Schachburg-Archiv: Benutzerthema „Leibesvisitation bei Schachturnieren sind nun möglich“

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Beitrag von Kiffing

Um das e-Doping wirkungsvoller als bisher einzudämmen, ist nun bei hochklassigen Schachturnieren gängige Praxis, daß Spieler eine Unterwerfungserklärung des DSB vor dem Wettbewerb unterzeichnen müssen, um spielberechtigt zu sein. Diese Entwicklung hatte sich nach Fällen wie z. B. Falko Bindrich angebahnt. Falko Bindrich, bei dem sein Gegner Sebastian Siebrecht in einem BL-Spiel Betrug witterte, hatte die Untersuchung seines Smartphones gegenüber dem Schiedsrichter verweigert, weil er seine Persönlichkeitsrechte gefährdet sah. Bindrich verlor seine Partie, der DSB scheiterte aber bei dem Versuch, gegen Bindrich eine zweijährige Spielsperre zu verhängen, da die Bestimmungen für die eigenständige Erste Bundesliga eine solche Bestrafung nicht vorsahen. Mithilfe dieser Unterwerfungserklärung wäre eine solche Sperre nun aber juristisch möglich.Die neue Unterwerfungserklärung geht aber noch weiter als die Visitation von elektronischen Gegenständen des Spielers. Die Unterwerfungserklärung bezieht sich ausdrücklich darauf, daß im Verdachtsfalle auch die Untersuchung des Spielers selbst möglich wird. Zum diesbezüglichen Passus, siehe §3: [url]http://de.chessbase.com/post/widerstand-gegen-spielervereinbarung[/url]Wie seht ihr diesen Passus? Ich selbst halte die Unterwerfungserklärung durchaus für sinnvoll, die Möglichkeit von Leibesvisitationen aber für übertrieben. Zwar ist der Kampf gegen Schachbetrug ein ehrenvolles Ziel, aber um dies zu verhindern, sollte mit Augenmaß vorgegangen werden. Auf keinen Fall dürfen persönliche Freiheitsrechte in einem solchen Maß eingeschränken werden, daß sie an Nötigung grenzen. Denn auch wenn man selbst unschuldig ist, kommt man wesentlich schneller in Verdacht als man denkt. Dazu reicht es schon, einen guten Lauf in einem Turnier zu haben, so daß man in diesem Turnier zeitweilig deutlich überperformt. In einem solchen Fall wird von bestimmten Kreisen gerne argumentiert, wem es nicht paßt, braucht ja nicht mitzuspielen. Das aber ist ein Totschlagargument, und ein solches Totschlagargument führt nur dazu, daß viele Schachfreunde, auf die der DSB angewiesen ist, die Lust auf das Schach verlieren und der Schachsport damit an Attraktivität und Mitglieder verliert, eine Entwicklung, die hoffentlich jeder vermeiden will. Deswegen bemüht sich jede gute Organisation bei solchen weitreichenden Maßnahmen die Meinung ihrer Mitglieder einzuholen und diesen auch die Möglichkeit an Mitbestimmung zu bieten. Darüberhinaus hat eine solche Sichtweise mit Demokratie und Persönlichkeitsrechten nichts zu tun, steht diesen sogar feindlich gegenüber.Zu guter Letzt möchte ich darauf hinweisen, daß diese neue Maßnahme sich zunehmend in ein ganzes Bündel an Maßnahmen einbettet, die in den letzten Jahren beschlossen worden sind, und von denen nur das unsägliche relative Koffeinverbot glücklicherweise wieder abgeschafft worden ist: Dopingkontrollen, Null Toleranz bei Verspätungen, Restriktionen gegen das Remis und Dresscode. Dabei ist Schach mehr als nur ein Sport, es ist auch Kultur, nimmt zwischen Wissenschaft, Sport und Kultur eine gewisse Mittelstellung ein. Die Entwicklung in den letzten Jahren, das Schach zu einer normalen Sportart zu machen mit all den damit verbundenen Restriktionen tötet gleichzeitig den so wichtigen Kulturaspekt im Schach, der mit seinem ursprünglichen Freigeistcharakter nichts mehr zu tun hat. Dazu empfehle ich den Artikel von Karl Gross, der ein Schachturnier von 1977 mit dem heutigen Schach [URL="http://schachneurotiker.blogg.de/2008/06/03/dostojewskiboticelli-und-karel-gott-als-schachmeister-noch-typen-waren/"]kontrastiert[/URL]. Möglicherweise hätten die meisten Schachspieler die Entwicklung, die das Schach seitdem genommen hat, als Dystopie verstanden und zum größten Teil abgelehnt. Es ist wie mit dem Frosch im heißen Wasser. Springt er in heißes Wasser, springt er schnell wieder hinaus. Wärmt man das Wasser dagegen allmählich immer mehr auf, verglüht der Frosch irgendwann. Genau das ist das Problem im Schach in den letzten Jahrzehnten, und deswegen ziehe ich, was die Notwendigkeit solcher Regeln angeht, bewußt keinen Trennungsstrich zwischen Amateurschach und Profischach. Gens una sumus.

