Schachburg-Archiv: Benutzerthema „Der chinesische Kieseritzky“

schachburg.de

Beitrag von Kiffing

Als "chinesischer Kieseritzky" bezeichnete sich Jan Hein Donner scherzhaft nach seiner spektakulären Niederlage gegen den völlig unbekannten Chinesen Liu Wenzhe während der Schacholympiade 1978 in Buenos Aires. Er [Hier befand sich ein Link auf die Seite "https://www.welt.de/welt_print/kultur/literatur/article4425284/Die-Chinesen-kommen.html". Der Link wurde vom Benutzer mit dem Titel "befürchtete" versehen. Aus urheberrechtlichen Gründen ist es möglicherweise erforderlich, diesen Hinweis beizubehalten, da manche Benutzer die Quelle ihrer Zitate von anderen Internetseiten so gekennzeichnet haben. Dieser Hinweis wurde automatisch an Stelle des früheren Links platziert. Falls der Link unangemessen oder ohnehin unerreichbar geworden ist, kann die im Impressum genannte Adresse mit einer Bitte um Entfernung kontaktiert werden.], seine Partie werde in China nun so bekannt werden wie die in die Schachgeschichte als Unsterbliche Partie eingegangene Opferkaskade Adolf Anderssens, mit der er am Rande des Londoner Turniers von 1851 Lionel Kieseritzky in einer freien Partie schlug. Liu Wenzhe also als chinesischer Anderssen und er selbst als Kieseritzy, und in der Tat, die Parallelen in beiden Partien sind frappierend, sowohl Kieseritzky als auch Donner gingen in einer Art wildromantischem Angriffswirbel unter, der sich um Vorsicht und positionelle Gesetze wenig scherte und wo das Damenopfer den jeweiligen Höhepunkt der Partien bildete. Zwar opferte Anderssen 1851 fraglos mehr Material, der Hintergrund 1978 in Buenos Aires ist aber spektakulärer. So traten im Match Liu Wenzhe gegen Jan Hein Donner nicht zwei aneinander mehr oder weniger ebenbürtige Meister gegeneinander an, sondern der erfahrene Großmeister Jan Hein Donner wurde von einem absoluten Nobody geradezu erschlagen. Nach den Wirren der Maozeit war China, das bis dato nur das Xiangqi kannte, gerade erst dabei, das von der FIDE geleitete Schach zu erlernen. Insofern gehört wenig Phantasie dazu, sich vorzustellen, welche Rolle dieser Partie im schachlichen Aufbau des Landes in der Zukunft zugewiesen sein würde. Und in der Tat, die Chinesische Schachschule zeichnet sich heute durch eine erfrischende taktische Schlagkraft aus, und zwar ungefähr so, wie die Sowjetische Schachschule in ihren Jugendzeiten einmal gewesen war:[Event "London"][Site "London ENG"][Date "1851.06.21"][EventDate "?"][Round "?"][Result "1-0"][White "Adolf Anderssen"][Black "Lionel Adalbert Bagration Felix Kieseritzky"][ECO "C33"][WhiteElo "?"][BlackElo "?"][PlyCount "45"]1.e4 e5 2.f4 exf4 3.Bc4 Qh4+ 4.Kf1 b5 5.Bxb5 Nf6 6.Nf3 Qh67.d3 Nh5 8.Nh4 Qg5 9.Nf5 c6 10.g4 Nf6 11.Rg1 cxb5 12.h4 Qg613.h5 Qg5 14.Qf3 Ng8 15.Bxf4 Qf6 16.Nc3 Bc5 17.Nd5 Qxb2 18.Bd6Bxg1 {It is from this move that Blacks defeat stems. WilhelmSteinitz suggested in 1879 that a better move would be18... Qxa1+; likely moves to follow are 19. Ke2 Qb2 20. Kd2Bxg1.} 19. e5 Qxa1+ 20. Ke2 Na6 21.Nxg7+ Kd8 22.Qf6+ Nxf623.Be7# 1-0[Event "Olympiad"][Site "Buenos Aires ARG"][Date "1978.11.??"][EventDate "?"][Round "8"][Result "1-0"][White "Liu Wenzhe"][Black "Jan Hein Donner"][ECO "B07"][WhiteElo "?"][BlackElo "?"][PlyCount "39"]1. e4 d6 2. d4 Nf6 3. Nc3 g6 4. Be2 Bg7 5. g4 h6 6. h3 c57. d5 O-O 8. h4 e6 9. g5 hxg5 10. hxg5 Ne8 11. Qd3 exd512. Nxd5 Nc6 13. Qg3 Be6 14. Qh4 f5 15. Qh7+ Kf7 16. Qxg6+Kxg6 17. Bh5+ Kh7 18. Bf7+ Bh6 19. g6+ Kg7 20. Bxh6+ 1-0

Beitrag von Qf3

[QUOTE=Kiffing;27779]....während der Schacholympiade 1978 in Buenos Aires.[/QUOTE]Die Olympiade hätte (genau wie die Fußball-WM im gleichen Jahr) nie stattfinden dürfen; jedenfalls nicht in Argentinien. Seit 1976 herrschte in Argentinien eine brutale Miltärdiktatur, der schätzungsweise 30.000 Menschen zum Opfer fielen. Vorm Tod warteten meist tage- wochen- oder auch monatelange schwere Folter.Erinnert sei an dieser Stelle an die deutsche Elisabeth Käsemann, die 1977 in Argentinien von der Junta gefangen genommen wurde und dann nach über 2 Monaten in Folterhaft ermordet wurde.Ist bekannt, ob einige der Spieler zumindest verbalen oder sonstigen sanften Protest gegen die dortigen Verhältisse gezeigt hatten oder sind sie alle wie die Lemminge hingefahren?Ich fürchte ja letzteres.

