Schachburg-Archiv: Benutzerthema „Roman Herzog mag die Piraten nicht“

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Beitrag von Kiffing

Um keine Mißverständnisse aufkommen zu lassen. Ich bin nicht partout gegen Bundespräsidenten eingestellt. Johannes Rau hat mich z. B. mit seiner gewinnbringenden, versöhnenden und zusammenführenden Art und seinem Einsatz für Toleranz stark angesprochen. Er war ein Gutmensch im besten Sinne. Doch wenn mir ein Bundespräsident nicht gefallen hat, dann war es Roman Herzog. Weltanschaulich im selben Geiste wie Joachim Gauck stehend und genauso nonchalant Freiheit und Gleichheit gegeneinander ausspielend, hat er sich vor allem mit seiner „Ruckrede“ 1997 ins kollektive Gedächtnis der deutschen Bürger gebrannt, in der er nachhaltig zu Reformen aufrief und die asiatischen Tigerstaaten mit ihren desolaten Sozialstandards und ihrer gefürchteten Geringschätzung für die individuellen Bedürfnisse ihrer Bürger zum Vorbild nahm. [url]http://www.stern.de/politik/deutschland/roman-herzog-durch-deutschland-muss-ein-ruck-gehen-521364.html[/url]Bereits als Bundespräsident wandte sich Herzog gegen die „Kuschelpädagogik“ und erntete damit vor allem bei Vertretern reaktionärer Erziehungspraktiken Beifall. Nun ist er wieder vorgeprescht, und zwar mit seinem Vorschlag, die 5-Prozent-Klausel nach oben zu setzen, damit der Bundeskanzler auch nach wie vor von der Mehrheit im Bundestag getragen werde.Mit Demokratie hat das freilich nichts zu tun, was Herzog da fordert, wenn große Teile des Volkes mit ihrer politischen Entscheidung plötzlich unberücksichtigt bleiben, weil ihre Parteien aufgrund der angehobenen Fünfprozentklausel vom Bundestag ausgeschlossen werden. Ganze Weltanschauungen, welche die Parteien doch repräsentieren, werden handstreichartig aussortiert. Offensichtlich stört den sittenstrengen Denker das Erscheinen und Erstarken solcher neuer Parteien wie der Piraten, wo es niemandem schwerfallen sollte, zu verstehen, daß Herzog und die hyppen Piraten einfach nicht zusammenpassen. Doch zu so einer Idee, die störenden Konkurrenten einfach vom Bundestag indirekt ausschließen zu wollen, gehört schon viel Chuzpe dazu und ist doch eine Beleidigung für all die kleineren Parteien, die jetzt schon bei so mancher Wahl darum zittern müssen, überhaupt in die jeweiligen Parlamente zu kommen. Und obwohl damit eine so etablierte Partei wie die FDP, die Herzog mit seinem Vorschlag bestimmt nicht ins Auge hatte, gleich mit entsorgt werden würde, so sollte dieser Vorschlag doch bedenklich stimmen. Sind nicht die kleineren Parteien, vor allem in ihrer Hochzeit, wichtige Alternativen, wenn die Menschen mit den etablierten Parteien nicht mehr zufrieden sind? Belebt nicht Konkurrenz das Geschäft? Hat es nicht einen Grund gehabt, daß diese Parteien überhaupt erst entstanden sind und so viele Sympathisanten dazugewonnen haben? Erfüllen nicht die kleineren Parteien eine wichtige Funktion, daß sie Druck gegen die Regierung entwickeln können, bestimmte vernachlässigte Themen wie früher der Umweltschutz und heute die Netzpolitik endlich anzugehen? Nein, der Vorschlag von Roman Herzog würde zu einer Verarmung der politischen Landschaft führen, zu einem weiteren Mißtrauen der Bürger gegen das System und dazu, daß die da oben sich nun wieder sicher fühlen können, sich vom Volk und seinen Bedürfnissen zu entfernen und Vetternwirtschaft zu betreiben. Damit soll nicht gesagt werden, daß dies das Ziel aller Regierungspolitiker sei. Der Trend ohne eine solch vielfältige und facettenreiche Opposition, die so gekonnt Dynamik und Bewegung symbolisiert, würde aber in diese Richtung gehen. Wo immer die Gleichen regieren, da entstehen nun einmal leicht Erstarrung, Vetternwirtschaft und Korruption. Der Ostblock mit seinen Einparteiensystemen läßt grüßen.

Beitrag von yury

Ich stimme Dir voll und ganz zu. Das erste Mal habe ich den Vorschlag gestern im Heute-Journal gesehen, betitelt mit "Herzog hält Fünfprozenthürde für unzeitgemäß" oder so ähnlich. Zuerst habe ich mich total gewundert, dass ausgerechnet von dem der Vorschlag kommt, die Fünfprozenthürde abzuschaffen. Nein, er will sie auf 10% heraufsetzen. Ein absolut indiskutabler Vorschlag, der einfach nur lächerlich ist.Eine Reform des Wahlrechts in die andere Richtung fände ich allerdings interessant: Was spricht eigentlich dagegen, jedem Wähler eine Art Ersatzstimme zu geben, die greift, falls die von ihm zuerst gewählte Partei wegen der Sperrklausel nicht ins Parlament kommt? Das würde zu einer ehrlicheren Wahl führen, weil die taktischen Überlegungen, dass man möglicherweise seine Stimme verschwendet, wenn man eine kleine Partei wählt, wegfallen würden. Die Umfragen spielen dabei ja auch eine große Rolle: Wird für eine Partei ein Stimmanteil unter 5% prognostiziert, so werden viele Wahlberechtigte sie allein schon deshalb nicht wählen, weil ihre Stimme dann möglicherweise keinen Einfluss auf die Zusammensetzung des Parlamentes hat. (Das ist etwa gerade bei der Linken in NRW zu beobachten.)