Beitrag von ruf012

Vielleicht sind die überreichten Preise zu hoch,die errungene Bewertung zu bedeutend.Beglücken diese großen Brüder mit kleinen Taschenformatauch Turniere für gezähmten Ehrgeiz,ohne Belohnung, ohne stationärer Zahlenausschüttung.

Beitrag von ToBeFree

Die Unterwerfungserklärung selbst stellt doch nur sicher, dass die sowieso existierenden Maßnahmen und Sanktionen durchgesetzt werden können - dagegen habe ich nichts. Ich habe nur den Eindruck, dass diese ganzen Maßnahmen denjenigen schaden, die nicht betrügen, während diejenigen, die wirklich betrügen wollen, bestimmt auch mit den neuen FIDE-Regeln noch nicht daran gehindert werden. Vorher ging es um [URL="http://www.schachburg.de/threads/1366-Schuh-Doping"]Schuh-Doping[/URL]; demnächst kommt vielleicht jemand auf die Idee, seine Betrugselektronik in seiner Unterwäsche zu verstecken.[QUOTE=zugzwang;21096]FKK-Schach hat Zukunft.[/QUOTE]Das bringt das Problem zwar irgendwie bitter-ironisch, aber ziemlich gut auf den Punkt.

Beitrag von Kiffing

Der Schachbund NRW ist gegen die Leibesvisitation, aber auch gegen die Unterwerfungserklärung in der derzeitigen Form: [url]http://de.chessbase.com/post/dringlichkeitsantrag-des-schachbunds-nrw[/url]

Beitrag von zugzwang

Und damit steht der Schachbund NRW nicht allein.Ich finde es eigenartig, daß der DSB bei diesem sehr schwierigen und komplexen Thema keine vorherige Abstimmung mit den Landesschachbünden erreicht hat - bzw. gar nicht angestrengt hat.M.E. wäre eine bundesweite Arbeitskommission zu diesem Thema angezeigt.Man muß es ja nicht wie die große Politik machen und sich von kommision zu Kommision hangeln, aber bei diesem Thema ist ein wenig abgestimmter Alleingang von der Spitze aus ein Drahtseilakt.Applaus gibt es wenn der artist exzellente Arbeit liefert.Ansonsten schütteln viele - vollkommen zu Recht - am Seil und stoppen eine unausgegorene Balanceübung.

Beitrag von Kiffing

Der Deutsche Schachbund hat seine Unterwerfungserklärung modifiziert. Die Rebellion des SBNRW in Form ihres Dringlichkeitsantrags gab den Ausschlag. Der DSB hat nun mit einer Art Doppelstrategie reagiert. Auf der einen Seite setzt er auf Überzeugungsarbeit. Den Schachspielern in Deutschland soll die vom DSB unterstellte Notwendigkeit der Unterwerfungserklärung angesichts der spektakulären Betrugsfälle in den letzten Jahren vermittelt werden. Bundesturnierdirektor Ralph Alt, ein geschulter und erfahrener Jurist, geht zudem auf die Argumente des Schachbund NRW ein. Im Kern möchte er die Einwände bezüglich der Unschuldsvermutung damit entkräften, daß die Unterwerfungserklärung lediglich das Ziel habe, die bestehende Sanktionsgewalt des DSB sicherzustellen. Schließlich würden so die bisherigen Schlupflöcher gestopft. (genauer Wortlaut der ausführlichen Erklärung Alts, siehe Quelle). Auf der anderen Seite kommt der DSB den Kritikern aber scheinbar entgegen, in dem er seine Unterwerfungserklärung [URL="http://de.chessbase.com/post/auf-dem-weg-zu-einer-spielervereinbarung"]überarbeitet[/URL] hat. Dies ist aber nur formaler Natur. Ich selbst habe den alten Text mit dem neuen Text verglichen und kann keine wesentlichen inhaltlichen Veränderungen feststellen. Bspw. bleibt der umstrittene Passus mit der Leibesvisitation bei Verdachtsfällen. Übrigens zieht das ewig wiederkehrende Argument hier nicht, wer sauber bleibt, hat nichts zu befürchten. Denn es sind auch verdachtsunabhängige Stichproben möglich (ebd.). Offenbar beschränkt sich die Überarbeitung im Kern darauf, daß der abschreckend klingende Name der Unterwerfungserklärung durch den wohlklingenderen Namen der Spielervereinbarung verdrängt werden soll.

Beitrag von Kiffing

Die Spielervereinbarung ist noch einmal um ein Jahr verschoben worden: [url]http://www.chess-international.de/Archive/25629#more-25629[/url]