiert werden.].