Beitrag von ToBeFree

[QUOTE=Qf3;27780]Ist bekannt, ob einige der Spieler zumindest verbalen oder sonstigen sanften Protest gegen die dortigen Verhältisse gezeigt hatten oder sind sie alle wie die Lemminge hingefahren?Ich fürchte ja letzteres.[/QUOTE]"Wie die Lemminge hinfahren" klänge für mich immer noch besser als "protestieren und dann doch hinfahren". Jemand, den die Verhältnisse dort wirklich gestört hätten, wäre nicht nach Buenos Aires gereist.Das ist doch genau wie mit der "[Hier befand sich ein Link auf die Seite "https://www.schachburg.de/threads/2304-Die-Sonderrechte-des-Irans-im-internationalen-Schach". Der Link wurde vom Benutzer mit dem Titel "Kopftuchzwang am Schachbrett" versehen. Aus urheberrechtlichen Gründen ist es möglicherweise erforderlich, diesen Hinweis beizubehalten, da manche Benutzer die Quelle ihrer Zitate von anderen Internetseiten so gekennzeichnet haben. Dieser Hinweis wurde automatisch an Stelle des früheren Links platziert. Falls der Link unangemessen oder ohnehin unerreichbar geworden ist, kann die im Impressum genannte Adresse mit einer Bitte um Entfernung kontaktiert werden.]"-Geschichte. Teilnehmen und dann protestieren ist inkonsequent und vielleicht sogar gefährlich.

Beitrag von Qf3

Das konsequenteste wäre es natürlich gewesen, die Olympiade in Argentinien komplett zu boykottieren. Aber soviel Charakter erwarte ich von Spielern schon gar nicht mehr. Ich würde mich schon über einen kleinen Protest oder zumindest ein kleines Zeichen (vor Ort) freuen. Und es würde mich auch interessiern, ob es in der damaligen Schachgemeinde überhaupt Sensibilität für das Thema gab.Beim Fußball gibts diesbezüglich zumindest leicht zugängliche Stellungnahmen. Paul Breitner (der nicht im Kader war) hat der Mannschaft empfohlen, den Vertretern der MilitärJunta den Handschlag zu verweigern (wie es dann glaube ich die Niederländer gemacht haben). Andere Fußballer faselten was von "In Argentinien herrscht Ordnung, ich habe nichts von Folter gesehen" oder "das interessiert mich nicht, ich habe eigene Probleme".Würde mich mal interessieren, was die teilnehmenden Schachspieler wie Hübner, Pfleger, Unzicker usw. gedacht haben. Bzw. nicht gedacht haben.

Beitrag von Kiffing

Zur Fußball-WM im selben Jahr tat sich damals Berti Vogts hervor, der im Rahmen einer gespaltenen BRD-Nachkriegsgesellschaft mitten im Kalten Krieg seinen Platz auf der äußersten Rechten gefunden hatte, indem er die Verbrechen der argentinischen Junta nicht nur leugnete, sondern sie sogar guthieß und auf die BRD angewendet sehen wollte: "Wenn wirklich in Argentinien Kommunisten, Terroristen, Atomkraftgegner, Chaoten, Jusos und sonstige sozialistische Systemveränderer nicht mit Samthandschuhen angepackt werden wie hier, dann kann ich das nur begrüßen und hoffe, daß in dieser Hinsicht auch in Deutschland bald bessere Zeiten kommen."Was die BRD-Schachnationalmannschaft anging, die in Buenos Aires mit den Schwergewichten Dr. Robert Hübner, Wolfgang Unzicker, Helmut Pfleger, Klaus Darga, Hans-Joachim Hecht und Otto Borik antrat und einen starken vierten Platz erreichte, so habe ich bezüglich der Haltung zum Militärregime gefunden, daß diese "im Gegensatz zu den Kollegen Fußballern" zur mörderischen Junta [URL="http://www.ossietzky.net/21-2008&textfile=387"]"Distanz bewahrt[/URL]" habe. Wie diese Distanz aussah, wird aber nicht erwähnt.Unabhängig von den politischen Rahmenbedingungen ging diese Schacholympiade auch dadurch in die Schachgeschichte ein, daß es der Sowjetunion zum ersten und letzten Mal in ihrer Geschichte nicht gelungen war, die Olympiade für sich zu entscheiden. Sie wurde von Ungarn auf Platz 2 verdrängt. Ein Grund dafür war sicherlich das Fehlen von Weltmeister Karpov. Übrigens hätte es auch genügend Gründe gegeben, sowjetische Turniere aus menschenrechtlichen Gründen zu boykottieren, weil die Opferzahlen allein in der Stalinzeit in den zweistelligen Millionenbereich gegangen waren und sich die Nachfolger bis zu Michail Gorbatschow nicht genügend davon distanzierten. Zudem wurden auch in der nachstalinistischen Sowjetunion die Menschenrechte mit den Füßen getreten, die Opferzahlen erreichten allerdings nie mehr die Dimensionen wie unter Lenin und Stalin.