Beitrag von hako

[QUOTE=yury;13433]Eine Reform des Wahlrechts in die andere Richtung fände ich allerdings interessant: Was spricht eigentlich dagegen, jedem Wähler eine Art Ersatzstimme zu geben, die greift, falls die von ihm zuerst gewählte Partei wegen der Sperrklausel nicht ins Parlament kommt? [/QUOTE]Eine Art "Zweiwahl" wäre in der Tat recht interessant. So würden mehr Bürgerinteressen berücksichtigt werden.Was ich auch nicht verkehrt fände, dass man festlegt, dass es eine Mindestanzahl an verschiedenen Partien gibt, die im Landtag (oder Bundestag) vertreten sind. Ich fände es interessant, wenn 5 bis 7 Parteien vertreten sein müssten (jede beispielsweise mit mindestens 2%) und man so mehrere Meinungen hat. Sicherlich erleichtert man so den radikalen Partien leichter den Zutritt in den Landtag, aber die Bürgerstimme würde mehr zählen und dieser fatalistischer Gedanke "Meine Stimme bringt doch nichts!" würde zurückgehen. Zugegebener Weise müsste man meinen Gedanken vorher noch gründlich überarbeiten. ;)

Beitrag von Aimbot

Sagt Roman Herzog konkret etwas gegen die Piraten? Eine Heraufsetzung der 5%-Hürde würde den großen Parteien einen Vorteil verschaffen, sodass sie mehr Entscheidungen alleine treffen können. Das halte ich für sehr kritisch für unsere Demokratie.Aber direkt beeinflussen würde das die Piraten nicht. Ich halte es für sehr wahrscheinlich, dass sie über 10% schaffen. Es würde allgemein allen kleineren Parteien schaden und natürlich das schnelle Aufstreben von weiteren kleinen Parteien verhindern.

Beitrag von yury

[QUOTE=hako;13446]dieser faschistischer Gedanke "Meine Stimme bringt doch nichts!"[/QUOTE]Faschistisch? Willst Du damit sagen, dass über 40% der wahlberechtigten Bevölkerung Nordrhein-Westfalens Faschisten sind?[QUOTE=Aimbot;13449]Aber direkt beeinflussen würde das die Piraten nicht. Ich halte es für sehr wahrscheinlich, dass sie über 10% schaffen.[/QUOTE]Ich halte das für eher unwahrscheinlich. Bei den letzten vier Landtagswahlen, bei denen sie in die Parlamente einzogen, holten sie im Durchschnitt etwas weniger als 8.1% der Stimmen. In bundesweiten Umfragen liegen sie bei 9-12%, aber wie wir wissen, sind Umfragen Umfragen und keine Wahlergebnisse. Davon abgesehen sind es noch 16 Monate bis zur nächsten Bundestagswahl - genug Zeit, in der die Piraten viel von ihrem frischen Glanz einer "Anti-Establishment-Partei" (die sie nicht sind) verlieren werden.

Beitrag von hako

[QUOTE=yury;13483]Faschistisch? Willst Du damit sagen, dass über 40% der wahlberechtigten Bevölkerung Nordrhein-Westfalens Faschisten sind?[/QUOTE]Im Punkt "Wählen" ja. Mir zumindest fallen kaum andere Gründe ein.Der Gedanke "Meine Stimme bringt nichts!" ist von Natur aus fatalistisch. Das heißt aber NICHT, dass sie generell faschistisch veranlagt sind. Nur weil einer gegenüber einem Thema kritisch denkt, heißt das nicht, dass er über JEDES Thema kritisch denkt. Da musst du differenzieren.

Beitrag von yury

[QUOTE=hako;13494]Der Gedanke "Meine Stimme bringt nichts!" ist von Natur aus faschistisch.[/QUOTE]Wie kommst Du darauf?

Beitrag von hako

Vergiss (fast) alles, was ich gesagt habe. Ich bin durcheinander gekommen.Ich meinte, statt faschistisch, fatalistisch. :ups: :ups: :neinnein:Hab es inzwischen verbessert.Natürlich sind die deshalb nicht faschistisch! Das ist was ganz anderes!

Beitrag von Kiffing

[QUOTE=Aimbot;13449]Sagt Roman Herzog konkret etwas gegen die Piraten? [/QUOTE]Sagen wir es so: es ist ziemlich offensichtlich, daß er die Piraten mit seinem Vorstoß im Auge hatte. ;)

Beitrag von yury

[QUOTE=hako;13519]Ich meinte, statt faschistisch, fatalistisch.[/QUOTE]Aaaah. Jetzt ergibt es Sinn :D;)

Beitrag von hako

Ja, schon komisch (und vor allem peinlich :D) was zwei andere Buchstaben ausmachen.....

Beitrag von ToBeFree

[QUOTE=hako;13571]zwei andere Buchstaben[/QUOTE]Vielleicht willst du nochmal nachzählen? :D ;)

Beitrag von hako

Ich sag dazu nichts mehr..... :D