Schachburg-Archiv: Benutzerthema „Harrwitz vs. Löwenthal - ein Duell, das Geschichte schrieb“

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Beitrag von Kiffing

1853 kam es in London zu einem packenden Zweikampf zwischen dem 26jährig nach England emigrierten Breslauer Daniel Harrwitz und seinem Kontrahenten Johann Jacob Löwenthal aus Ungarn. Das Duell fand im Chess Divan statt, ein Club, vom Schach-Diktator Howard Staunton geleitet, der für die englischen Schachspieler in etwa die Bedeutung hatte wie das Cafe de la Regence in Paris für die französischen Schachspieler.Der Zweikampf sollte in vielen Beziehungen für Aufsehen sorgen. Der Zweikampf war die bis dahin übliche Form der Auseinandersetzung, es war erst zwei Jahre hergewesen, wo in London anläßlich der Weltausstellung das erste moderne Turnier der Schachgeschichte stattgefunden hatte, und erst langsam sollten die Turniere den Duellen von ihrer Bedeutung her gleichkommen.1851 wurde noch ohne Bedenkzeitreduzierung gespielt, was sich zu einem schweren praktischen Problem erwies. Die Probleme waren bekannt: Partien konnten unnötig in die Länge gezogen werden, und das „Totsitzen“ konnte von einigen Pappenheimern gar als gezielte psychologische Waffe mißbraucht werden. Deswegen wurde in diesem Wettkampf zum ersten Mal mit Sanduhren gespielt, und zwar mit [URL="http://www.ksf1853.de/Anniversary/history.htm"]10 Minuten pro Zug[/URL]. Eine Zeitüberschreitung führte allerdings noch nicht zur Niederlage, sondern hatte nur eine Geldstrafe zur Folge. Daniel Harrwitz hatte sich in England mittlerweile fest etabliert, und so konnten viele Zuschauer es offenbar nicht ertragen, daß ihr Mann gegen einen Ausländer verlor. Möglicherweise verstärkten antisemitische Ressentiments diesen Effekt. Löwenthal führte mit 9:2 und sah sich nun mit gleich mehreren Gegnern konfrontiert. Denn, wie Charles Tomlinson im British Chess Magazine festhielt, machte sich im Saal eine solche Erbitterung breit,[QUOTE]daß es zu höchst schimpflichem Verhalten seitens einiger der weniger ehrenwerten Mitglieder führte. Als sich die Waage eindeutig zugunsten Löwenthals neigte, hörte ich jemanden sagen, er habe einen Jungen beauftragt, vor dem Fenster die Drehorgel zu spielen, um Löwenthal, der für seine hochgradige Nervosität bekannt war, abzulenken. Auch war ihm das Rauchen zuwider, und er hatte sich vorher ausgedungen, daß Besucher nicht rauchen sollten; doch manche aus der Divan-Clique legten es darauf an, in größtmöglicher Nähe Löwenthals zu rauchen, und ich sah sogar, wie der Mann seine Zigarre an Löwenthals Kerze entzündete und ihm den Rauch ins Gesicht blies[/QUOTE]Harold C Schonberg, Die Großmeister des Schach, Fischer Taschenbuch Verlag, 1976, S. 47Und so kam es wie es kommen mußte, und die so schöne, sichere 9:2-Führung wurde noch in eine 10:11-Niederlage verspielt, eine der spektakulärsten Aufholjagden der Schachgeschichte und der Beweis, daß das Fair Play auch in England nicht überall beheimatet ist.