Schachburg-Archiv: Benutzerthema „Als Karpov und Kasparov noch Feinde waren“

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Beitrag von Kiffing

Eine interessante historische Quelle für die Schachgeschichte ist sicherlich das sensationelle Spiegel-Interview mit Garri Kasparov und Anatoli Karpov unmittelbar vor der Schach-WM von 1990 in New York City und Lyon. Kasparov und Karpov traten in einem moderierten Streitgespräch gegeneinander an und bekundeten sich gegenseitig ihrer Feindschaft. Das Spiegel-Interview leistete sicherlich seinen Beitrag dazu, das mediale Interesse der Schach-WM weiter anzuheizen, denn tatsächlich ist es so, daß insbesondere eine Schach-WM bei uns dann auf Interesse stößt, wenn klare Feindbilder aufeinanderprallen wie zwischen Fischer und Spassky 1972 in Reykjavic, zwischen Karpov und Kortschnoi 1978 in Baguio City und 1981 in Meran und eben die fünf (!) Weltmeisterschaften zwischen „K&K“ 1984, 1985, 1986, 1987 und 1990. Sie alle waren Symbol des Kalten Krieges mit all der damit verbundenen Blockbildung.Das Spiegel-Interview fördert neben der Feindschaft zwischen beiden Protagonisten auch anderes interessantes zutage. Es geht etwa um Themen wie Schach und Frauen, die Zukunft des Computerschachs, die Situation der Profispieler in der UdSSR und natürlich um ihre Vorbereitung auf die WM. Hier geht es zur Quelle: [url]http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-13500654.html[/url]Nachtrag: Die WM gewann Kasparov, der an anderer Stelle getönt hatte, Karpov nicht nur besiegen, sondern auch „vernichten“ zu wollen, nur knapp mit 12,5-11,5. Aber er gewann. Mittlerweile haben sich beide ausgesöhnt. Karpov besuchte Kasparov im Gefängnis, als er vor ein paar Jahren dort für einige Tage einsaß, und beide kooperierten gegen den umstrittenen, ja skandalumwobenen FIDE-Präsidenten Kirsan Iljumschinow, den sie bei der Wahl zum Präsidenten in einer Kampfabstimmung ablösen wollten. Beide arbeiten heute eng mit dem Deutschen Schachbund zusammen, unterstützen Projekte wie den Aufbau von Schachschulen in Deutschland und wurden bei ihrer Aktion gegen Iljumschinow auch vom DSB unterstützt.

Beitrag von karpov84

"KARPOW: Wenn ich in Rente gehe, werde ich alles erzählen. Was meine geringe Bereitschaft zum Risiko angeht, so stimme ich Kasparow zu. Da unterscheiden wir uns."Ist noch nicht geschehen, oder? (Ich meine, noch ist er ja auch nicht in Rente...)

Beitrag von zugzwang

[QUOTE=karpov;20738]"... Was meine geringe Bereitschaft zum Risiko angeht, so stimme ich Kasparow zu. Da unterscheiden wir uns."...[/QUOTE]Im Vergleich zu Kasparov sind ja Legionen von Spitzenspielern risikoscheue Naturen.Riskanter spielte von der Weltmeister-gilde sicher nur Tal.Mit seiner Scheu vor Risiken untertreibt Karpov für den externen Betrachter etwas.Allerdings ist das, was für den normalen Schachfan riskant und unübersichtlich aussieht für Karpov selbst anscheinend wohlüberlegtes Kalkül gewesen zu sein.Gegen Kasparov selbst spielte er die superscharfe Saitsev-Variante in Spanier, um auch mit Schwarz Gewinnchancen zu erhalten. Und er wußte, daß Kasparov gegen Saitsev keine Positionsschieberei inszenieren wird. Das Spiel mit Feuer in dieser Eröffnung kostete ihn vielleicht die Rückeroberung des WM-Titels."Risikolos" spielte Karpov auch gegen das "Weiß-Sizilianisch", indem er auf 1. c4 sehr häufig e5 erwiderte. Und das, obwohl er selbst gerade wegen Kasparovs Sizilianisch nicht mehr 1. e2-e4 spielte.Aus der Aussage arpovswird aber seine Mentalität ersichtlich: Riskolos istund war fürihn wahrscheinlich alles, was er meinte im Griff zu haben und überschauen bzw. verantworten zu können. Was dabei aufs Brett kam, war alles andere als passives Defensiv-Schach. Karpov wird teilweise als die offensive Variante von Petrosian bezeichnet.Das beschreibt Karpov nicht schlecht, erweckt aber den Eindruck, eines (zu) defensiven Petrosian. Die Tiefe und Originalität und damit die versteckte Aggressivität in wichtigen Partien Petrosians wird dabei ausgeblendet.Aber alle großen Schachkönner unterliegen auch Entwicklungen und Veränderungen.Ein Tal konnte und wollte (?!) in späteren Tagen auch nicht immer ein Feuerwerk mehr anzünden und der ältere Petrosian spielte auch nicht mehr das Najdorf-System seiner jüngeren Tage.Die Risikobereitschaft der Spitzenspieler läßt sich imo aus ihrem Schwarzrepertoire ersehen und da stechen Fischer und Kasparov schon heraus.